Hamburg. Kreativ gegen die Pandemie: Warum es sich lohnen kann, sich der aktuellen Situation anzupassen und jetzt einen Laden zu eröffnen.
Die Leute standen in einer langen Schlange auf der Spitalerstraße, als Maisons du Monde am Wochenende seine Flagship-Filiale in Hamburg eröffnete. Wer nur einen Blick in den Eingang warf, wurde von Wartenden gleich angeherrscht, man stehe hier schon sehr lange und solle sich hinten anstellen. Das müssen ja unfassbare Dinge sein, die es da drinnen zu erwerben gibt, dachte man sich – und reihte sich nur so aus Neugier ein. Worauf waren alle diese Kunden scharf? Auf ein iPhone zum halben Preis? Auf eine Corona-Impfung? Auf einen limitierten Air-Jordan-Turnschuh? Nein, es ging um Einrichtungsgegenstände und Dekorationsartikel. Sehr schöne Möbel und Accessoires, zugegeben.
„Doch so viele Menschen haben wir gar nicht erwartet“, sagt Anne Rollet. Die Country Manager Deutschland von Maisons du Monde ist extra aus Frankreich eingeflogen, um die neue „Welt der Wohnkultur“ in Hamburg zu eröffnen. Innerhalb von sechs Wochen wurden 1099 Quadratmeter auf zwei Etagen umgebaut. 19 neue Mitarbeiter arbeiten jetzt hier, sie wuseln zwischen Sofas, Geschirr, Spiegeln, Leuchten und glitzernden Einhorn-Schlüsselanhängern herum und trügen nicht alle Masken, hätte man ein normales Shoppinggefühl. „Die Eröffnung hatten wir schon vor der Pandemie geplant, doch wie man sieht, läuft das Leben trotz allem weiter“, so Rollet.
Maison du Monde ist in zwölf Ländern mit mehr als 360 Filialen vertreten
Die Marke ist mit einer Palette an Produkten und Dienstleistungen für alle Stile, Wünsche und Budgets groß geworden. Mindestens ein Viertel des Umsatzes wurde bislang über die e-Commerce-Plattform abgewickelt. Im Lockdown stieg er um mehr als 50 Prozent. Wer seit April versuchte, online einen Sekretär oder Teppich zu bestellen, musste teilweise zwei Monate anstatt zwei Wochen Wartezeit in Kauf nehmen.
Doch auch der stationäre Handel spielt weiter eine Rolle für die Firma. Maison du Monde ist in zwölf Ländern mit mehr als 360 Filialen vertreten. Die Eröffnung in der Hansestadt sei für das Unternehmen sehr wichtig gewesen, sagt der Expansionsleiter André Rajic, denn die Hamburger hätten ein gutes Gespür für Schönheit.
Service ist wichtig
Dennoch: Neueröffnungen mitten in der Krise erscheinen gewagt. Was, wenn coronabedingt alle Geschäfte geschlossen werden? Die hohen Mietkosten bleiben. „Kreativität ist nun das A und O“, sagt Eldar Beckel. Der Store Manager von Slowear feierte die Eröffnung seines Ladens am Neuen Wall digital. Die Philosophie des Modelabels besteht darin, nicht jedem Trend hinterherzulaufen, sondern Hosen, Hemden und andere Oberbekleidung für Männer zu entwerfen, die aufgrund ihrer Qualität sehr lange halten. Der Loungebereich in dem neuen Geschäft wirkt so gemütlich, dass man am liebsten dort Kaffee trinken würde. „Können Sie, sollen Sie! Kaffee oder Prosecco?“, fragt Beckel.
Es ginge heutzutage nicht mehr darum, Kunden mit einem Kauf abzuwickeln, sondern sie langfristig an sich zu binden. Und wie geht das? „Mit besonderem Service“, erklärt der Store Manager. „Man kann bei uns einkaufen, ohne den Laden überhaupt zu betreten.“ In Pandemie-Zeiten natürlich ein Vorteil. Wer die angeblich „beste Hose der Welt“ von Incotex erwerben möchte, sucht sich online die Materialien aus und bestellt dort oder per Telefon im Laden. Ein Mitarbeiter kommt dann zum Käufer nach Hause, steckt das Kleidungsstück ab und bringt es zum Schneider. Der Butler-Service kostet nichts extra. Selbst wenn die Läden schließen, kann Slowear auf diese Weise weiterhin verkaufen. Bei den Filialen des Unternehmens in Italien lief die Bestellung aus der Ferne während des Lockdowns sehr erfolgreich. Der Service lohnt sich. „Wer nicht mit der Zeit geht, wird es nicht schaffen“, glaubt Beckel.
Es kann jetzt sogar schlau sein, ein Geschäft zu eröffnen
Der Store Manager glaubt aufgrund der hohen Infektionszahlen nicht an ein Weihnachtsgeschäft. Dennoch wirkt er relativ entspannt. Man müsse auch mal die Vorteile benennen, gibt Beckel zu bedenken: „Aus betriebswirtschaftlichen Gründen kann es jetzt sogar schlau sein, ein Geschäft zu eröffnen, weil man die Preise besser verhandeln kann.“ Viele Vermieter seien froh über Nachmieter.
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Andere Mieter überlegen sich ein neues Konzept, um auf diese Weise zu überleben. So Jost Westerburg, der erst dieses Jahr einen sechsstelligen Betrag investierte, um ein Bistro in Eppendorf zu eröffnen. Die Zwangsschließung im November empfand er als extrem demotivierend, allein auf das Außer-Haus-Geschäft wollte er nicht setzen. Doch statt zu jammern, sprach der Gastronom regionale Partner wie die Hamburger Brauerei Ratsherrn oder den Feinkost-Lieferanten Tranquilo an, und nun verwandelt sich sein Bistro Blomquist an der Hegestraße in nur sieben Tagen in einen Feinkostladen. Am Mittwoch hat die Blomquist-Neuerfindung eröffnet. Der Chef sagt: „Man muss die Herausforderungen der Krise annehmen und sich anpassen.“