Hamburg. Mehr als 2500 Freiwillige haben sich beim UKE gemeldet und wollen an der ersten klinischen Phase der Impfstudie teilnehmen.

Für klinische Studien müssen Forschende oft um freiwillige Probanden ringen. Nicht so bei der Erprobung potenzieller Wirkstoffe zum Schutz vor dem neuartigen Coronavirus. Dabei wollen viele Menschen helfen – auch in Hamburg: Mehr als 2500 Freiwillige haben sich schon beim Uniklinikum Eppendorf (UKE) gemeldet und Interesse bekundet, an der ersten klinischen Phase einer Impfstudie teilzunehmen.

Nun hat das Warten ein Ende: Nachdem das auf Bundesebene zuständige Paul-Ehrlich-Institut und die Ethikkommission der Hamburger Ärztekammer ihr Einverständnis gegeben haben, kann das UKE-Team um die Infektiologin Prof. Marylyn Addo loslegen.

Corona-Studie: Probanden müssen gesund sein

Die Wissenschaftler werden aus dem großen Kreis der Freiwilligen zunächst einige Menschen im Alter von 18 bis 55 Jahren zu einer Voruntersuchung einladen. Um an der Studie teilzunehmen, müssen Probanden gesund sein und dürfen keine Vorerkrankungen haben.

Zudem muss ein Antikörpertest zeigen, dass keine Immunität gegen Sars-CoV-2 infolge einer schon durchgemachten Corona-Infektion vorhanden ist. Andernfalls ließe sich kaum eindeutig nachvollziehen, ob der potenzielle Impfstoff für einen Schutz sorgt.

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Voraussichtlich ab Mitte Oktober werden die UKE-Wissenschaftler dann 30 ausgewählte Freiwillige zwei Mal innerhalb von vier Wochen impfen, wobei zum Start aus Sicherheitsgründen zunächst nur ein Proband geimpft werden soll und erst 24 Stunden später die nächsten zwei Probanden.

Probanden werden sechs Monate lang untersucht

In den folgenden sechs Monaten werden die Forschenden die Probanden regelmäßig untersuchen, Impfstellen anschauen, Blut abnehmen, mögliche Nebenwirkungen wie Fieber, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen dokumentieren und messen, ob sich Immunreaktionen zeigen.

Weil sich die meisten Nebenwirkungen innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung zeigen, wie Marylyn Addo erläutert, kann gegen Ende des Jahres parallel zur ersten Studie schon eine zweite größere Studie beginnen, die an bis zu zehn deutschen Behandlungszentren stattfinden und insgesamt 600 Probanden einschließen soll, unter ihnen auch Menschen über 55. Diese Prüfung soll weitere Ergebnisse zur Sicherheit des Impfstoffs liefern, zudem aber auch zeigen, welche Dosis geeignet ist.

42 Corona-Impfstoffkandidaten weltweit in klinischer Erprobung

Weltweit in der klinischen Erprobung sind aktuell nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 42 Corona-Impfstoffkandidaten. Die beteiligten Unternehmen und Konsortien aus Firmen und Kliniken testen dabei Impfansätze, mit denen sie schon vor der Corona-Epidemie Erfahrungen gesammelt haben, wie Susanne Stöcker, Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts erläutert.

Einige Firmen setzen auf Substanzen, die wie herkömmliche Schutzimpfungen funktionieren. Dabei handelt es sich um inaktivierte Sars-CoV-2-Viren, die Probanden gespritzt werden und für eine Immunreaktion und damit für einen Schutz vor Infektionen sorgen sollen.

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Der Nachteil des herkömmlichen Verfahrens im Fall von Sars-CoV-2: Um nach einer Zulassung große Mengen eines Impfstoffs herzustellen, müsste der Erreger in Zellkulturen unter enorm verschärften Sicherheitsbedingungen vermehrt und dann inaktiviert werden – das könnte viel Zeit kosten.

Schneller und einfacher lassen sich genbasierte Impfstoffkandidaten herstellen, denn der gesamte Schritt der Virusvermehrung ist dafür nicht nötig; die verwendeten Erbgutanteile des Virus lassen sich zügig chemisch produzieren.

UKE setzt auf Vektor-Impfstoff gegen Corona

Einige Firmen und Kliniken erproben sogenannte mRNA-Impfstoffe. Dabei wird dem Patienten ein Stück Erbgut des neuartigen Coronavirus gespritzt. Anhand dieses Bauplans stellt der Körper dann Proteine des Erregers her. Das Immunsystem soll merken, dass es sich um Fremdlinge handelt, und reagieren – so zumindest die Theorie.

Andere Konsortien setzen auf Vektor-Impfstoffe gegen Corona – so etwa das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), mit dem die UKE-Wissenschaftler um Marylyn Addo zusammenarbeiten. Dabei konnten die DZIF-Forscher auf Vorarbeiten für eine Impfung gegen MERS – ein anderes gefährliches Corona-Virus – aufbauen. Sie hatten in ein abgeschwächtes Pockenvirus, das schon während der Impfkampagne zur Ausrottung der Pocken zum Einsatz gekommen war, Protein-Erbgut des MERS-Virus eingebaut und diesen Impfstoff dann Probanden gespritzt.

In einer ersten klinischen Studie mit 23 Probanden habe sich bei 87 Prozent der Probanden eine Immunantwort in Form von Antikörpern und T-Zell-Antworten gegen MERS gezeigt, berichteten die Forscher im April im Fachjournal „Lancet Infectious Diseases“. Dabei seien nur milde Nebenwirkungen auftreten.

Weil diese Ergebnisse vielversprechend waren, bauten die Forscher in das abgeschwächte Pockenvirus anstelle von Erbgutstücken des Mers-Erbgut ein Stück Protein-Erbgut von Sars-CoV-2 ein. Und: Zumindest in Versuchen mit Mäusen zeigten sich die gewünschten Immunreaktionen, die Tiere waren anschließend geschützt gegen Sars-CoV-2.

"Wir müssen testen, ob Antikörper und T-Zellen-Antworten nachweisbar sind"

Aufbauend auf den Ergebnissen der Tierversuche sei die Hoffnung berechtigt, dass es auch beim Menschen zu einer Schutzwirkung komme, sagt UKE-Infektiologin Marylyn Addo. „Wir können das aber nicht einfach annehmen, wir müssen es testen, ob auch hier Antikörper und T-Zellen-Antworten nachweisbar sind.“

Im „Wettlauf“ um Corona-Impfstoffe, von dem in den Medien zuletzt oft die Rede war, sind Addo und ihre Mitstreiter vergleichsweise spät dran. Etliche andere Impfstoffkandidaten sind schon in der dritten Phase der klinischen Prüfung. Zumindest soweit es mRNA-Impfstoffkandidaten betreffe, könne ein „Vorsprung“ damit zusammenhängen, dass sich diese Kandidaten schneller herstellen ließen als Vektor-Impfstoffe, sagt Addo. Einen Einfluss auf die Geschwindigkeit der Tests hätten womöglich auch die finanziellen Möglichkeiten großer Pharmakonzerne wie Pfizer, AstraZeneca und Sanofi, die hinter einigen Impfstoffkandidaten stehen.

Addo: „Wir gehen davon aus, dass es mehrere Impfstoffe geben wird"

Zu bedenken sei: „Noch wissen wir nicht, ob die anderen erprobten Corona-Impfstoffe helfen werden“, sagt Addo. Und: Auch wenn sich eine Schutzwirkung zeigte, könnte es etwa sein, dass ein Impfstoff nur einer bestimmten Altersgruppe helfe oder einer bestimmten Altersgruppe zwar helfe, aber starke Nebenwirkungen habe – dann bräuchte es andere Impfstoffe, um die „Lücken“ zu füllen. „Wir gehen davon aus, dass es mehrere Impfstoffe geben wird, die zugelassen werden. Nur so lässt sich wahrscheinlich auch eine Verfügbarkeit für sehr viele Menschen weltweit sicherstellen“, sagt Addo.

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Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) erklärte vor Kurzem in Berlin, dass ab Mitte nächsten Jahres die ersten Impfstoffe bereit stehen könnten. Marylyn Addo dämpft die Erwartungen für die nun in Hamburg startenden Tests: „Für unseren Impfstoff kann ich relativ sicher sagen, dass er nicht schon Mitte nächsten Jahres breit verfügbar sein wird, weil wir bis dahin noch nicht die Phase-3-Studie abgeschlossen haben werden.“

Lesen Sie hier das Abendblatt-Dossier: Der Corona-Ausbruch – was im UKE geschah