Hamburg. Im Rahmen des Deckelbaus spitzt sich der Hochtief-Tarifkonflikt zu. Beschäftigte versammeln sich zur letzten Warnung an der Autobahn.

Warnstreiks in Hamburger Kitas, Warnstreiks der Bus- und U-Bahn-Fahrer bei der Hochbahn, am heutigen Freitag erneut Warnstreiks bei der Hamburger Stadtreinigung – und nun schwappt die Welle der harten Tarifauseinandersetzungen und Arbeitsniederlegungen auch auf die Bauwirtschaft in der Hansestadt über: Noch vor den Stadtreinigern legte ein großer Teil der Hamburger Beschäftigten des Baukonzerns Hochtief die Arbeit nieder, um für mehr Lohn und Gehalt zu demonstrieren.

Den Ort, den die Bauarbeiter und Ingenieure – darunter gut ein Drittel Frauen – für ihre Kundgebung ausgewählt hatten, garantierte maximale Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit: Die Baustelle des Stellinger Tunnels auf der A 7. Die Demonstranten zogen auf den abgesperrten Fahrstreifen der Autobahn zur Kundgebung vor die Einfahrt des Westtunnels, durch den voraussichtlich zum Jahresende erstmals der Verkehr rollen wird. Gleich nebenan quälten sich Tausende Auto- und Lkw-Fahrer im Stop-an-Go über je zwei Fahrstreifen pro Richtung – und schickten bisweilen ein freundliches Hupen herüber.

Der Ort des Protests war bewusst gewählt

„Hier haben wir reichlich Platz, um uns auch unter Corona-Bedingungen versammeln zu können“, sagte Matthias Maurer, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende für den Bereich Baubetrieb bei Deutschlands größtem Bauunternehmen und Vorsitzende des Hamburger Bezirksverbands der Gewerkschaft IG Bau (Bauen, Agrar, Umwelt). Außer Helm, Warnweste, Fahnen, wie bei Warnstreiks üblich, trugen die Demonstranten Mund-Nasen-Schutz, hielten Abstand. „Dass der Schutz vor Corona immer Vorrang haben muss, ist einer der Punkte, in denen wir uns mit dem Arbeitgeber einig sind“, sagte Maurer. In anderen Punkten ist man derzeit aber gar nicht einig.

Der Ort des Protests war aus noch einem anderen Grund gewählt. Es war ein mehr oder weniger deutlicher Hinweis, dass Gewerkschaft und Beschäftigte den Arbeitskampf auch eskalieren und auf die Straße tragen könnten. Betriebsratschef Maurer wollte die Karten zwar nicht ganz offen auf den Tisch legen – das ist so üblich in Tarifauseinandersetzungen. Er sagte aber ziemlich unmissverständlich: „So ein Warnstreik soll ja davor warnen, was passieren könnte, wenn es nicht zu einem vernünftigen Kompromiss kommt.“

Streik-Staus sind möglich

André Grundmann, der Regionalleiter der Gewerkschaft, wurde da schon deutlicher. „Die Strecke ist ein Nadelöhr für den Verkehr nach Schleswig-Holstein und Skandinavien. Weitere Streiks könnten zu langen Staus auf der A 7 führen“, sagte er.

André Grundmann, Regionalleiter der Gewerkschaft IG Bau im Norden.
André Grundmann, Regionalleiter der Gewerkschaft IG Bau im Norden. © Heiner Schmidt | Heiner Schmidt

Ein durchaus mögliches Szenario: Wird der Warn- zum unbefristeten Streik, „müssten wir die Baustelle gegen Streikbrecher absperren. Das würde dann den Verkehr auf der Autobahn beeinträchtigen“, sagte Grundmann – und beeilte sich, zu versichern: „Wir wollen solche Beeinträchtigungen nicht, aber wir sind bereit dazu und nehmen das dann in Kauf.“ Im Klartext: Gibt es keine Tarifeinigung, dürfte es eher früher als später Streik-Staus geben auf der A 7.

Seit Juni keine Gespräche mehr

Gestritten wird bei Hochtief über die nächste Lohnerhöhung. Weil das Unternehmen Anfang 2017 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist, wird diese zwischen der IG Bau und dem Unternehmen gesondert ausgehandelt und im Haustarifvertrag festgeschrieben. Doch die Verhandlungen schleppen sich seit Monaten hin. Und die Forderung der Gewerkschaft nach 6,8 Prozent mehr Entgelt und das Angebot des Unternehmens nur 1,5 Prozent zu zahlen, liegen immer noch meilenweit auseinander. „Seit Juni hat es gar keine Gespräche mehr gegeben. Hochtief will uns offenbar am langen Arm verhungern lassen“, klagte Betriebsratschef Maurer.

Bislang habe sich nur die Arbeitnehmerseite bewegt, heißt es. „Nach dem Rekordjahr 2019 für die Bauwirtschaft haben wir die Forderung nach 6,8 Prozent Lohnplus zu Jahresbeginn und noch vor Corona aufgestellt“, so Grundmann. Offiziell steht diese Forderung zwar immer noch, doch längst ist allen Beteiligten klar, dass der Abschluss weit darunter bleiben wird. „Wir haben bereits im April, als noch völlig unabsehbar war, welche Auswirkungen die Pandemie auf die Branche haben wird, deutliche Signale in diese Richtung gegeben.“

Baubranche kommt erstaunlich gut durch die Krise

Mittlerweile ist klar: Die Baubranche kommt erstaunlich gut durch die Krise. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hob seine Jahresprognose an, erwartet für 2020 nun 3,5 Prozent mehr Umsatz als im Rekordjahr 2019, Hochtief hielt seine Erlöse im ersten Halbjahr stabil bei 11,9 Milliarden Euro. Grundmann wundert das nicht: „Die Kollegen haben durchgearbeitet und sogar mehr geleistet, weil Arbeiter aus Südosteuropa wegen Corona nicht auf die Baustellen in Deutschland zurückkehren durften. Nun wollen die Beschäftigten auch ihren gerechten Anteil.“ Für Hunderttausende andere Bauarbeiter hatten sich Gewerkschaft und Arbeitgeber vor Kurzem auf ein Lohnplus von 2,6 Prozent geeinigt. Zudem gibt es eine einmalige Corona-Prämie in Höhe von 500 Euro netto.

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Hochtief-Konzernsprecher Bernd Pütter sagte dem Abendblatt, die Verhandlungen über den Haustarif hätten sich verzögert, weil es noch keine Einigung über den Flächentarif gegeben habe. Nun sei das Unternehmen „zuversichtlich, dass wir uns mit der Gewerkschaft auf für alle Beteiligten faire Lösungen verständigen werden.“ Die nächste Verhandlungsrunde soll am kommenden Dienstag stattfinden. Vielleicht ist es die letzte Chance, Streik-Staus auf der A 7 noch abzuwenden.