Hamburg. Opposition greift mangelnde Aufarbeitung und Transparenz nach Tod von Patienten an. Wissenschaftssenatorin im Fokus der SPD.
Fast fünf Monate nach dem Corona-Ausbruch auf der UKE-Krebsstation hat die verantwortliche Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) auf Abendblatt-Anfrage angekündigt, die Geschehnisse auch anhand eines detaillierten Berichtes aufarbeiten zu wollen, den sie nun vom UKE angefordert habe. Sie habe Ende April bereits Mitglieder des Kuratoriums zu einer Telefonkonferenz eingeladen, bei der der Vorstand dem Aufsichtsgremium Rede und Antwort gestanden habe, "und auch zum jetzigen Zeitpunkt werden wir die offenen Fragen klar adressieren und beantworten", so Fegebank. "Deshalb habe ich einen detaillierten Bericht zu den Ursachen, möglichen Versäumnissen und präventiven Maßnahmen angefordert." Am Wochenende hatte das Abendblatt die Hintergründe des Ausbruchs, bei dem 22 Patienten infiziert wurden und elf starben, in einem sechsseitigen Dossier ausgeleuchtet.
„Das UKE und die zuständigen Behörden haben ein hohes Interesse daran, dass die Umstände aufgeklärt werden“, sagte Fegebank dem Abendblatt. „Ende April habe ich die Mitglieder des Kuratoriums zu einer Telefonkonferenz eingeladen, bei der der Vorstand dem Aufsichtsgremium Rede und Antwort stand und auch zum jetzigen Zeitpunkt werden wir die offenen Fragen klar adressieren und beantworten. Deshalb habe ich einen detaillierten Bericht zu den Ursachen, möglichen Versäumnissen und präventiven Maßnahmen angefordert.“ Der Ausbruch und seine Folgen bedeuteten „für viele Menschen unaussprechliches Leid“, sagte Fegebank. „Mich hat das sehr traurig gemacht und ich spreche den Angehörigen mein tiefes Mitgefühl aus“, so die Grünen-Politikerin. „Das UKE sieht sein oberstes Ziel darin, Menschenleben zu retten – täglich verlassen geheilte und genesene Menschen die Klinik. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Beschäftigten am UKE jede Minute für genau dieses Ziel kämpfen.“
UKE zeigte sich "tief betroffen" über die Geschehnisse
Gegenüber dem Abendblatt hatte sich die UKE-Führung „tief betroffen“ über die Geschehnisse gezeigt. Es sei frühzeitig eine Reihe von Maßnahmen getroffen worden, um das Risiko von Infektionen im Klinikum zu minimieren – darunter spezielle Schulungen der Mitarbeiter und Kontaktbeschränkungen. Zudem seien nach Bekanntwerden der Fälle in der Onkologie sofort alle erforderlichen Maßnahmen getroffen und die Meldewege eingehalten worden. Über diese „zielgerichteten und effektiven“ Schritte hinaus sei auch eine interne Analyse der Vorgänge erfolgt. Das Hygienekonzept werde fortlaufend weiterentwickelt, seit April habe es keine ähnlichen Vorfälle mehr gegeben.
Lesen Sie das große Abendblatt-Dossier: Der Corona-Ausbruch – was im UKE geschah
Im Senat wird derweil die Rolle der Wissenschaftssenatorin hinterfragt. Aus SPD-geführten Behörden ist leise Kritik an Fegebank zu hören. „Es wurde ja bemerkenswert offen zugegeben, dass ihre Behörde bereits sofort über die ersten Fälle Bescheid wusste“, heißt es. Fegebank habe aber offenbar keine Veranlassung gesehen, energisch nachzufragen.
UKE: Die ersten vier Corona-Fälle nicht als Ausbruch eingestuft
Die ersten vier Fälle im März – zwei Patienten und zwei Mitarbeiter – wurden auch vom UKE nicht als Ausbruch eingestuft und entsprechend nicht dem dafür zuständigen Gesundheitsamt Nord gemeldet. Stattdessen wurden die jeweils nach Wohnort der Betroffenen zuständigen Gesundheitsämter über die Einzelfälle informiert. Die Sonderstellung des UKE hat auch politische Bedeutung. So ist die Wissenschaftsbehörde formal die Aufsichtsbehörde, tritt in der Praxis aber häufiger als Fürsprecherin des Universitätsklinikums auf. Die frühere Gesundheitsbehörde, inzwischen in der Sozialbehörde aufgegangen, galt dagegen als deutlich kritischer gegenüber dem UKE. Sie übt über die Gesundheitsämter auch die Fachaufsicht aus.
„Mit Entsetzen haben wir vom wahren Ausmaß des Corona-Ausbruchs erfahren“, sagte Linken-Gesundheitspolitiker Deniz Celik am Montag. „Es zeigt sich, dass nicht alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden sind. Die versprochene Aufklärung ist bis heute weder vom UKE noch vom Senat passiert und das macht das Ganze noch schlimmer.“ Die Öffentlichkeit erwarte „eine Antwort auf die Frage, wie solche tragischen Ereignisse in Zukunft verhindert werden können“, so Celik. „Stattdessen begegnen uns eine eine mangelhafte Fehlerkultur und Intransparenz.“ Weder das UKE noch Fegebank seien bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Eine Strafanzeige wegen versuchten Mordes
CDU-Gesundheitspolitiker Richard Seelmaecker sagt, es mute „merkwürdig“ an, „dass der Senat die Ergebnisse der Aufarbeitung des Ausbruchs noch zurückhält“. Er gehe „davon aus, dass der Senat die Bürgerschaft umfassend informiert, sobald die noch zu erwartenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen“, so Seelmaecker. „Alles andere ist den Bürgern nicht zuzumuten.“ Die FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein sagte: „Der massive Corona-Ausbruch im UKE muss weiter aufgearbeitet werden. Die Recherche des Abendblatts ist ein sehr wichtiger Beitrag dazu.“ Nur nach einer schonungslosen Aufarbeitung könnten die richtigen Schlüsse gezogen werden, „um die Hamburger vor einer Wiederholung dieses tragischen Ausbruchs zu schützen“.
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Grünen-Gesundheitspolitikerin Gudrun Schittek sagte, die Todesfälle machten sehr betroffen. „Wir sind uns sicher, dass das UKE alles dafür tun wird, um die Umstände aufzuklären.“ Nun müssten die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abgewartet werden.
"Jedes Ausbruchsgeschehen verlangt eine detaillierte Aufklärung"
Nach dem Bekanntwerden von damals mehr als 40 bestätigten Fällen in der Onkologie waren zwei Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. Diese betrafen eine Reinigungskraft und Verantwortliche des UKE, ohne dass darin konkrete Namen genannt wurden. Die Strafanzeigen lauteten bei ersterer auf versuchtem Mord, bei der Leitung des Klinikums auf fahrlässige Körperverletzung, offenbar durch ein „Organisationsverschulden“. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft betonte auf Anfrage, dass ein Anfangsverdacht weiterhin geprüft werde. Wesentlich für die Beurteilung, ob es weitere Ermittlungen geben wird, sei ein in Auftrag gegebenes Gutachten – unabhängig von dem Bericht des UKE sollen Sachverständige darin die Infektionswege nachvollziehen.
„Nicht alle Kliniken waren hinsichtlich solcher Ausbrüche präventiv gut organisiert“, sagte Peter Walger, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, dem Abendblatt. „Oft fielen Schwachstellen erst auf, wenn es bereits zu Ausbrüchen gekommen war. Dabei muss man Ausbrüchen im Gesundheitswesen besonders intensiv vorbeugen, weil Patienten zu den gefährdetsten Personengruppen gehören.“ Es sei „eine fast detektivische Arbeit, mit umfassenden Analysen herauszufinden, wie ein Ausbruch verlaufen ist und wo er seinen Anfang genommen hat“, so Walger. „Aber es ist nötig und man muss das von den Kliniken verlangen. Wir müssen aus solchen Ausbrüchen lernen, um Patienten und Personal besser zu schützen.“
Jedes Ausbruchsgeschehen habe auch „immer eine Komponente der externen Kommunikation“, so Walger weiter. „Die Kliniken müssen klar sagen: Wir handeln jetzt sofort zum Schutz aller. Und wir machen danach eine maximal transparente Untersuchung, wie es zu dem Problem kommen konnte. Und dann müssen die Kliniken das auch wirklich tun und es nicht bei einem leeren Versprechen belassen. Man muss verlangen, dass so ein Geschehen offensiv von der betroffenen Klinik aufgeklärt wird. Da gibt es gute Beispiele in Deutschland – aber leider auch schlechte.“