Berlin. Im Finanzausschuss gerät das Bundeskanzleramt unter Druck – auch weil Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel für Wirecard lobbyierten.
Die Liste prominenter Politiker, die für das Skandalunternehmen Wirecard Lobbyarbeit im Bundeskanzleramt betrieben haben, hat es in sich. Hamburgs früherer Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gehört dazu, auch der frühere Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche (CSU) sowie der frühere Verteidigungs- und Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).
Und sie hatten offenbar Erfolg. Im September 2019 sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Aschheimer Skandalfirma, die für den womöglich größten Bilanzskandal der deutschen Geschichte verantwortlich ist, auf einer Chinareise an.
Wirecard: Hätte Merkel von den Vorwürfen wissen müssen?
„Es ist Usus, nicht nur in Deutschland, dass man bei Auslandsreisen natürlich die Anliegen von Unternehmen auch anspricht“, verteidigte sich Merkel am vergangenen Freitag bei ihrer Sommer-Pressekonferenz in Berlin.
Nur: Hätte sie 2019 nicht um die Vorwürfe gegen den einstigen Dax-Aufsteiger wissen müssen? War es leichtfertig, die Bedenken, die unter anderem die „Financial Times“ in einer Reihe von Artikeln abdruckte, zu ignorieren? Und wussten Deutschlands Geheimdienste etwas über den flüchtigen Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek, der offenbar so gerne mit seinen Geheimdienstkontakten prahlte?
Diese Fragen beschäftigten auch die Abgeordneten des Finanzausschusses des Bundestages. In der gestern begonnenen zweitägigen Sondersitzung zum Wirecard-Skandal nehmen sie eine Reihe von Politikern und Behördenvertretern ins Verhör.
So musste sich gestern unter anderem Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) den Fragen stellen, sie kündigte Reformvorschläge bei der Wirtschaftsprüfung an. Heute ist der Chef der Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld, an der Reihe. Die größte Erwartung war aber an die Vertreter des Bundeskanzleramtes gerichtet. Das Fazit fiel ernüchternd aus.
Zu Guttenberg heuerte per Privattermin bei der Kanzlerin an
„Es ist erschreckend, wie blauäugig im Bundeskanzleramt mit Lobbyismus umgegangen wird“, sagte Lisa Paus, Obfrau der Grünen im Finanzausschuss, nachdem der Finanzausschuss zwei Stunden lang die Vertreter des Bundeskanzleramtes, Merkels Staatsminister Hendrik Hoppenstedt und ihren Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller, befragt hatte.
Unter anderem sei bei der Befragung herausgekommen, dass Karl-Theodor zu Guttenberg nicht offiziell einen Termin als Wirecard-Vertreter einreichte – sondern einen Termin als Privatperson. Wirecard sei erst im Laufe des Gespräches Thema geworden.
Bei der Verknüpfung von Klaus-Dieter Fritsche, der nach seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt 2019 als Berater des österreichischen Innenministers Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ anheuerte, habe man dem Nachbarland helfen wollen, gab SPD-Obmann Jens Zimmermann die Aussagen der Kanzleramtsvertreter wieder. Selbst die Union schien nicht überzeugt.
Wie das Kanzleramt von den Vorwürfen nichts mitbekommen konnte? „Die Berichterstattung in der ,Financial Times‘ wurde offenbar nicht zur Kenntnis genommen“, sagte Unions-Obmann Hans Michelbach (CSU).
Neue Hinweise auf Aufenthaltsort von Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek
Auch die Rolle der deutschen Geheimdienste ist bisher weitestgehend ungeklärt – insbesondere im Hinblick auf den flüchtigen Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek. Der 40-jährige Österreicher galt bei Wirecard als Nummer zwei hinter dem Ex-Konzernchef Markus Braun. In Deutschland fahndet das Bundeskriminalamt (BKA) öffentlich nach Marsalek. „Bislang sind insgesamt Hinweise im mittleren zweistelligen Bereich eingegangen“, teilte eine BKA-Sprecherin unserer Redaktion mit.
Wie nun das „Handelsblatt“ unter Verweis auf einen Bekannten von Marsalek berichtet, soll der flüchtige Manager in einem Anwesen nahe Moskau sein – und sich unter Aufsicht des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR befinden, nachdem er zuvor unter Aufsicht des Geheimdienstes GRU gestanden haben soll. „Wir gehen allen Hinweisen zum Aufenthaltsort von von uns gesuchten Beschuldigten nach“, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I unserer Redaktion.
Der Finanzausschuss brachte ebenfalls keine näheren Erkenntnisse. Wie Teilnehmer der Sitzung berichteten, hätten die Kanzleramtsvertreter vorgebracht, dass den Geheimdiensten keine Informationen über den Aufenthaltsort von Marsalek vorlägen. Der für die Nachrichtendienste zuständige Staatssekretär Johannes Geismann war einer Einladung zur Sitzung nicht nachgekommen.
Für die Bundesregierung könnte es nun ungemütlich werden. Denn ein Untersuchungsausschuss rückt immer näher. FDP und Linke drängen die Grünen, sich den Plänen anzuschließen. Die Grünen wiederum wollen zunächst die Sondersitzungen abwarten – ließen aber bereits am Montag durchblicken, dass ein Untersuchungsausschuss wahrscheinlicher wird. Bei einem Untersuchungsausschuss können Zeugen zwingend vorgeladen werden – dann wäre wohl auch die Kanzlerin an der Reihe, sich vor den Abgeordneten zu Wirecard zu erklären.
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