Hamburg. Zahl der Patienten deutlich gestiegen. Sogar Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt ist manchmal nötig.

Die Kapazitäten des sogenannten Maßregelvollzugs in der Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll reichen offensichtlich bei Weitem nicht mehr aus. Zum Stichtag 17. Juni dieses Jahres waren 355 als gefährlich geltende, aber schuldunfähige Straftäter und Tatverdächtige als Patienten im Maßregelvollzug untergebracht. In den entsprechenden psychiatrischen Abteilungen des Krankenhauses stehen aber nur 309 Plätze zur Verfügung. Das ergibt sich aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker.

Die Folge: Für Psychiatrie-Patienten, bei denen nach einem Gerichtsverfahren die Unterbringung im Maßregelvollzug angeordnet wird, müssen zum Teil auch Einrichtungen in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern in Anspruch genommen werden. In Einzelfällen werden Frauen und Männer auch zur akutpsychiatrischen Behandlung in den geschlossenen Abteilungen anderer Hamburger Krankenhäuser untergebracht, bis eine Übernahme in den Maßregelvollzug möglich ist. Sogar die Aufnahme in die Untersuchungshaftanstalt (UHA) kommt vor.

Problem besteht offenbar seit Längerem

Der Senat räumt in seiner Antwort auf die Seelmaecker-Anfrage ein, dass das Problem seit Längerem besteht. „Die seit Mitte des Jahres 2019 erheblich gestiegene Nachfrage in den Bereichen §§ 63, 64 StGB und § 126a StPO haben in der Maßregelvollzugseinrichtung der Asklepios Klinik Nord zu einem Aufnahme- und Belegungsdruck geführt, der seit Februar 2020 bedingt hat, dass Aufnahmen gemäß 126a StPO nicht immer sofort vollzogen werden konnten“, heißt es in der Senatsantwort.

Die Strafprozessordnung ermöglicht in § 126a den Gerichten, für jemanden, der „eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldunfähigkeit begangen“ haben soll, während des Verfahrens die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert.

„Im Februar 2020 konnten zwei Personen, im März 2020 drei Personen, im April 2020 vier Personen, im Mai 2020 sechs Personen und im Juni 2020 zwei Personen mit Unterbringungsbefehl nach §126a StPO nicht unmittelbar in der Maßregelvollzugseinrichtung in der As­klepios Klinik Nord/Ochsenzoll aufgenommen werden“, heißt es in der Senatsantwort. Sechs Personen befinden sich laut Senatsantwort „im Rahmen der Amtshilfe“ in der UHA. „Die Zeiträume der anderweitigen Unterbringung in der UHA erstrecken sich von zwei bis 71 Tage (Stand: 18.06.2020). Die Unterbringungen in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein dauern an“, heißt es weiter. Insgesamt hat es laut Senatsantwort seit Anfang des Jahres 40 Unterbringungsbefehle gegeben.

Kritik von der CDU

„Es ist unfassbar, dass der Senat verschlafen hat, rechtzeitig die notwendigen Kapazitäten im Maßregelvollzug aufzubauen und psychisch kranke Menschen deshalb teilweise sogar im dafür völlig ungeeigneten Justizvollzug untergebracht werden müssen“, sagt der CDU-Justizpolitiker Seelmaecker.

„Jetzt drängeln sich 355 Patienten auf 309 Plätzen und die restlichen warten in der Untersuchungshaftanstalt, was ihre Therapie, geschweige denn ihre Genesung, ganz sicher nicht fördert“, so Seelmaecker. Die Justizvollzugsbeamten in der U-Haftanstalt seien für den Umgang mit psychisch Kranken nicht geschult. Psychiatrie-Patienten könnten zudem ein Sicherheitsrisiko für die Mitarbeiter darstellen.

„Dass der Senat sich damit herausredet, die Nachfrage sei erst seit Mitte 2019 gestiegen, ist in Anbetracht der Tatsache, dass alle Plätze schon vor fünf Jahren überbelegt waren, fadenscheinig“, sagt der CDU-Abgeordnete. So seien seit 2015 ausweislich früherer Kleiner Anfragen jeweils zu Jahresbeginn mehr als 300 Patienten im Maßregelvollzug gewesen, obwohl die Kapazität nur bei 292 Plätzen lag. Seit dem 1. April 2020 stehen in Ochsenzoll 309 Plätze zur Verfügung. „Weitere Kapazitätsausweitungen sind in Vorbereitung“, heißt es darüber hinaus in der Senatsantwort zur aktuellen Anfrage nur.

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„Erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, reagiert der Senat. Wir fordern den Senat auf, nun schleunigst die erforderlichen Plätze zu schaffen“, sagt Seelmaecker. Die Aufstockung um 17 Plätze sei „nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Den größten Anteil an den Patienten im Maßregelvollzug hat laut Senatsantwort die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen mit 118 der insgesamt 355 Menschen, gefolgt von den 40- bis 49-Jährigen mit 74 und den 20- bis 29-Jährigen mit 72 Personen. Unter 20 Jahre alt sind aktuell nur drei Patienten. Der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen gehören 59 und den über 60-Jährigen 29 Patienten an. Nach einer Statistik der zuständigen Gesundheitsbehörde aus dem vergangenen Jahr blieben Patienten, die wegen einer psychischen Erkrankung (§ 63 StGB) eingewiesen worden waren, im Durchschnitt knapp sechs Jahre im Maßregelvollzug. Bei einer Einweisung wegen einer Suchterkrankung (§ 64 StGB) waren es knapp 16 Monate.