Hamburg. Dass Hamburg Steuerforderung an Bank von 47 Millionen Euro verjähren ließ, könnte laut Anzeige als illegale Beihilfe bewertet werden.

Der Cum-Ex-Skandal und der Umgang Hamburgs mit der Warburg-Bank in diesem Kontext könnten nun auch die Europäische Union beschäftigen. Dass Hamburg im Jahr 2016 eine Steuerforderung von 47 Millionen Euro zugunsten von Warburg bewusst verjähren ließ, kann nämlich zumindest in den Augen mancher Beobachter auch als eine indirekte staatliche Beihilfe bewertet werden. Jedenfalls hat sich nach Abendblatt-Informationen mit dieser Stoßrichtung ein früherer hoher EU-Beamter per Mail an die Wettbewerbskommissarin und Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager und den Wettbewerbs-Generaldirektor Olivier Guersent gewandt. In der auf Englisch verfassten Mail, die dem Abendblatt vorliegt, regt der Verfasser die Einleitung eines Beihilfeverfahrens nach Artikel 108 „gegen diese illegale Staatshilfe“ an.

Er wäre dankbar, wenn die beiden Angeschriebenen den deutschen Finanzminister und die Hamburger Regierung in dieser Sache um Stellungnahme bäten, so der Verfasser weiter – und ihn über das weitere Vorgehen in Kenntnis setzten. Bundesfinanzminister ist bekanntlich Olaf Scholz (SPD), der zur Zeit des faktischen Steuererlasses 2016 Hamburger Bürgermeister war.

Wie „Zeit“ und NDR rekonstruiert hatten, traf Scholz sich trotz bereits laufender Ermittlungen mindestens dreimal mit dem Bankchef Christian Olearius und telefonierte einmal mit ihm. Bis zu diesen Veröffentlichungen hatte Scholz lediglich ein einzelnes Treffen mit Olearius eingeräumt. Sowohl Scholz als auch der damalige Finanzsenator und heutige Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) haben jede Einflussnahme auf die Entscheidung des zuständigen Finanzamtes bisher stets energisch abgestritten.

Steuerskandal ist längst zum Politikum geworden

Ob die Einleitung eines EU-Beihilfeverfahrens aufgrund der Entscheidung von Finanzämtern tatsächlich in Betracht kommt, blieb am Freitag zunächst unklar. Trotz mehrfacher Abendblatt-Nachfrage gab es zu dem Fall keine Aussage der Europäischen Kommission.

„Sollte es jetzt auch noch zum Verfahren der EU-Kommission wegen illegaler staatlicher Beihilfe gegen Hamburg kommen, ist das der nächste Paukenschlag in der Cum-Ex-Affäre um SPD, Scholz, Tschentscher und die Warburg-Bank“, sagte CDU-Bürgerschaftsfraktionschef Dennis Thering. „Dass ein ehemaliger hochrangiger Kommissionsbeamter der EU und Experte für Wettbewerbsrecht bei der Vizepräsidentin der EU und Kommissarin für Wettbewerb um Ermittlungen bittet, kommt nicht alle Tage vor. Das zeigt die Dimension des Steuerskandals, der längst zum Politikum geworden ist, und erhöht den Druck auf Scholz und Tschentscher weiter.“

Auch die EU-Kommission würde sich „sicher nicht mit den bisherigen Aussagen der damals handelnden Personen und dem mangelnden Aufklärungswillen zufriedengeben“, so Thering. „Es ist wenig glaubwürdig, dass es zu den entscheidenden Gesprächen und Vorgängen vor allem Erinnerungslücken geben soll. Die Hamburger Steuerzahler verlangen Aufklärung, daran muss sich Tschentscher in der Sondersitzung des Haushaltsausschusses messen lassen.“ Es gehe um „das Vertrauen in die Steuergerechtigkeit und in den Rechtsstaat“.

Grüne werfen der CDU vor, „Nebelkerzen“ zu werfen

Offen ist bisher, ob es in Hamburg einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zu den Vorgängen rund um Warburg geben wird. Die CDU-Fraktion will ihre Entscheidung von den Auskünften abhängig machen, die sie bei der von ihr beantragten Sondersitzung des Haushaltsausschusses bekommt, die nun am 18. September stattfinden soll. Streit gibt es dabei um die Frage, ob auch der Bürgermeister daran teilnehmen soll oder nicht.

„Als Regierungsfraktionen sehen wir uns in der Pflicht, den aufgekommenen Zweifeln nachzugehen“, sagte SPD-Haushaltspolitiker Milan Pein am Freitag. „Gleichzeitig muss aber auch berücksichtigt werden, dass die Berichterstattung zu Cum-Ex-Geschäften bis heute keine Hinweise auf eine unzulässige Einflussnahme der Politik auf die Finanzbehörden enthält. Der Erste Bürgermeister hat bereits mehrfach unmissverständlich deutlich gemacht, in seiner Zeit als Finanzsenator keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Finanzämter genommen zu haben.“ Daher sei die von der CDU verlangte Teilnahme Tschentschers „nicht erforderlich“.

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Grünen-Haushaltspolitiker Dennis Paustian-Döscher warf der CDU vor, „Nebelkerzen“ zu werfen. „Für uns Grüne ist klar: Wir wollen eine schnelle und lückenlose Aufklärung der höchst kriminellen Cum-Ex-Geschäfte“, so Paustian-Döscher. „Dies steht für uns im Mittelpunkt, und wir stehen einer Sondersitzung nicht im Weg.“

CDU-Fraktionschef Thering hatte betont, dass nur Tschentscher selbst die wesentlichen Fragen beantworten könne. Daher sei „seine Anwesenheit in der Sondersitzung zwingend geboten“.