Hamburg. Ab heute können die Freier wiederkommen. In der Herbertstraße gibt es ein Hygienekonzept und ein reduziertes Serviceangebot.
Kein Rotlicht, kein Freier, kein Geld. Auf den Tag genau sechs Monate ist es her, dass der Senat Prostituierten das Handwerk gelegt hat. Nun geht ein Seufzen durch die Herbertstraße: Sexarbeiterinnen dürfen seit Dienstag wieder hinter den Fensterfronten sitzen und mit ihren Freiern um Preise feilschen.
Jenny (37) ist eine von ihnen. „Ich bin einfach nur glücklich, dass ich endlich wieder arbeiten darf“, sagt sie. In ihrer Stimme schwingt Freude. Dabei ist noch nicht klar, wie ihre Kunden auf das neue Hygienekonzept und den reduzierten Servicekatalog reagieren werden.
Oralverkehr ist nämlich tabu, weil die Alltagsmaske durchweg auf Mund und Nase sitzen muss. Ursprünglich hatten die Sexarbeitenden der Herbertstraße vorgesehen, beim Oralsex die Maske abzunehmen und anschließend wieder aufzusetzen. Trotzdem kann sich Jenny mit dieser Regel anfreunden. „Um wieder zu arbeiten, nehme ich gerne Kompromisse hin. Außerdem will ich gesund bleiben und tue alles dafür, dass es so bleibt“ – auch wenn das heißt, dass Prostitution anders als gewohnt stattfinden wird.
Immer nur ein Kunde darf mit aufs Zimmer
Von nun an muss sie zwischen zwei Plexiglasscheiben sitzen, die ihren Sitzbereich von denen ihrer Kolleginnen abgrenzt. Auch neu: Im Eingangsbereich hinter ihr glänzt ein Spender mit Desinfektionsmittel. Auf dem Tisch daneben liegt ein QR-Code aus, den Kunden erst mit dem Handy einscannen sollen, um ihre Kontaktdaten einzugeben. Das Verfahren soll auch von Gastronomen genutzt werden, um die Daten ihrer Klientel zu schützen. Immer nur ein Kunde darf mit Jenny aufs Zimmer. Vor und nach dem Geschlechtsverkehr müssen sie und ihr Freier eineinhalb Meter Abstand wahren. Bettwäsche, Laken und Handtücher muss sie jedes Mal wechseln und auch Stoßlüften ist nun Pflicht. Dann darf sie den nächsten Kunden in ihr Zimmer einladen.
Hamburgweit gilt außerdem: Freier dürfen sich im Bordell keinen Mut antrinken, denn untersagt ist der Konsum von Alkohol und Substanzen, welche die Atemfrequenz erhöhen. Wer Symptome einer Atemwegserkrankung zeigt, darf auch nicht bedient werden. Auch sogenannte „Prostitutionsfahrzeuge und -veranstaltungen“ bleiben verboten. Dafür dürfen Schwimmbecken, Saunas, Dampfbäder oder Whirlpools in Hamburgs Bordellen genutzt werden.
Prostituierte sind Hygieneprofis
Falko Drossmann, Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte, war seit Wochen mit dem Senat im Gespräch, um eine Lösung für die Sexarbeitenden zu finden. „Prostitution wird wohl immer stattfinden, aber dann eben unter anderen Umständen, in der Illegalität. Gerade im Sinne des Infektionsschutzes ist es verantwortungsvoller, wenn sexuelle Dienstleistungen wieder legal angeboten werden dürfen. Nicht zuletzt hängen ja auch wirtschaftliche Existenzen an der Erlaubnis zur Wiedereröffnung“, teilte er auf Abendblatt-Anfrage mit. Die Frauen seien korrekt registriert, würden Gesundheitskontrollen wahrnehmen und die gebotene Hygiene befolgen – „so wie in anderen körpernahen Dienstleistungsberufen auch“.
Das findet auch Jenny, die nicht versteht, warum Friseure, Masseure und Tätowierer dem Rotlichtmilieu Monate voraus waren und öffnen dürfen. „Wir sind Hygieneprofis. Bei uns mussten sich Kunden schon lange waschen. Welcher Friseurbesucher kann das schon von sich sagen?“, fragt sie. Deshalb schloss sie sich der Protestgruppe „Sexy Aufstand Reeperbahn“ an, die schließlich ihre Interessen und die ihrer Kolleginnen umsetzen konnte.
Angst vor einer zweiten Corona-Welle
„Es war ein langer, harter und emotionaler Kampf. Und es bleibt auch jetzt ein langer und harter Weg, um zur Normalität zurückzufinden“, sagt Jenny. Zum einen hat sie alle Ersparnisse aufgebraucht. Zum anderen bleibt offen, ob eine zweite Corona-Welle wieder alles zunichte macht, was die Protestgruppe mühsam eingefordert hat.
Bezirksamtsleiter Drossmann möchte daran vorerst nicht denken: Die Stadt habe die Pandemie bislang gut bewältigt. „Wenn es eine solche zweite Welle geben sollte, würden mögliche Schließungen ja viele weitere Bereiche betreffen – das wäre dann kein Problem nur der Bordelle allein“, sagt er.
Auch Daniel Schmidt vom Elbschlosskeller möchte an so ein düsteres Szenario noch nicht denken. Stattdessen feiert er den Prostitutionsstart. „Ich finde es bombastisch und längst überfällig. Die Mädels und das Rotlichtgewerbe gehören zum Stadtbild und zum Kosmos Reeperbahn dazu“, sagt der Kiezwirt. Schon früh sprach er sich gegen das Prostitutionsverbot aus, zeigte sich solidarisch, demonstrierte. Für die Sexarbeiterinnen und seinen Kiez. „Ich möchte, dass St. Pauli endlich wieder belebter ist“, sagt er, denn seit Corona beklagt er einen starken Rückgang an Kneipengästen.
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Ob sich mit den Bordellen in der Herbertstraße auch die Kneipen füllen, bleibt abzuwarten. Trotzdem feiert der Kiez schon jetzt – und mit ihm die Protestgruppe „Sexy Aufstand Reeperbahn“, die am Dienstagvormittag zu einer Kunstaktion einlädt.
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