Hamburg. Viele Kunden bestellen seit der Corona-Krise im Internet. Das beschleunigt den Wandel der Branche – eine Chance für Spezialläden.
Direkt hinter dem Kassentresen hat Léana Helbig eine Tafel aufhängen lassen. In bunter Kreideschrift wird um Anmeldung für einen Workshop gebeten. Daneben sind regelmäßige Wochentermine wie Rad- und Lauftreff aufgelistet. Angeboten werden auch Fahrradsicherheitstraining und Testschwimmen im Neoprenanzug.
Ein Stück weiter pinnen an einer Säule Fotos, die Kunden beim Radsprint zeigen und beim Einlauf ins Ziel. Andere halten ihre Medaillen in die Kamera. Geschafft! Léana Helbig lächelt, als ob sie gerade einen Triathlon hinter sich hätte. Es ist wohl noch ein bisschen mehr. Sechs Monate nach Beginn der Corona-Pandemie läuft ihr Laden fast wieder wie vor der Krise.
Klares Konzept und viel Service
„Unsere wichtigsten Erfolgsfaktoren sind von Anfang an, dass wir mit unserem Konzept klar spezialisiert sind und nicht nur Produkte, sondern auch viel Service anbieten“, sagt die 39-jährige Geschäftsführerin des Sportfachgeschäfts Trionik Multisport an der Barmbeker Straße. Zudem haben sie und ihr Team angefangen, einen Onlineshop aufzubauen. „Das ist unsere Wachstumsstrategie für die nächsten Jahre.“
Seit zehn Jahren gibt es den Spezialhändler für die drei Triathlon-Disziplinen Radfahren, Schwimmen und Laufen in Winterhude. In dem 450 Quadratmeter großen Geschäft finden Ausdauersportler was sie brauchen: Sporträder vom Einsteigermodell bis zur Highend-Variante für 9000 Euro und mehr. Ein Stück weiter ist eine ganze Wand Schwimmbrillen vorbehalten. Nebenan hängen Triathlon-Wettkampfanzüge und Schwimmbekleidung aus Neopren.
Hamburger Händler deutlich weniger betroffen von der Krise
In der Laufabteilung gibt es neben den bekannten Marken auch Schuhe des hochpreisigen US-amerikanischen Herstellers Hoka, der mit Carbon-Sohlen einen neuen Trend setzt. „Das ist nicht für jeden was“, sagt Helbig, die selbst seit 15 Jahren Triathletin ist. „Bei uns spielt Beratung eine sehr wichtige Rolle.“
Mit einem traditionellen Sportgeschäft, in dem es von Bikini bis Skihelm von allem ein bisschen gibt, hat Trionik nichts mehr zu tun. Wohl auch deshalb ist der Hamburger Händler von der Krise im Sporthandel deutlich weniger betroffen als andere. Seit Jahren verschwinden immer mehr kleine Händler in der mittelständisch geprägten Branche, die größtenteils über die Einkaufsgenossenschaften Intersport und Sport 2000 organisiert ist.
Auch in Hamburg haben Läden geschlossen, darunter etwa die beiden Fachgeschäfte Sport Schuster und Sport Tausch in Eppendorf. Der Wandel schlägt sich aber auch bei den großen Anbietern wie Karstadt Sports und Sportscheck nieder.
Räumungsverkauf bei Karstadt Sports läuft
Das etablierte Karstadt-Sports-Haus am Anfang der Mönckebergstraße wird Mitte Oktober im Rahmen eines Sanierungsprogramms des angeschlagenen Warenhaus-Konzerns Galeria Karstadt Kaufhof dichtgemacht. Der Räumungsverkauf läuft. Die Otto-Tochter Sportscheck haben die Hamburger Anfang 2020 an die Galeria-Eigner, die Signa-Gruppe, verkauft – mit Verlust. Auch der schwedische Sportartikelanbieter Stadium hat sich 2019 weitgehend aus Hamburg zurückgezogen.
Das hat vor allem mit der wachsenden Bedeutung des Onlinehandels zu tun. Schon vor der Corona-Pandemie wurde ein knappes Drittel der Sportartikel im Netz bestellt. Tendenz steigend. Nach einer Untersuchung der Unternehmensberatung NPD Group hat Intersport mit seinem stationär ausgerichteten Modell in dem Markt 2019 zwei Prozent verloren, während Onlinehändler Zalando 14 Prozent zulegte.
Anteil der Online-Käufe nahezug verdoppelt
„Während der Schließzeit im März und April hat sich der Anteil der Onlinekäufe im Sporthandel nahezu verdoppelt“, sagt Stefan Herzog, Generalsekretär des Verbands Deutscher Sportfachhandel (vds). Er rechnet damit, dass es langfristig bei einer Verschiebung im zweistelligen Prozentbereich bleiben wird. Viele Kunden hätten die Vorteile des E-Commerce zu schätzen gelernt. „Die Händler, die sich nicht umstellen, sind auf der Verliererseite“, so der Sporthandels-Experte, der zuvor lange Sportscheck-Geschäftsführer war. Aktuell hat der Verband bundesweit noch 2500 Mitglieder.
Spezialisierung ist das Stichwort
Der Umsatz im deutschen Sporthandel liegt seit 20 Jahren recht konstant bei gut sieben Milliarden Euro. Wobei konkrete Zahlen wegen der Abgrenzungsunschärfe zu Bereichen wie Fahrrad- und Modehandel nicht zu bekommen sind. Durch die Corona-Zeit kommt die Branche zwar deutlich besser als etwa der Textilbereich. Trotzdem sagt Herzog: „In den nächsten Monaten wird es zu einer Konsolidierung im Sporthandel kommen.“ Entscheidend für die Zukunftsfähigkeit sei, dass Händler sich mit ihrem Geschäftsmodell klar positionierten. „Man kann die ganze Welt des Sports heute nicht mehr auf 250 Quadratmetern abbilden.“
Spezialisierung ist das Stichwort. Zu den ersten, die diese Marktlücke vor 20 Jahren erkannt haben, gehört der Hamburger Laufspezialist Lunge. Auch für die Trionik-Gründer, die inzwischen nicht mehr im Unternehmen sind, war das Konzept ein Benchmark, wie Geschäftsführerin Léana Helbig es ausdrückt. Inzwischen gibt es auch in Hamburg eine Reihe von Spezialgeschäften für einzelne Sportarten wie Laufen, Tennis, Hockey oder Vereinsfußball, die sich erfolgreich behaupten. In der Krise zeigen sich aber Unterschiede, auch weil Individualsportarten aktuell an Bedeutung gewonnen haben.
Joggen und Radfahren während Corona besonders beliebt
„Gerade Joggen und Radfahren waren in der Corona-Zeit besonders nachgefragt“, sagt Helbig. Gemeinsam mit ihrem zwölfköpfigen Team, alle leidenschaftliche Sportler, hat die Betriebswirtin, die Anfang des Jahres Mutter geworden ist und deshalb viel von zu Hause arbeitet, alle Kräfte mobilisiert, um Verkauf und Beratung am Laufen zu halten. Laufanalysen per Videochat, Bestellungen auch am Telefon Newsletter und einen eigenen Lieferservice stampften sie trotz Kurzarbeit in kürzester Zeit aus dem Boden. Mithilfe von Staatshilfen, Mietstundungen und Kurzarbeit kam das Unternehmen über die ersten Wochen.
In Hamburg hat jetzt die Triathlon-WM stattgefunden
Die Zukunft für die Barmbeker Ausdauerspezialisten sieht Léana Helbig im E-Commerce. „Vor allem Heimtrainer, Laufschuhe und Räder waren Bestseller“, sagt die Trionik-Chefin, die auch im Job meist Hoody und Trainingshose trägt. Inzwischen sieht sie einigermaßen hoffnungsfroh auf den Jahresabschluss 2020. Trotz der Absage nahezu aller Sport-Großveranstaltungen in Hamburg.
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Ein Highlight: Am Wochenende war Hamburg Austragungsort für die Triathlon-WM. „Nach jetzigen Berechnungen werden wir zusammen mit dem Onlineshop ungefähr das Vorjahresniveau im Umsatz erzielen“, sagt sie. 2019 hatte Trionik bei einer Wachstumsquote von 20 Prozent 1,8 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet.
Chancen für den stationären Sporthandel
Sporthandelsexperte Stefan Herzog sieht auch in Zukunft Chancen für den stationären Sporthandel. Deutschland sei aber im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein spezieller Markt. Die französische Kette Decathlon sei ein Unternehmen, das es geschafft habe, sich hierzulande mit einem klaren Geschäftsmodell erfolgreich zu positionieren. „Große Eigenmarken, Familienorientierung und Verknüpfung von Stationär- und Online-Angebot“, zählt der vds-Generalsekretär die Aspekte auf.
Inzwischen gibt es bundesweit etwa 100 Filialen, drei sind es in Hamburg. Dagegen sollen bei Karstadt Sports 20 Häuser geschlossen werden. Hoffnung gibt es inzwischen für vier Standorte, darunter Hamburg-Harburg. Beobachter erwarten eine Verschmelzung mit den bundesweit 17 Sportscheck-Häusern.
Trionik will Triathlon-Plattform Nummer eins werden
„Aber“, sagt Stefan Herzog, „es kommt nicht allein auf die Größe an.“ Neben dem Sortiment und Digitalisierung gehe es auch um Dienstleistungen und Kundenkommunikation auf verschiedenen Kanälen. „Man muss in der Branche heute mehr tun als verkaufen.“
Bei Trionik gehört das zum Konzept. „Wir wollen die Triathlon-Plattform Nummer eins in Deutschland werden“, sagt Léana Helbig selbstbewusst. Schon jetzt gebe es auf der Internetseite YouTube-Videos, Trainingspläne, Tipps für Ernährung, Radeinstellungen oder Wettkämpfe, beschreibt die Geschäftsführerin das Angebot: „Es geht darum, eine Gemeinschaft aufzubauen.“