Hamburg. Depressive Symptome, Angststörungen und Stress haben während des ersten Lockdowns laut Befragung zugenommen – besonders im Norden.

Die Corona-Pandemie und der erste Lockdown mit massiven Kontaktbeschränkungen im Frühjahr haben sich bundesweit gravierend auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung ausgewirkt, am stärksten allerdings in Hamburg – das zeigen die Ergebnisse einer Covid-19-Sonderbefragung im Rahmen der Langzeit-Gesundheitstudie „Nationale Kohorte“ (Nako).

Zu verzeichnen sei eine „signifikante Zunahme“ von depressiven Symptomen, Angststörungen und Stress, heißt es in einer Mitteilung zu der Auswertung, die auf der Internetseite des „Deutschen Ärzteblatts“ veröffentlicht worden ist.

Corona-Sonderbefragung im Rahmen der Studie "Nationale Kohorte"

Die 2014 gestartete Nako ist ein wissenschaftliches Mammutprojekt: Rund 205.000 Bundesbürger – unter ihnen gut 10.000 Hamburger – werden bis 2024 mehrfach untersucht und befragt, um Volkskrankheiten wie Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz genauer zu erforschen. Im Mai dieses Jahres führten die 18 Nako-Zentren bundesweit eine Corona-Sonderbefragung durch, an der insgesamt knapp 114.000 Frauen und Männer teilnahmen.

All diese Befragten waren in den fünf Jahren zuvor bei einer Nako-Basisuntersuchung gewesen, bei der ihr subjektiver Gesundheitszustand erfragt worden war. Von allen Befragten waren 4,6 Prozent auf eine Corona-Infektion getestet worden, ein positives Corona-Testergebnis hatten bis dahin aber lediglich 344 Befragte erhalten (0,3 Prozent).

5300 Menschen in Hamburg nahmen an Covid-19-Befragung teil

Gleichwohl hatten die Pandemie und die ab Mitte März ergriffenen Schutzmaßnahmen offenbar schon erhebliche Spuren hinterlassen, denn im Vergleich zu den Ergebnissen der früheren Nako-Basisuntersuchung zeigte sich: Depressive Symptome und Angststörungen nahmen bei den Teilnehmern unter 60 Jahren zu, besonders bei jungen Frauen.

Der Anteil derjenigen mit moderat bis schwer ausgeprägten depressiven Symptomen stieg von 6,4 auf 8,8 Prozent an. Der selbst empfundene Stress nahm in allen Altersgruppen und beiden Geschlechtern zu, vor allem in der Gruppe der 30- bis 49-Jährigen.

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Depressive Symptome werden als stärker empfunden

Bei den 5300 Hamburger Befragten, von denen lediglich elf (0,2 Prozent) bis Mai 2020 positiv auf Corona getestet wurden, zeigten sich im Vergleich der 18 Nako-Studienzentren von Berlin bis Freiburg die größten Differenzen zwischen den Ergebnissen der früheren Basisuntersuchungen und dem in der Covid-19-Sonderstudie erfragten psychischen Gesundheitszustand.

Zum Beispiel depressive Symptome: Deren Schweregrad werde mit Werten von 0 bis 27 eingeschätzt, sagt Prof. Heiko Becher, Leiter des Hamburger Nako-Studienzentrums am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Für die Hamburger Befragten hatte sich aus den Basisuntersuchungen ein Mittelwert von 3,87 für depressive Symptome ergeben. Die Corona-Sonderbefragung ergab dagegen einen Wert von 4,39.

Vor allem Stress macht Hamburger Befragten zu schaffen

Bei Angststörungen, die auf einer Skala von 0 bis 21 eingeordnet werden können, stieg der Mittelwert für die Hamburger Befragten von 3,08 auf 3,55. Besonders eindrucksvoll sei die Differenz bei Stress, sagt Heiko Becher. Hier erhöhte sich der Wert bei den Hamburger Befragten von 3,33 auf 4,69.

Zwar möge die Steigerung bei den drei genannten psychischen Symptomen nicht gravierend aussehen, sagt Becher. „Man muss sich aber klarmachen, dass dies Mittelwerte sind – bei etlichen Befragten zeigten sich sehr viel stärkere psychische Auswirkungen.“

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Warum sich in der Hamburger Studienpopulation die stärksten psychischen Auswirkungen des Lockdowns im Frühjahr gezeigt haben, ist allerdings ein Rätsel. Dafür habe er derzeit keine Erklärung, sagt Becher. Die weitere Analyse der Daten sei aber noch im Gange.

Forscher: Lockdown-Maßnahmen mit Augenmaß festlegen

Politische Entscheider könnten die Ergebnisse als Mahnung sehen, soziale Beschränkungen in der Corona-Krise mit Augenmaß festzulegen. „Wir haben die Sonderbefragung im Mai durchgeführt – zu einer Jahreszeit also, in der es grundsätzlich vielen Menschen psychisch eher besser geht als in der dunklen Jahreszeit“, sagt Becher. „Würden wir die Befragung nun erneut durchführen, dürfte sich zeigen, dass die psychischen Kollateralschäden des aktuellen Teil-Lockdowns größer sind.“

Aus der Nako-Sonderbefragung geht allerdings nicht nur Negatives hervor. 32 Prozent der Befragten schätzten ihre eigene Gesundheit zu Zeiten des ersten Lockdowns im Vergleich zur Erstbefragung vor rund fünf Jahren als besser ein.

Hamburger gehören trotzdem zu glücklichsten Deutschen

Eine andere Studie, der vor Kurzem in Bonn vorgestellte „Glücksatlas 2020“, hatte ergeben, dass trotz der Corona-Krise die glücklichsten Menschen in Deutschland weiterhin im Norden leben. Demnach liegen Hamburg und Schleswig-Holstein auf der Skala zwischen 0 und 10 mit 6,92 Punkten auf Platz eins. Allerdings müssen beide - wie viele Regionen in Deutschland - Verluste im Vergleich zum Vorjahr einstecken.

Der Befragung zufolge hat die Pandemie die Lebenszufriedenheit der Deutschen sinken lassen. Vor allem der Glücksfaktor „Gemeinschaft“, also Freunde und Familie, habe stark unter den Einschränkungen gelitten. Weitere Gründe für die gesunkene Zufriedenheit seien etwa Kurzarbeit, Angst um den Job und Homeschooling, teilten die Forscher mit.

Für die Studie im Auftrag der Deutschen Post, die zum zehnten Mal durchgeführt worden war, hatte das Institut für Demoskopie in Allensbach von März bis Juni knapp 4.700 Bundesbürger ab 16 Jahren befragt.

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