Hamburg. Immer mehr Hamburger wollen in den Justizvollzugsdienst. Verlangt werden soziale Kompetenzen und ein sicheres Auftreten.

Es war einer dieser Abende, an denen Sona Abaghyan mal wieder vor dem Computer saß und durchs Netz surfte. Auf der Suche nach Inspiration und vielleicht sogar nach einer ganz konkreten Idee, wie es weitergehen könnte. Denn klar war ihr damals schon: Als Groß- und Außenhandelskauffrau würde sie nicht glücklich werden. Und dann war da plötzlich diese Anzeige auf der Seite der Stadt Hamburg. Dort hieß es, dass bald wieder Ausbildungen zur Justizvollzugsbeamtin starten würden.

Arbeiten, wo andere eine Strafe absitzen? Den Alltag im Gefängnis verbringen? Und vielleicht auch mit Abgründen und Ängsten? Was für viele vielleicht abschreckend ist, machte Abaghyan neugierig. Wie ist es wohl im Gefängnis? Wie im Fernsehen oder doch ganz anders?

In etwa zur selben Zeit war auch Iska von Holten etwas gelangweilt von ihrem Job und ihrem Alltag als Sport- und Fitnesskauffrau. Und so wurde auch sie plötzlich hellhörig, als sie im Radio etwas von dem Ausbildungsgang zur Justizvollzugsbeamtin hörte. Warum? Abwechslungsreich sollte der Alltag sein, hieß es, viel Teamarbeit und eine gute Bezahlung. Nach kurzem Überlegen fasste auch sie den Entschluss: Das will ich versuchen.

Große Ausbildungsoffensive

Rund zwei Jahre sind seitdem vergangen. Und am Montag war es endlich so weit, und Abaghyan und von Holten haben ihre Ausbildung abgeschlossen und dürfen sich fortan Justizvollzugsbeamtin nennen. Senatorin Anna Gallina (Grüne) hat ihnen und den anderen Absolventen des Jahrgangs die Ernennungsurkunde übergeben. Insgesamt 23 junge Frauen und Männer zählt der Abschlussjahrgang. Junge Menschen, die sich von Klischees über den Beruf offenbar nicht haben abschrecken lassen. Und auch nicht von Fakten. Denn bekanntermaßen ist der Krankenstand in dieser Berufsgruppe hoch und die Belastung groß. Das gilt insbesondere in Hamburg, wo seit Jahren in vielen Einrichtungen Personalnot herrscht.

Eine große Ausbildungsoffensive sollte Abhilfe schaffen und laut Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne), die die Ernennungsurkunden überreichte, ist inzwischen ein großer Schritt geschafft. „Die Trendwende ist erreicht. Mittlerweile stellen wir mehr ausgebildete Bedienstete neu ein, als wir Kolleginnen und Kollegen verlieren, die in den Ruhestand gehen“, so die Senatorin. „Von diesen Anstrengungen profitiert nicht nur der Vollzug selbst, sondern am Ende auch die ganze Stadtgesellschaft.“

Zahl der Anwärterinnen steigt seit Jahren an

Was damit gemeint ist, haben die beiden Absolventinnen Abaghyan und von Holten in den vergangenen zwei Ausbildungsjahren jeden Tag aufs Neue gelernt. „Der Vollzug ist mehr als nur die Zelltüren zu öffnen und zu schließen“, sagt etwa Abaghyan. „Der Fokus der Ausbildung liegt ganz klar auf der Resozialisierung.“ Konkret heißt das: „Wir kümmern uns darum, dass Häftlinge ihre Zeit gut nutzen, animieren sie dazu, Angebote wahrzunehmen, stehen für Gespräche bereit, helfen dabei, den Kontakt zu den Verwandten und Freunden draußen aufrechtzuerhalten und vieles mehr.“

Von Holten und Abaghyan haben mit ihrem neuen Beruf einen Job gewählt, der noch immer deutlich häufiger von Männern ausgeübt wird. Doch die Zahl der Anwärterinnen steigt seit Jahren an. Im aktuell startenden Lehrgang etwa sind elf der 25 Auszubildenden weiblich. Ausbildungsleiter Thomas Burmeister freut das. Es sei falsch, zu glauben, dass das ein reiner Männerjob sei. Schließlich gehe es vor allen Dingen um soziale Kompetenzen und um ein gutes, selbstsicheres Auftreten.

Straffes Sportprogramm

Für Sona Abaghyan etwa war das kein Problem. Ob sie am Anfang Berührungsängste gehabt hätte? „Nein“, sagt sie. „Ich bin da schnell reingewachsen und habe mich im Umgang mit den Inhaftieren wohl gefühlt“, so die 28-Jährige. „Auch wurden wir in der theoretischen Ausbildung gut darauf vorbereitet. Dabei ging es auch darum zu lernen, ein Gleichgewicht aus Nähe und Distanz zu finden. Das ist im Alltag ein wichtiger Punkt.“ Das sieht auch Ausbildungsleiter Burmeister so: „Die Beamten und Beamtinnen des Allgemeinen Vollzugsdienstes sind die Berufsgruppe, die tagtäglich die meiste Zeit mit den Gefangenen verbringt, sie versorgt, betreut, mit ihnen redet und durch ihr Verhalten auf sie einwirkt.“

Frauenanteil steigt:

  • 28 Prozent der Beschäftigten in den Hamburger Justizvollzugsanstalten sind Frauen. Im Allgemeinen Vollzugsdienst sind es derzeit 16 Prozent. Laut Angaben der Justizbehörde ist der Anteil der Frauen damit in den vergangenen vier Jahren um zwei Prozentpunkte gestiegen.
  • Bewerbungen für den Allgemeinen Vollzugsdienst werden das ganze Jahr über entgegengenommen. Während der Ausbildung erhalten die Anwärterinnen und Anwärter eine Vergütung von rund 1870 Euro brutto

In den 14 Praxis- und zehn Theoriemonaten haben sich die Absolventen intensiv auf diese Aufgaben vorbereitet, haben sich mit Rechtskunde, Sozialwissenschaften und berufskundlichen Inhalten beschäftigt. Wichtige Bereiche waren aber auch das Erlernen von Eigensicherungs- und Transporttechniken und ein straffes Sportprogramm, da es immer wieder auch zu Übergriffen auf Vollzugsbeamte kommen kann.

Ruhiger Umgang mit den Inhaftierten

Auch Iska von Holten musste schnell erfahren, dass Ton und Umgang hinter den Gefängnismauern rauer sein können. „Gleich in meiner ersten Praxiseinheit in der JVA Fuhlsbüttel hat mich ein Häftling bedroht“, erinnert sich die 26 Jahre alte Hamburgerin. „Ich habe sofort den Alarm ausgelöst. Die Zeit, bis Hilfe kam, kam mir vor wie eine Ewigkeit, dabei waren es nur ein paar Sekunden.“ Ob sie das abgeschreckt habe? „Nein“, sagt von Holten. „Ich bin mir bewusst, dass das passieren kann, und weiß, dass es keine Situation gibt, in der ich allein bin.“

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Viel Zeit zum Ausruhen haben die beiden frisch ernannten Justizvollzugsbeamtinnen nicht, denn schon in dieser Woche treten sie ihren Dienst an. Iska von Holten in der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand, Sona Abaghyan in der Sozialtherapeutischen Anstalt. Beide haben damit ihre Wunschstandorte bekommen. Daran, dass viele Menschen erst mal überrascht reagieren, wenn sie von ihren Berufen erzählen, haben sie sich inzwischen gewöhnt. Was sie ihnen dann sagen? „Dass das ein toller Beruf ist, der wenig mit dem zu tun hat, was im Fernsehen vermittelt wird“, so Abaghyan. „Einfach, weil der Umgang mit den Inhaftierten viel ruhiger und normaler abläuft, als sich das viele vorstellen.“

Einstellungskriterien unter www.hamburg.de/ausbildung-justizvollzug