Hamburg. Reduzierte Angebote und Angst vor Ansteckungen – Anbieter fürchten zum Jahresende noch mehr Austritte.
Der organisierte Hamburger Sport fürchtet die Folgen der Corona-Pandemie und der weiter geltenden Einschränkungen für den Übungs- und Trainingsbetrieb. Im vergangenen halben Jahr haben bereits rund 50.000 Hamburgerinnen und Hamburger ihre Vereine und Fitnessstudios verlassen.
Wurden Austritte in der Vergangenheit durch eine meist noch höhere Zahl an Eintritten mehr als kompensiert, fallen diese jetzt weitgehend weg – wegen fehlender oder reduzierter Angebote oder der Angst, sich beim Sport zu infizieren.
Kaum Ansteckung beim Sport
Letztere Sorge scheint zwar unbegründet (in Hamburg gab es erst einen bestätigten Fall beim Yoga), aber vor allem Ältere sind tendenziell skeptisch, ob sie Kurse in geschlossenen Räumen besuchen sollen. Das ergab eine Umfrage der Kette Meridian Spa & Fitness unter ihren Mitgliedern. Die Ergebnisse decken sich mit den Eindrücken der Hamburger Vereine und Studios.
Dennoch: „Der Hamburger Sport ist bislang gut durch die Krise gekommen, kein Club steckt derzeit in existenziellen Nöten, auch wenn einzelne wohl bis zu zehn Prozent ihrer Mitglieder verloren haben“, sagt Ralph Lehnert, Vorstandsvorsitzender des Hamburger Sportbundes (HSB). Zum 31. Dezember 2019 verzeichnete der HSB 542.000 Mitgliedschaften in 830 Vereinen, die rund 350 Studios etwa 310.000 Mitglieder, der Verein Sportspaß 61.000.
Kurse im Freien, Kurzarbeit und Hilfen von Stadt und Bund
Bisher haben Kreativität der Clubs und Studios, Vereinstreue, Videosportstunden, Verlagerung von Kursen ins Freie, Kurzarbeit, Hilfen des Bundes und der Stadt die Folgen der Pandemie abgefedert. In Hamburg erhielten 86 Vereine 1,1 Millionen Euro an Zuschüssen der Stadt. 3,9 Millionen Euro aus dem Nothilfefonds Sport wurden nicht abgefordert. Sie könnten demnächst zu einem neuen Hilfspaket geschnürt werden. Sportsenator Andy Gote verhandelt darüber mit Finanzsenator Andreas Dressel (beide SPD).
Die bevorstehende kältere Jahreszeit allerdings droht die Probleme der Sportanbieter zu vergrößern, wenn Kurse nicht mehr im Freien stattfinden und sie in Hallen oder Studios wegen der Abstandsregeln nicht im bisherigen Umfang angeboten werden können. Eine neue Austrittswelle droht.
Höhere finanzielle Aufwendungen
Für die Aufteilung in mehrere Kleingruppen fehlen oft räumliche Kapazitäten und Trainer. Dazu kommen höhere finanzielle Aufwendungen. Juliane Timmermann, sportpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion, plädiert deshalb dafür, die bisherigen Förderrichtlinien für städtische Hilfen anzupassen: „Wir müssen jetzt genau hinschauen, wo wie viel und was benötigt wird.“
Elf Millionen Euro für den Sport
Den negativen Saldo bei Austritten und Eintritten zu stoppen ist aktuell für die meisten Clubs die größte Herausforderung: Der Hamburger Sportbund (HSB), der Fußballverband (HFV) und die Stadt stehen vor dem Abschluss eines neuen Sportfördervertrags für die Jahre 2021/22. Es sind nur noch Details zu klären. Während sich die drei Parteien vor zwei Jahren bei den Verhandlungen verhakten, herrschte diesmal relativ schnell Einigkeit über Höhe und Verteilung der Zuschüsse.
Dem Vernehmen nach soll die jährliche städtische Alimentierung des organisierten Sports von 10,2 Millionen (2019/2020) auf rund elf Millionen Euro steigen. Zusätzlich erhielten Vereine und Verbände zuletzt 1,6 Millionen Euro über den Sanierungsfonds 2020 der Bürgerschaft für Sanierungs- und Investitionsmaßnahmen.
Den Hamburger Sport ohne Schaden durch die Krise zu führen, alle Anbieter und Veranstalter am Leben zu erhalten ist das Credo von Sportsenator Andy Grote. Wo derzeit die größten Probleme liegen, haben Sportstaatsrat Christoph Holstein (beide SPD) und Juliane Timmermann, sportpolitische Sprecherin und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion, in zahlreichen Gesprächen mit Vereinen und Verbänden ermittelt.
Zehn Prozent mehr Austritte bei Großvereinen und Centern
Während bei kleinen Vereinen meist eine hohe Mitgliederbindung besteht, auch bei Mannschaftssportlern, leiden vor allem jene Clubs und kommerzielle Fitnessstudios unter der negativen Fluktuation, die Kurse anbieten. Diese können wegen der Abstandsregeln weiter nicht im früher gewohnten Umfang durchgeführt werden. Bereits jetzt gibt es bei Großvereinen und Centern rund zehn Prozent mehr Austritte im Vergleich zum vergangenen Jahr – bei im Gegenzug weit wenigeren Eintritten.
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„Mit weiteren Reduzierungen der Einschränkungen schon zum ersten Austrittstermin am 30. Juni wollten wir ein Signal an alle Vereinsmitglieder senden, dass sich die Lage in den nächsten Monaten halbwegs normalisieren könnte. Das ging aber leider nicht so schnell wie gewünscht. Der allgemeine Gesundheitsschutz muss immer im Vordergrund stehen“, sagt Staatsrat Holstein. „Was jedoch an Lockerungen möglich und verantwortbar ist, werden wir versuchen, auch umgehend umzusetzen. Wir wollen alle Vereine und Veranstalter gut durch den Winter bringen.“ Dazu könnten weitere staatliche Zuschüsse beitragen.
Kontakt im Mannschaftssport erlaubt, aber nicht bei Individualsportlern
Für Irritationen in Vereinen und Fitnesscentern sorgte jüngst die neue Verordnung, die Mannschaftssportlern seit dem 1. September erlaubt, mit bis zu 30 Personen im Vollkontakt wettstreiten zu dürfen, wohingegen für Individualsportler, die sich nicht berühren, weiter Abstandsregeln gelten. „Das ist niemandem mehr zu vermitteln und führt zu großem Unmut“, klagt Ulrich Lopatta, Vorsitzender des Walddörfer SV und Sprecher der 27 Topsportvereine der Metropolregion Hamburg mit 170.000 Mitgliedern.
Zwar dürfen auch Individualsportler mit 30 Personen im selben Raum trainieren, wenn sie ihren Kursus in drei Zehnergruppen unterteilen, die dann untereinander 2,5 Meter Abstand halten, sich nicht vermischen. „Bei Kindern und Jugendlichen ist das kaum durchzuhalten“, sagt Lopatta. Auch sei diese Bestimmung von der Stadt schlecht kommuniziert worden. „Dass Teamsport jetzt in größeren Gruppen betrieben werden kann, ist ein Privileg, damit der Mannschaftsspielbetrieb wieder anlaufen konnte. Und bei allem Verständnis: Man kann aus einer Sonderregelung für besonders betroffene Disziplinen keinen Anspruch für alle anderen herleiten“, stellt Holstein klar.
Kritische Lage im Reha- und Gesundheitssport
Kritisch bleibt die Lage im Reha- und Gesundheitssport. Die Teilnehmerzahlen mussten auch hier reduziert werden, zudem bleiben viele den Kursen fern, weil sie Infektionen fürchten. Gerade diese Klientel braucht Bewegung, fällt sie aus, drohen Spätfolgen. „Es ist für den Sport in diesen Zeiten eine Gratwanderung, auf der einen Seite gesundheitsfördernd auf der anderen infektionshemmend zu wirken“, sagt der HSB-Vorsitzende Ralph Lehnert.