Hamburg. Die Braun-Brüder brechen zu neuen Ufern auf – mit einer knapp 40 Tonnen schweren Brücke, die am frühen Morgen eingehängt wurde.
Es war eine ungewöhnliche Szene, die frühe Passanten am Mittwochmorgen um kurz nach sechs Uhr in der Speicherstadt erwartete. Einer der größten Kräne Europas hob eine 25 Meter lange und 39 Tonnen schwere Fußgängerbrücke hoch über den Speicher des Miniatur Wunderlands, um sie dann passgenau auf etwa 13 Metern Höhe an der gegenüberliegenden Seite des Kehrwiederfleets am Speicher einzupassen.
Neue Fleetbrücke für das Miniatur Wunderland
Für die Wunderland-Betreiber Gerrit und Frederik Braun, die seit der Nacht auf den Beinen waren und das Einsetzen mit großer Spannung beobachteten, war es ein „spektakuläres Ereignis im Morgengrauen – und der Startschuss in die Zukunft des Wunderlandes“. Denn die neue Fußgängerbrücke soll die Erweiterung ihres Modelleisenbahn-Reiches möglich machen.
Ob die knifflige Aktion klappen würde, stand bis kurz vor Beginn nicht fest. Schließlich hatte es die ganze Nacht geregnet – und schon bei einer Windstärke mehr wäre der Einseilakt zu gefährlich geworden. Umso erleichterter war die Wunderland-Crew, als Kranführer Alexander Lorenz um kurz nach sechs das Startkommando bekam.
Brücke als Übergang zu "neuen Welten"
Frederik Braun war besonders berührt, auch wenn wegen der Corona-Beschränkungen auf das eigentlich mal vorgesehene Showprogramm mit Tausenden Zuschauern verzichtet werden musste. „Auf diesen Tag habe ich seit 14 Jahren gewartet“, sagt der 52-Jährige, der das Miniatur Wunderland 2001 zusammen mit seinem Zwillingsbruder gegründet hatte.
„Ich erinnere mich genau den Tag, als ich an der Luke unseres Speichers stand und eher im Spaß gesagt habe, dass wir irgendwann eine Brücke bauen und auf der anderen Seite neue Welten erschaffen. Die Idee hat mich nie wieder losgelassen und ich habe viele Jahre darum gerungen, dass sie Wirklichkeit wird. Für mich ist dieser Moment genau zu dieser ungewissen Zeit wahnsinnig emotional, macht mich glücklich und stärkt meinen Glauben an die Zukunft.“ Trotz aller Sorgen wegen der Coronapandemie.
3000 Quadratmeter neue Fläche im Speicher D
Denn im jetzigen Domizil der Wunderlandes ist jeder der 7000 Quadratmeter im Speicher mit Anlage, Werkstätten, Büros, Warteraum oder Sonderausstellungen gefüllt. „Wir platzen buchstäblich aus allen Nähten“, sagt Braun. Nach der Fertigstellung des neuen Monaco-Abschnitts wäre ohne die Erweiterung mit dem Weiterbauen endgültig Schluss gewesen.
So ist die neue Fußgängerbrücke, die in Zusammenarbeit mit der HHLA und dem Denkmalschutzamt entstand, gleich in zweifacher Hinsicht ein Aufbruch zu neuen Ufern: Sie verbindet künftig das bestehende Miniatur Wunderland im Speicher D mit der neuen 3000 Quadratmeter großen Fläche im Speicher L auf der anderen Fleetseite. Dort soll bald das neue Südamerika-Modell einziehen.
Eröffnung des Südamerika-Modells 2022 geplant
„Seit zwei Jahren bauen wir gemeinsam mit der Familie Martinez direkt in Buenos Aires an dem 250 Quadratmeter großen Modell von Südamerika“, so Frederik Braun. „Der erste Teil, Rio, ist gerade fertig geworden und steht kurz vor der Verschiffung.“
Die Eröffnung des neuen Speichers sowie des Südamerika-Abschnitts ist für Sommer/Herbst 2022 geplant. „Ob wir danach Teile Asiens oder Afrikas, doch England, vielleicht eher die Niederlande oder etwas ganz anderes bauen, wollen wir heute noch nicht festlegen“, so Braun.
Kleine Züge und Besucher können ab 2022 die Brücke überqueren und werden auf der anderen Seite des Fleets auf einem anderen Kontinent landen.
Zehn Jahre Planung für neue Fleetbrücke
Auftraggeber und Bauherr der neuen Ausstellungsflächen ist das Immobilien-Segment der Hamburger Hafen und Logisitik AG (HHLA Immobilien). Zwischen der Entscheidung für den Brückenbau bis zum Einhub lagen rund zehn Jahre, hieß es am Mittwoch von der HHLA.
„Das ist schon ein großartiger Moment. Wenn man so lange ein solches Projekt begleitet, dann ist es etwas Besonderes, dieses Bauwerk endlich an dem Platz zu sehen, an den es gehört“, sagt Rainer Schluff, technischer Geschäftsführer bei HHLA Immobilien. Als Unterstützung für den Ausbau des Miniatur Wunderlandes würde sie zu einer weiteren Belebung des Viertels in Richtung Sandtorkai führen, so Schluff.
Brücke bietet Ausblick über Kehrwiederfleet
Die 25 Meter lange Stahlkonstruktion wurde in den vergangenen Tagen von einem Tieflader aus einem Werk nahe Kassel über die A7 bis in die Speicherstadt transportiert. Damit Besucher einen freien Blick auf das Kehrwiederfleet haben, ist die Brücke vollverglast und entspiegelt. Außerdem verläuft sie leicht abfallend von Block D zum Speicher L, der zurzeit von der HHLA aufwendig saniert werde.
Als um kurz nach sieben Uhr die Brücke den Block L überquert hatte und die absturzgesicherten Spezialisten den ersten Bolzen an der Brücke befestigten, konnte man auch Gerrit Braun die Erleichterung im Gesicht ablesen.
"Kirmes" nach Vorbild des Hamburger Doms eröffnet
Erst Ende Juni hatten die Brüder eine neue Fläche vorgestellt: Das Vergnügungsviertel "Kirmes" erstreckt sich über acht Quadratmeter im Mitteldeutschland-Bereich. Als Vorbild galt, trotz des anderen Namens, der Hamburger Dom.
Mit dem Bau der Kirmes hatten die Brüder und ihr Team im April vorigen Jahres begonnen und – abgesehen von einer zweimonatigen Coronapause – insgesamt 24.500 Arbeitsstunden und 750.000 Euro Baukosten hineingesteckt.
Weniger Besucher: Sorgen auch im Miniatur Wunderland
Die Expansionspläne für das Wunderland sind mutig, denn angesichts der Coronakrise schauen die Brüder Braun, die aus dem Nichts eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten Deutschlands geschaffen haben, derzeit weniger optimistisch in die Zukunft als sonst.
Nach der Schließung konnte ihr Miniatur Wunderland zwar am 20. Mai wieder öffnen – doch unter strengen Abstandsregeln und mit deutlich wieder Besuchern. Nur 20 Prozent der sonst üblichen Besucher sind derzeit angesichts der Beschränkungen in der Modelleisenbahnwelt zulässig. Erst Mitte Juni hatten Frederik und Gerrit Braun einen Hilferuf gesendet.
Mit den niedrigen Besucherzahlen senke man zwar den monatlichen Verlust – mehr aber auch nicht. Wenn es keine Besserung gebe, halte man dies noch bis Anfang kommenden Jahres durch, aber dann werde es eng. Der Senat hat bereits Hilfen angekündigt.