Hamburg. Einschränkungen haben Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Viele haben Schlafprobleme. Doch es gibt ein Gegenmittel.
Wie ist es Kindern und Jugendlichen in der Coronakrise ergangen? Diese Frage haben Wissenschaftler des UKE in der bundesweit ersten Studie zu diesem Thema erforscht – und ihre Ergebnisse geben Anlass zur Sorge. So stehen die Jüngeren wegen der coronabedingten Einschränkungen ihres Alltags vermehrt unter Stress.
Sie leiden vielfach an Kopfschmerzen, sind gereizt und haben Probleme einzuschlafen. Die psychische Gesundheit von Kindern in Deutschland hat sich während der Coronapandemie verschlechtert. Das wichtigste Gegenmittel: Zeit mit den Kindern verbringen, ihnen zuhören.
Ergebnis der UKE-Studie überrascht die Mediziner
„Mitte März hat sich das Leben der Kinder und Jugendlichen schlagartig verändert, weil die Schulen und Kitas geschlossen wurden, der Kontakt zu Freunden nur noch über Telefon und digitale Medien möglich war und Hobbys und Freizeitaktivitäten kaum noch ausgeführt werden konnten“, sagt Studienleiterin Prof. Ulrike Ravens-Sieberer von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des UKE. Ihre Untersuchung hat ergeben, dass drei Viertel der Kinder und Jugendlichen durch diese Beschränkungen stark belastet waren.
„Das ist substanziell und hat uns überrascht“, sagt die Medizinerin. Ihre Forschergruppe habe mit einer Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens in der Krise gerechnet, nicht aber damit, dass sie so deutlich ausfällt. „Kinder haben die Last der Krise mitgetragen“, so Ravens-Sieberer. Wenn Eltern Stress an ihre Kinder weitergäben, seien jüngere stärker betroffen als ältere, weil sie sich noch nicht so stark von der Familie lösten.
1040 Kinder und Jugendliche und 1586 Eltern für Studie befragt
Die meisten Kinder und Jugendlichen fühlten sich belastet, machten sich vermehrt Sorgen, achteten weniger auf ihre Gesundheit und beklagten häufiger Streit in der Familie. „Bei jedem zweiten Kind hat das Verhältnis zu seinen Freunden durch den mangelnden physischen Kontakt gelitten“, sagt die Leiterin der Studie, die den Namen „Copsy“ (Corona und Psyche) trägt. Dafür wurden zwischen dem 26. Mai und dem 10. Juni bundesweit 1040 Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren sowie 1586 Eltern per Online-Fragebogen vom UKE und von infratest dimap befragt.
Die UKE-Forschenden kooperierten für die Studie mit dem Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance in Berlin, dem Robert Koch-Institut (RKI) sowie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Wichtig war den Wissenschaftler, „den Kindern selbst eine Stimme zu geben“.
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Die Ergebnisse im Einzelnen: 71 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich durch die Pandemie und die daraus folgenden Einschränkungen belastet. Zwei Drittel von ihnen geben eine verminderte Lebensqualität und ein geringeres psychisches Wohlbefinden an. Vor Corona war dies nur bei einem Drittel der Kinder und Jugendlichen der Fall. Die Kinder und Jugendlichen erleben während der Krise vermehrt psychische und psychosomatische Probleme: Das Risiko für psychische Auffälligkeiten stieg von rund 18 Prozent vor Corona auf 31 Prozent.
In den Familien kommt es häufiger zum Streit
Die Kinder und Jugendlichen machen sich mehr Sorgen und zeigen häufiger Auffälligkeiten wie Hyperaktivität (24 Prozent), emotionale Probleme (21 Prozent) und Verhaltensprobleme (19 Prozent). Auch psychosomatische Beschwerden treten während der Corona-Krise vermehrt auf. Neben Gereiztheit (54 Prozent) und Einschlafproblemen (44 Prozent) sind das beispielsweise Kopfschmerzen (40 Prozent) und Bauchschmerzen (31 Prozent).
Für zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen sind die Schule und das Lernen anstrengender als vor Corona. Sie haben Probleme, den schulischen Alltag zu bewältigen und empfinden diesen teilweise als extrem belastend. „Das verwundert kaum, da den Kindern und Jugendlichen die gewohnte Tagesstruktur und natürlich ihre Freunde fehlen. Beides ist für die psychische Gesundheit sehr wichtig“, erklärt Ravens-Sieberer. Auch in den Familien hat sich die Stimmung verschlechtert: 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 37 Prozent der Eltern berichten, dass sie sich häufiger streiten als vor der Coronakrise.
Sozialschwache Kinder leiden besonders unter dem Lockdown
Ihre Ergebnisse zeigten, dass die coronabedingten Veränderungen bestimmte Gruppen von Kindern und Jugendlichen besonders stark belasten. Vor allem Kinder, deren Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss beziehungsweise einen Migrationshintergrund haben, erlebten die coronabedingten Veränderungen als äußerst schwierig. Wenig Geld und beengte Wohnverhältnisse erhöhten das Risiko für psychische Auffälligkeiten. Mangelnde Rückzugsmöglichkeiten und fehlende Tagesstruktur können besonders in Krisenzeiten zu Streit und Konflikten in der Familie führen.
Ravens-Sieberer warnt zugleich davor, die Studienergebnisse zu überdramatisieren. Sie rechtfertigten auch keine pauschale Empfehlung, Schulen und Kitas auf jeden Fall zu öffnen, denn auch das Infektionsgeschehen müsse im Blick behalten werden.
So kann den Familien geholfen werden
Die Forscher haben aber auch untersucht, was Eltern und Kinder schützt, was sie stärkt und ihnen hilft – um daraus Lehren für eine mögliche zweite Infektionswelle zu ziehen, wie die Studienleiterin sagt. Sie empfiehlt, Familien mehr konkrete Hilfen anzubieten – in Form von Beratung insbesondere zum Homeschooling und zu einer besseren Tagesstruktur. Ravens-Sieberer plädiert dafür, die Fernbeschulung der Kinder zu vereinheitlichen und stringenter zu gestalten, damit alle Kinder gleichermaßen davon profitierten.
„Viele Eltern waren völlig unvorbereitet und mit dem Homeschooling stark überfordert“, so die Wissenschaftlerin. Eltern benötigten konkrete Unterstützung und Handreichungen. Dazu könnte es mehr digitale Plattformen zur Freizeitgestaltung sowie Angebote für kleinere Gruppen im Freien geben. Vor allem aber müssten die Berater die Familien stärker aufsuchen, aktiv Angebote machen. „Wir wissen, dass diejenigen, die Hilfe brauchen, selbst oft nicht Unterstützung suchen.“