Hamburg. Die Mitarbeiter im Bezirk Altona erklären, wie kompliziert und aufwendig ihre Arbeit ist – an sieben Tagen pro Woche.

Etwa zehn Papierstapel hat Iris Jungmann auf ihrem Schreibtisch verteilt. So hat sie den besten Überblick. Stapel mit aktuellen Listen zum Abtelefonieren, Listen mit Personen, die noch nicht erreicht wurden, welchen, die zur Kontrolle kontaktiert werden müssen, und so weiter. Und über das Mailpostfach kommen immer neue Listen dazu, neue Namen, Adressen, Telefonnummern. Rund 50 Telefonate führt Jungmann pro Tag. „Egal wie viel man arbeitet, die Stapel werden nicht mehr kleiner. Im Gegenteil. Wenn man mal zwei Telefonate geführt hat, sind in der Zwischenzeit wieder fünf Mails mit neuen Kontaktdaten dazugekommen.“

Jungmann arbeitet beim Gesundheitsamt Altona. Die 41-Jährige gehört zum Team „Kontaktnachverfolgung“. Eine Aufgabe, von der viel abhängt. Jungmann übermittelt positive Testergebnisse, fordert Kontaktlisten an, weist Quarantäne an und hebt sie nach im Schnitt zwei Wochen wieder auf.

Corona hat die Behörde ganz schön auf den Kopf gestellt. Seit März arbeiten die Mitarbeiter an sieben Tagen die Woche in verschiedenen Corona-Kompetenzteams. Die Kontaktnachverfolgung übernehmen sechs Personen, an manchen Tagen auch mehr. Je nachdem, wie lang die Listen sind. Heute ist ein normaler Tag. Und ein normaler Tag in der Pandemie, das heißt seit einiger Zeit in Hamburg: um die 80 neue Corona-Fälle pro Tag.

Enorme Arbeitsbelastung

Von diesen bekommt das Gesundheitsamt Altona die Fälle von den Laboren übermitteln, bei denen der Corona-Infizierte im Bezirk Altona gemeldet ist. Weitere Daten kommen von anderen Gesundheitsämtern, von Privatmenschen, von Teststationen, per Telefon, per Mail, per Post. „Die Arbeitsbelastung ist enorm“, sagt Susanne Pruskil, Leiterin des Gesundheitsamtes Altona.

„Am Anfang haben wir alle einfach nur sehr viel gearbeitet. Da habe ich gedacht, zwei, vier, sechs Wochen kann man das vielleicht schaffen.“ Inzwischen sind mehr als sechs Monate vergangenen. Sechs Monate, sieben Tage die Woche. Und ein Ende ist nicht in Sicht. „Alle hier haben am meisten damit zu kämpfen, dass das eine Langstrecke ist und wir noch nicht wissen, um was für eine Distanz es sich genau handelt.“

Die Arbeit ähnelt ein wenig der bei der Polizei

Klar ist nur: Auch auf der Langstrecke gibt es Sprint-Einheiten, die noch einmal mehr Tempo fordern als ohnehin schon. Infektionsgeschehen an Schulen, in Wohnunterkünften, in Senioren- oder Studentenheimen. „Da ist unsere Arbeit denn ein bisschen wie die Ermittlungsarbeit bei der Polizei. Wir müssen Zusammenhänge erkennen und dabei sehr schnell sein, um einen möglichen Großausbruch zu vermeiden“, so Pruskil.

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So wie neulich in der Bar „Katze“ auf dem Schulterblatt. Dort hatten sich kürzlich – Stand jetzt – 13 Menschen mit Corona infiziert. Und da die Bar im Bezirk Altona liegt, sind die Gästelisten zunächst beim Gesundheitsamt Altona gelandet. „Aber es war schnell klar, dass wir mit den Daten so nicht arbeiten können“, erinnert sich Pruskil. Bekanntermaßen war ein Großteil der Listen fehlerhaft. „In so einer Situation können wir kaum etwas machen. Wenn die Nummer und der Name falsch sind, dann haben wir keine Chance, jemanden zu erreichen.“

Die allermeisten Daten sind brauchbar

Fehlerhafte Angaben, gar keine Angaben, Zahlendreher. Wie oft kommt das vor? Iris Jungmann aus dem Kontaktverfolgungsteam möchte sich auf keine konkrete Zahl festlegen: „Es kommt immer wieder mal vor, aber die allermeisten Daten, die uns erreichen, sind brauchbar.“ Wie die Menschen reagieren, wenn sie erfahren, dass sie sich in Quarantäne begeben müssen? „Die meisten sind nett und höflich“, sagt Jungmann. „Aber im Unterschied zu den ersten Wochen im März und April gibt es inzwischen mehr Menschen, die mit uns diskutieren wollen.“ Und so dauerten die Telefonate inzwischen oft länger. Reden ohne Pause, immer dieselben Fragen klären, informieren, beruhigen, einordnen.

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„Bei den Kontaktlisten geht es erst mal darum, zu klären, ob es sich um einen Kontakt ersten oder zweiten Grades handelt. Sprich, ob die Person mit dem Infizierten mindestens 15 Minuten ohne 1,50 Meter Abstand zusammen war.“ Ist das der Fall, gilt – ob Symptome oder nicht – eine Quarantäne von 14 Tagen. Eine Botschaft, die dann Fragen aufwirft: Muss der Erstkontakt auch weitere Kontakte nennen? Wie ist es, wenn ich in einem sensiblen Bereich arbeite, zum Beispiel im Krankenhaus oder einer Schule? Was gilt für meine Familie? „Die Unsicherheiten sind groß“, sagt Jungmann. „Wir spüren, dass die Arbeit, die wir machen, wirklich wichtig ist.“ Wie hoch die Stapel und wie lang die Listen sind, ändert sich von Tag zu Tag. Es ist wie ein Spiegel des Stadtgeschehens. Während des Lockdowns wurden sie kürzer und mit jeder neuen Lockerung wieder länger.

Kontaktverfolgung ist komplexer als im Frühling

Zudem ist die Arbeit im Unterschied zum März und April komplexer geworden. „Damals war ja klar, dass bei einem Coronafall nur relativ wenig Menschen informiert werden mussten, weil ja fast alles geschlossen hatte“, sagt Pruskil. „Heute müssen wir vieles mitdenken. Schulen, Kitas, Arbeitsplatz, wer kann noch betroffen sein? Ein Fall zieht inzwischen deutlich größere Kreise“, so Pruskil.

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Und so blickt die Leiterin des Gesundheitsamtes Altona mit einem unguten Gefühl auf die kommenden Wochen. „Wir kennen das Leben mit Corona nur Frühling und Sommer. Die kalten Monate sind für uns alle eine Premiere.“ Zusätzlich zu Corona werden Grippefälle dazukommen, die Menschen werden mehr Zeit in geschlossenen Räumen verbringen, die Zahl der Neuinfektionen könnte steigen, und das öffentliche Leben muss trotzdem weitergehen. „Das ist eine Gratwanderung, das alles zusammenzubringen“, sagt sie. „Das Einzige, was Hoffnung macht, ist, dass wir alle inzwischen Erfahrungen haben, erprobter sind und wissen, wie wir uns verhalten müssen“, sagt sie. „Am Ende bleibt uns nichts anderes übrig, als einfach jeden Tag weiterzumachen.“ Stapel für Stapel, Liste für Liste, Nummer für Nummer. Und am nächsten Tag wieder von vorn.