Hamburg. Nach einer Sondersitzung bleiben Fragen an Olaf Scholz und Peter Tschentscher offen. Doch auch die CDU ist in einem Dilemma.

Eigentlich hätte Olaf Scholz schon am Mittwoch in Hamburg sein sollen. Doch seinen Auftritt bei der Eröffnung des Reeperbahn Festivals musste der Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat kurzfristig absagen – eine Erkältung. Corona war es nicht, wie ein Test schnell bestätigte. Was ein Glück war, denn so konnte Scholz am Donnerstag schon wieder bei Maybritt Illner im ZDF talken.

Den Auftritt in seiner Heimatstadt könnte der frühere Bürgermeister aber demnächst nachholen, wofür ausgerechnet sein Nachfolger Peter Tschentscher mit gesorgt hat. Denn die Haltung des heutigen Bürgermeisters, am Freitagabend nicht vor dem Haushaltsausschuss der Bürgerschaft zur Cum-Ex-Affäre um die Warburg-Bank auszusagen, dürfte für die CDU die letzte Argumentationshilfe sein, die sie noch brauchte, um einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zu beantragen – und in dem müsste dann neben Tschen­tscher wohl auch Scholz aussagen.

Noch am Wochenende wollen die Hamburger Christdemokraten in einer Telefonschalte darüber entscheiden, doch die Richtung ist klar: „Wenn der Bürgermeister nicht erscheint, ist die Wahrscheinlichkeit auf einen PUA recht groß“, meinte ein führendes CDU-Mitglied schon vor der Sitzung am Freitag.

Cum-Ex-Untersuchungsausschuss: das Dilemma der CDU

Dabei ist die Lage für die Partei durchaus knifflig: Einerseits ist es verlockend, den aktuellen Bürgermeister in einem Untersuchungssausschuss vernehmen zu können. Zudem sollen auch die Bundes-CDU und die CSU großes Interesse daran haben, den SPD-Kanzlerkandidaten Scholz im Wahlkampf 2021 mit seinen Treffen mit dem Warburg-Chef konfrontieren zu können.

Auf der anderen Seite ist den Christdemokraten, die gerade emsig bemüht sind, ihren einstigen Ruf als Partei der Wirtschaft aufzupolieren, auch bewusst, dass sie sich mindestens in der Finanzbranche keine Freunde machen würden, wenn sie die größte Privatbank der Stadt zum Gegenstand eines Untersuchungsausschusses machen würden.

Nicht jedem Unionsanhänger dürfte zudem gefallen, dass die CDU (15 Sitze) den PUA nur gemeinsam mit den Linken (13) durchsetzen kann, da sie allein nicht über die nötigen 20 Prozent der 123 Abgeordneten verfügt. Doch hier ist die CDU flexibel: Inhaltlich werde man sowohl mit Linken als auch der AfD zwar nicht zusammenarbeiten, lautet die Maxime. In formalen Fragen wie der Einsetzung eines PUA sei das aber denkbar. Anders als die AfD, die schon am Donnerstag mit der Forderung nach einem PUA vorgeprescht war, wollten die Christdemokraten aber zunächst die Sondersitzung des Haushaltsausschusses abwarten.

Wie Tschentscher sein Schweigen begründet

Der Erkenntnisgewinn dort war erwartungsgemäß überschaubar. Denn erstens war der anwesende Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) in die Vorgänge der Jahre 2016 und 2017 nicht involviert, weil er das Amt erst 2018 von Tschen­tscher übernommen hatte. Zweitens stand immer dann, wenn Dressel und die Experten der Steuerverwaltung vielleicht doch etwas Konkretes zum Fall Warburg hätten beitragen können, das Steuergeheimnis im Weg.

Was aus der Sicht der Opposition natürlich unbefriedigend war. Die Glaubwürdigkeit des Senats stehe infrage, aber er verstecke sich hinter Amtsgeheimnissen, kritisierte zum Beispiel Norbert Hackbusch (Linke). Auch Richard Seelmaecker (CDU) beklagte, dass der Senat nur Allgemeinplätze zur Arbeit der Steuerverwaltung berichte.

Das Steuergeheimnis war auch ein wesentlicher Grund dafür, dass der Bürgermeister sich an die geübte Praxis gehalten hat, dass in den Fachausschüssen des Parlaments die zuständigen Fachsenatoren Auskunft geben, nie aber der Regierungschef selbst. Tschentschers Sicht wird in seinem Umfeld so geschildert: Erscheine er nicht, gibt es möglicherweise einen PUA. Erscheine er und verweise bei konkreten Fragen auf das Steuergeheimnis, werde es auch heißen: Der Bürgermeister verschweigt uns etwas, daher braucht es einen Untersuchungsausschuss. Und für die Aussage, dass er nie Einfluss auf Entscheidungen der Finanzämter genommen habe, hätte er dort auch nicht zu erscheinen brauchen – das haben Tschentscher und Scholz schon x-mal betont. Auch Dressel erneuerte diese Aussage am Freitag mehrfach.

Warburg-Bank bestreitet Vorwürfe

Um zu verstehen, welche Fragen die Opposition und auch die Öffentlichkeit dennoch bewegen, muss man das Thema Cum-Ex einmal Revue passieren lassen: Dass diese Geschäfte, bei denen Banken und andere Beteiligte sich Milliarden an Steuern vom Fiskus erstatten ließen, die sie nie gezahlt hatten, „der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik“ waren – darüber sind sich alle Parteien einig. Was oft vergessen wird: Es waren Hamburger Finanzbeamte, denen diese Schweinerei zuerst aufgefallen war und die sie verfolgt haben.

Bekannt ist, dass auch Warburg an diesen Geschäften beteiligt war, dass das Hamburger Finanzamt daher 2016 rund 47 Millionen und 2017 noch einmal 43 Millionen Euro zurückfordern wollte, dann aber davon abgesehen hatte. Die Bank selbst nannte am Freitag in einer Stellungnahme etwas andere Zahlen, aber in ähnlicher Größenordnung, und sie betonte: Warburg habe „zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, steuerrechtswidrige Aktiengeschäfte zu betreiben“.

44 Millionen seien bereits im April 2020 zurückgezahlt worden. Für weitere 122 Millionen Euro, die das Finanzamt auf Grundlage eines Urteils des Landgerichts Bonn zurückfordere, stünden die Hauptgesellschafter der Bank ein – das beinhalte auch einen „angeblich verjährten Betrag“ – gemeint sind die 47 Millionen Euro. Dennoch teile man die Auffassung der Behörden und des Gerichts nicht und gehe dagegen vor.

Scholz’ und Tschentschers ominöse Treffen mit Olearius

Das führt zum springenden Punkt: Weil die Bank die Rückforderung für unzulässig hielt, suchte Warburg-Mitinhaber Christian Olearius mehrmals das Gespräch mit der Politik. Mindestens drei Treffen gab es allein mit dem damaligen Bürgermeister Scholz, berichteten das NDR-Magazin „Panorama“, die „Zeit“ und die „Süddeutsche Zeitung“. Im November 2016 soll Olearius Scholz ein Argumentationspapier überreicht haben, woraufhin dieser ihm lediglich geraten haben soll, das Papier dem Finanzsenator zu übergeben. Das geschah auch, und wenige Tage darauf entschied das Finanzamt, auf die Rückforderung der 47 Millionen Euro zu verzichten.

Dieser zeitliche Ablauf wird in Regierungskreisen auch gar nicht bestritten – sehr wohl aber der Eindruck, Scholz oder Tschentscher hätten irgendeinen Einfluss auf diese Entscheidung genommen. Auch die Steuerverwaltung hat derlei Verdächtigungen im Ausschuss erneut von sich gewiesen. Bezeichnend: Anders als im Februar, als der NDR und die „Zeit“ mit einer in Teilen angreifbaren Berichterstattung kurz vor der Bürgerschaftswahl den Zorn des Rathauses auf sich gezogen hatten – der NDR räumte später Fehler ein –, weisen sie nun selbst darauf hin, dass es trotz intensiver Recherche keinerlei Belege für so eine Einflussnahme gebe.

Ist ein PUA den Aufwand wert?

Die Frage, die sich nun vor allem für die CDU stellt: War da vielleicht doch mehr? Und wenn ja: Könnte ein PUA diese „Belege“ überhaupt zutage fördern? Denn auch dort könnte das Steuergeheimnis nur mit Warburgs Zustimmung aufgehoben werden. Hinzu kommt: Ein PUA beschäftigt etliche hauptamtliche Mitarbeiter, arbeitet in der Regel Monate und manchmal sogar Jahre, und seine Kosten gehen in die Millionen.

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Ist es das wert? Letztmals stand die CDU nach dem G-20-Gipfel vor dieser Frage – und entschied sich dagegen. Stattdessen wurde nur ein „Sonderausschuss“ eingerichtet, der nicht ganz so scharfe Durchgriffsrechte hat wie ein PUA. Immerhin: Olaf Scholz sagte dort aus – sogar zweimal.