Schenefeld. Wie der Markenentwickler Klaus-Peter Wesseling traditionellen Nahrungsmitteln mit viel Akribie einen neuen Charakter gibt.

Daniel Düsentriebs Erfinderwerkstatt in Entenhausen wirkt auf den ersten Blick origineller, doch in Klaus-Peter Wesselings Ideenschmiede in Schenefeld geht es gleichfalls ums Grübeln, Entdecken, Anpacken und Umsetzen. Der Markenentwickler aus Sülldorf setzt auf Nahrungsmittel, die trotz neuartigen Charakters traditionell im Norden verankert sind. Beispiele sind Franzbrötchen-Müsli, Küstencracker aus Knickgetreide, vorgewürzte Bratbutter oder Schwarzbrot namens „Kornschnacker“, angereichert mit Möhren, Rauchsalz oder Meerrettich/Rote Bete. Demnächst soll Labskaus in bisher nicht da gewesener Form präsentiert werden. Ist allerdings noch geheim.

Tausendsassa mit Köpfchen

Dass der gebürtige Hamburger, dessen Familie seit eineinhalb Jahrhunderten beruflich mit Lebensmitteln verbunden ist, kein Mensch von der Stange ist, zeigt sich beim Lokaltermin in einem Bürogebäude am Osterbrooksweg im Vorort Schenefeld. Dieser Mann tanzt geschäftlich auf mehreren Hochzeiten, scheint über ein Füllhorn kreativen Geistes zu verfügen – und spricht auch so: unkonventionell, schnell, teilweise überraschend. Wesseling ist ein Tausendsassa mit Köpfchen.

Er selbst nennt seine Entwickler­stube „Konzept-Werft“. Kaum hat der wissbegierige Gast Platz genommen, befördert der 61 Jahre alte Unternehmer eine Tüte mit winzigen braunen Gebäckkrümeln auf den Tisch. Testen, bitte. Es handelt sich um flach und kross gebackenen Franzbrötchenteig. Diese „Nipps“ aus Mehl, Butter und Zimt, so taufte er die Stückchen, sind Zutat eines Müslis, das alsbald auf den Markt kommen soll. Und zwar unter dem Segel seiner geschützten Marke „Ahoi“, mit der Wesseling jüngst an den Start ging. Bei praktisch jedem seiner innovativen Produkte sind Partner an Bord, die er aus seinem Berufsleben kennt.

Er profitiert von starkem Netzwerk

Apropos: Der geschäftliche Werdegang ist eine Geschichte für sich. Eilen wir daher im Sauseschritt durch die Jahrzehnte. Nach Einschulung in Eimsbüttel, Abitur und Bundeswehr studierte der Sohn eines Kaufmanns mit eigener Tankstelle an der Stresemannallee in Lokstedt Maschinenbau sowie Betriebswirtschaft. Es folgten ein halbjähriges Praktikum bei der Bäckerei Oertel und 18 Jahre Geschäftsführung des Backrings Nord. Auf diesem Fundament erwuchs ein starkes Netzwerk.

2004 machte sich Klaus-Peter Wesseling selbstständig. Der Name seiner hanseatischen Markenentwicklungs- und Handelsgesellschaft: „Fawesco“. Die Anfangsbuchstaben leiten sich von „Familie Wesseling“ ab. Zu dieser gehört seit 41 Jahren Ehefrau Birgit. Beide freuen sich über vier erwachsene Kinder. Drillinge gehören dazu.

Essen wir unsere Vorfahren

Doch zurück zum Produktsortiment. Eine Beschreibung ist keine Werbung. Weil Wesseling bei manchem Artikel noch experimentiert, an Geschmacksnuancen feilt, Verpackungsformen probiert. Sprich: Vieles kann man noch nicht kaufen. Öffnen wir ein Tütchen mit „Küstencrackern“. Auch wenn der Geschäftsführer ob der schnöden Bezeichnung kurz zusammenzuckt, handelt es sich um eine Art Knäckebrot. Tatsächlich sind es exklusiv in einem traditionellen Ziegelofen in Finnland hauchdünn gebackene Brote – nach norddeutschem Rezept und hiesiger Backweise aus Roggenvollkorn und Saaten hergestellt. Final werden sie mit Meersalzwasser besprüht. So etwas aßen unsere Vorfahren. Schmeckt echt gut.

„Wir möchten dem traditionellen, norddeutschen Geschmack ein Gesicht geben“, philosophiert Wesseling. „Heutzutage kommen viele solcher bewährten Genüsse beim Kunden gar nicht mehr an.“ Im Team mit seinen Partnern wolle er das ändern. Wenn alles weiterhin prima läuft, soll die Grillsaison 2021 mit seiner Marke „Ahoi“ Würze erfahren. Möglichkeiten sind besondere Bratwürste. Eine erhält durch in Holstein in einem „Altonaer Ofen“ mit hohen Temperaturen produziertes Rauchsalz die spezielle Note. Für Dezember ist im Alten Land eine Charge Meerrettich bestellt. Dieser soll den Würstchen andersartigen Geschmack verleihen.

Knickgetreide von kleinen Äckern

War Klaus-Peter Wesseling an diesem Morgen ohnehin früh in Form, gewinnen seine Pläne und Visionen weiter an Fahrt. Doch beinhaltet sein Sortiment aktuell auch Produkte, die sich im Handel befinden. Der Lebensmittelpionier holt fünf verpackte Schwarzbrote hervor und legt sie auf den Holztisch. Kurze Qual der Wahl, dann schneidet er einen pfundigen Laib Roggenvollkorn an. „Nordisch purer Genuss, mit Zugabe von Möhrenstücken und Meersalz“, verrät er. Der Clou sei Knickgetreide. Gemeint ist Getreide, das in der einzigartigen Knick-Landschaft Schleswig-Holsteins und in wenigen Teilen Hamburgs auf meist besonders kleinen Äckern angebaut und geerntet wird. Typisch sind „Knicks“ am Rande, schmale Strauch- und Buschstreifen. Es ist ein Paradies nicht nur für Insekten.

Und da Wesseling ein anpackender Mensch ist, ließ er sich die Bezeichnung „Knickgetreide“ nicht nur juristisch schützen, sondern schritt zur Tat. Gemeinsam mit einem Landwirtschaftsbetrieb aus der Uckermark lässt er in Brandenburg auf 100 Hektar etwa 1000 Tonnen Weizen wachsen. Rund um die Felder wurden blühende Grünstreifen angelegt. Auftraggeber ist ein namhafter Müslihersteller. Offizielles Testat: „bienenfreundlich“.

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Bevor der agile Firmenchef weiter loslegt, machen wir für heute Schluss. Zum Ausklang eines spannenden Termins gibt Klaus-Peter Wesseling sein Credo mit auf den Rückweg: „Nur was wir lebendig halten, hat eine Zukunft.“