Hamburg. Der Linken-Politiker ist ein Kritiker der Cum-Ex-Deals – aber hadert mit seiner eigenen Partei. Jetzt denkt er über Rückzug nach.

Er gilt als einer der klügsten Finanzexperten im Deutschen Bundestag: Hartnäckig hat Fabio De Masi an der Aufdeckung von Finanzskandalen wie Cum-Ex und Wirecard mitgewirkt – und tut es weiterhin. Seine Partei, Die Linke, dankt es ihm aber nur eingeschränkt – vielen ist der 40 Jahre alte Hamburger Abgeordnete nicht radikal genug. Jetzt denkt der stellvertretende Chef der Linkenfraktion über den Abschied aus der Politik nach.

Hamburger Abendblatt: Herr De Masi, die kriminellen Cum-Ex-Geschäfte der Finanzbranche sind seit Jahren eines Ihrer „Lieblingsthemen“. Jetzt will sogar die Hamburger CDU einen Untersuchungsausschuss in der Bürgerschaft beantragen, in dem es um den möglichen Einfluss der Politik auf die Steuerbescheide für die Warburg Bank gehen soll. Fühlen Sie sich bestätigt?

Fabio De Masi: Ja. Ich kämpfe seit Jahren gegen Finanzkriminalität und begrüße es sehr, dass die Union jetzt einen Untersuchungsausschuss in der Hamburger Bürgerschaft unterstützt. Denn nur hier in Hamburg können wir die ganze Wahrheit über die Warburg-Affäre ans Licht bringen.

Von welcher Wahrheit gehen Sie aus? Glauben Sie wirklich, dass Olaf Scholz oder Peter Tschentscher Einfluss auf das Finanzamt genommen haben, damit dieses keine Steuern von Warburg zurückfordert – oder passt es der Linkspartei nur politisch gut, den beiden öffentlich diese Fragen stellen zu können?

De Masi: Ich wollte immer, dass Die Linke ihre Politik auch durchsetzen kann, und nach Lage der Dinge kann sie das nur mit der SPD. Wenn der Kanzlerkandidat der SPD in den Seilen hängt, ist das also kein Grund zur Freude. Aber ich kann ja nicht meine Glaubwürdigkeit an den Nagel hängen, indem ich ignoriere, dass aus meiner Sicht Olaf Scholz dem Deutschen Bundestag die Unwahrheit gesagt hat – und zwar mir persönlich.

Sie spielen auf die drei Treffen des damaligen Bürgermeisters Scholz mit Warburg-Mitinhaber Christian Olearius in den Jahren 2016 und 2017 an, von denen er zwei bis vor Kurzem verschwiegen hatte, weil er sich angeblich nicht mehr daran erinnert.

De Masi: Genau. Ob Herr Scholz in diesen Steuer-Fall eingegriffen hat, kann ich nicht belegen. Aber es gibt starke Indizien. Er hat nach meiner Auffassung die Unwahrheit über die Treffen mit Warburg-Bankier Olearius gesagt. Sich auf Erinnerungslücken zu berufen ist nicht glaubwürdig. Ich vergesse auch mal etwas – aber nicht mehrere Gespräche, in denen es um mehr als 40 Millionen Euro für unsere Stadt ging. Sich als Bürgermeister mehrfach mit einem Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren zu treffen, das geht nicht. Das sieht auch der Chef der Steuergewerkschaft so. Oder hätte Olaf Scholz Immobilienhai Felix Osmani empfangen?

Auf welche Art von Belegen hoffen Sie? Dass sich irgendeine Akte findet, an die Scholz oder Tschentscher am Rand „Bitte keine Steuern eintreiben – Warburg ist wichtig für die Stadt“ geschrieben haben?

De Masi: Nein, das glaube ich nicht. Es ist aber auch bei Kriminalfällen selten der Fall, dass Täter ihre Telefonnummer am Tatort hinterlassen. Kriminalfälle werden immer auch mit Indizien gelöst. Vielleicht packt ja auch jemand aus?

An welche Indizien denken Sie zuerst?

De Masi: Wenn Herr Olearius Herrn Scholz ein Papier übergibt, dieser ihn dann später anruft und rät, das Papier ohne Kommentar dem damaligen Finanzsenator Tschentscher zu übergeben und es dann über den Finanzsenator an das Finanzamt wandert, dann ist das wie eine versteckte Botschaft der Politik an die Finanzbeamten. Und ich glaube einfach nicht, dass eine Finanzbeamtin sich allein über mehrere Wochen einer Weisung des Bundesfinanzministeriums widersetzt, das Hamburg ja mehrfach angewiesen hatte, die Steuern einzutreiben.

Aber es ist doch bekannt, dass die Beamtin keineswegs allein entschieden hat, sondern dass sie sich mindestens mit ihren Vorgesetzten und der Steuerverwaltung in der Finanzbehörde abgestimmt hat.

De Masi: Das bestätigt mich. Im Bürgerschaftswahlkampf im Februar wurde immer behauptet, das entscheide in Hamburg allein das Finanzamt, die politische Ebene habe damit nichts zu tun. Die Finanzbehörde ist aber das Finanzministerium von Hamburg.

Die Steuerverwaltung ist eine Abteilung in der Behörde, der Chef ein Abteilungsleiter und kein Politiker. Wenn der Fall bis dorthin gelangt ist, bedeutet das doch noch nicht, dass politisch Einfluss genommen wurde.

De Masi: Entweder wurde die Entscheidung, 43 Millionen Euro von Warburg nicht zurückzufordern, von kleinen Finanzbeamten getroffen – was ich nicht glaube, denn dann gehören die meiner Meinung nach vor die Tür gesetzt. Oder sie wurde mit Rückendeckung der Politik getroffen­. Das herauszufinden ist jetzt Aufgabe des PUA. Diese Aufklärung sind wir der Bevölkerung auch schuldig, schließlich will Herr Scholz Bundeskanzler werden.

Ist es nicht eine Ironie, dass Sie mit Ihrer Arbeit am Ende ein rot-rot-grünes Bündnis verhindern könnten?

De Masi: Es ist doch nicht meine Schuld, wenn Olaf Scholz sein Amtszimmer für einen Cum-Ex-Bankier öffnet und ihn dies Stimmen kostet. Ich glaube nicht, dass wir andere Mehrheiten in Deutschland erreichen, wenn ich bei Cum-Ex beide Augen zudrücke. Ich habe übrigens nichts persönlich gegen Herrn Scholz, ich mag seine Art. Aber wer bei mir Opposition bestellt, bekommt sie auch.

Treten Sie denn überhaupt wieder an? Es heißt, Sie haderten mit Ihrer Partei und dächten an Rückzug. Wie ist der Stand?

De Masi: Das bespreche ich zuerst mit meinem Landesverband. Es ist aber korrekt, dass ich mir über neue Herausforderungen Gedanken mache.

Warum?

De Masi: Das hat vor allem persönliche Gründe. Ich habe in den fast sieben Jahren, die ich im EU-Parlament und dann im Bundestag war, ganz gut Rock ’n’ Roll gemacht: Ob Lux Leaks, Panama Papers, Wirecard oder Cum-Ex – wir waren immer mit vorn dabei. Das wird einem linken Finanzpolitiker nicht geschenkt, dahinter steckt eine Menge Arbeit. Das hat einen hohen Preis. Und ich höre immer häufiger: Wir finden deine Arbeit gut, aber deinen Verein ein bisschen komisch.

Und was sagt der „Verein“?

De Masi: Es gibt bei uns so eine ungesunde Arbeitsteilung, die heißt: Du machst Finanzen und schön, wenn du ein paar Stimmen holst, und die anderen ziehen die Strippen in der Partei.

… und erschießen die Kapitalisten, wie eine Teilnehmerin auf einer Linken-Konferenz sagte?

De Masi: Dazu ist alles gesagt. Ein Beispiel, was ich meine: Man muss Rassismus in der Polizei hart bekämpfen, gerade nach den Vorfällen in Nordrhein-Westfalen. Aber wenn ich den bad cop vom good cop trennen will, muss ich auch die Arbeit von Polizisten würdigen, die oft soziale Probleme lösen müssen, die man mit Blaulicht und Handschellen gar nicht lösen kann. Wenn ich Polizisten aber das Gefühl gebe, dass die schon wegen der Uniform meine Gegner sind, bekomme ich vielleicht Beifall an der Uni – aber den Beamten mit Herz, der versucht, für ein bescheidenes Gehalt den Alltag bei mir auf St. Pauli ein Stück gerechter zu machen, den stoße ich vor den Kopf. Ich fand G 20 in Hamburg verantwortungslos und habe die Einsatzstrategie der Polizeiführung kritisiert, aber ich finde es genauso falsch, wenn Professorensöhnchen den VW Golf der Krankenschwester abfackeln. Das ist nicht links.

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Und das hören einige Ihrer Parteifreunde nicht so gern. Fühlen Sie sich etwas heimatlos?

De Masi: Nein, ich bin ein Linker und bin gerne in meiner Partei. Aber wir müssen wieder lernen zu streiten. Das ist bei uns manchmal wie beim Kirchentag, wo man erst mal ein Vaterunser beten muss. Das ist ein Phänomen nicht nur unter Linken. Aber für mich ist das ein Rückschritt. Eine Partei, die aus der Tradition der Arbeiterbewegung kommt, die für Solidarität kämpft und für sich in Anspruch nimmt, mitten im Leben zu stehen, die sollte Debatten nicht tabuisieren. Moria ist eine Schande für Europa. Man muss Grundwerte wie den Schutz von Flüchtlingen verteidigen und die AfD mit ihren schwarzen Kassen in der Schweiz hart anpacken. Aber wenn bei uns Leute Sahra Wagenknecht in die rechte Ecke stellen, weil sie in der Flüchtlingskrise sagte, dass wir auch Hilfe vor Ort brauchen, ist das nicht hilfreich. Wir dürfen nicht wie ein Handwerker auftreten, der noch nie eine Glühbirne reingeschraubt hat.

Klingt nach viel Frust. Aber wenn Sie auch noch gehen, wird es für die Partei nicht einfacher.

De Masi: Ich gehe ja nicht, sondern bleibe ein Linker. Ich wurde sogar gefragt, ob ich Parteichef werden will, aber das will ich nicht. Ich will meine Akkus aufladen. Es ist eine Ehre, den Menschen in Hamburg als Abgeordneter zu dienen. Die haben Anspruch darauf, dass ich 200 Prozent gebe. Und das werde ich bis zum letzten Tag auch tun.

Wann entscheiden Sie über Ihre Zukunft?

De Masi: Hoffentlich im Herbst.