Hamburg. Unübersehbar wächst der Bunker in die Höhe – es könnte schon bald einer der faszinierendsten Orte der Hansestadt werden.

Hamburg wächst: Wer am Millerntor steht oder vom Sievekingplatz nach St. Pauli fährt, kann den Wandel sehen. Lange Zeit war der begrünte Bunker nur ein bunte, hübsche Animation mit politischer Sprengkraft. Von den Anhängern hymnisch gefeiert, von den Gegnern verdammt, war die Aufstockung des Weltkriegmonstrums zuletzt sogar ein Fall für die Gerichte: Doch während das Hamburger Verwaltungsgericht gerade noch einmal über die Rechtmäßigkeit der Aufstockung befinden musste, wächst der Bunkeraufbau längst in den sommerblauen Hamburger Himmel. Drei mächtige Kräne schaffen ein Bauwerk, das schon bald in keinem Hamburg-Buch oder Reiseführer fehlen dürfte.

Es ist das wohl spektakulärste Bauprojekt der Stadt, das den viel höheren Elbtower oder das viel größere Überseequartier locker in den Schatten stellt. Hochhäuser und Einkaufszentren gibt es fast überall, aber einen begrünten Bunker, auf dessen fünf Meter dicken Betondecke dereinst ein Garten wächst, nirgendwo. Und noch ein weiterer Punkt erschließt sich erst auf dem Dach des Weltkriegbaus – von dort fällt ein unverbauter spektakulärer Blick auf die Stadt - auf die Elbphilharmonie, das Millerntor-Stadion und den Hafen, auf St. Pauli, die City und das Karoviertel. Allein dieses Panorama dürfte zum Gelingen des Projektes beitragen. Der Ausblick vermag mit dem Panorama der Elbphilharmonie-Plaza zu wetteifern.

Noch ist der Bunker eine Großbaustelle: Aus allen Richtungen weht ein Hämmern, ein Klopfen, ein Schlagen herüber. Überall stehen schwere Stützen und Gerüste, enge Behelfstreppen führen nach oben, über die sich die Bauarbeiter behände bewegen. Es ist eine Baustelle im XXL-Format: Für das erste Geschoss, das im Juni vollendet wurde, mussten 650 Tonnen Stahl mit Kränen auf das Bunkerdach gehievt werden, rund 1400 Kubikmeter Beton wurden mit Deutschlands größter Betonpumpe auf 52 Meter hochgepumpt. Am Ende wird der Bunker auf 58 Meter wachsen.

Es ist nicht nur der besondere Ort, es ist die besondere Idee

Derzeit ist die zweite Ebene im Bau, am Ende wird der Hochbunker um fünf pyramidenartige Geschosse erweitert. Deutlich sichtbar ist bereits die Turn- und Veranstaltungshalle im Herzen des Aufbaus – in der Dreifeldhalle sollen bald Schüler turnen und spielen, am Abend Musiker und Literaten auftreten. Moderne LED-Lampen unter dem Multifunktionsboden aus Glas sollen die Verwandlung binnen Minuten ermöglichen: Was am Tage den Siebenmeterraum für Handballer abgrenzt, wird in der Nacht Stars ins richtige Licht setzen. Bis 2300 Stehplätze oder 1000 Stühle fasst die Halle in den Nachcorona-Zeiten. Auf einer Galerie kann man schon jetzt erahnen, warum diese Halle einmal zum Hotspot der Stadt werden dürfte. Rund um diesen Kern – durch doppelte Betonwände abgetrennt – wird das Gästehaus entstehen. Das Hotel nhow Hamburg soll 136 Zimmer umfassen, eine Bar, einen Coffeeshop und ein Restaurant.

Blick über der Galerie in der Veranstaltungshalle – vom Bunker schaut man bis zum Hafen.
Blick über der Galerie in der Veranstaltungshalle – vom Bunker schaut man bis zum Hafen. © Matthias Iken | Matthias Iken

Es ist nicht nur der besondere Ort, es ist die besondere Idee: einen Flakbunker aus der braunen Diktatur in eine grüne Oase verwandeln. „Diese Form der Aufstockung und Umwandlung ist meines Wissens weltweit einmalig“, sagt Frank Schulze, Sprecher des Projekts Bunker St. Pauli, bis aus Japan kämen interessierte Anfragen. Dies liegt schon an den Ausmaßen: 75 mal 75 Meter beträgt die Grundfläche des Monolithen, 37 Meter ragte er bisher in die Höhe. Erschwerend kommt hinzu: „Es gibt nur eingeschränkt Baupläne, wenig wurde detailliert dokumentiert“, erläutert Schulze. Man könne zum Beispiel „nicht bei jeder Betonwand oder -decke sagen, wie viel Stahl dort damals verbaut wurde“.

1942/43 entstand in nur 300 Tagen der Koloss von St. Pauli. Kurz nach Beginn der jetzigen Arbeiten entdeckten die Bauarbeiter im Erdreich vor dem Bunker einen Kabelschacht – den sich niemand genau erklären kann. So monumental wie der Bau ist, so rätselhaft ist er auch.

Corona verzögerte die Arbeiten

Zuletzt verzögerte Corona die Arbeiten: „Das Virus machte natürlich auch vor der Baubranche nicht halt – manche Arbeitsschritte mussten kurzfristig neu geplant werden. Natürlich hat uns die Pandemie Zeit gekostet“, sagt Valeria Geyer von der Bauleitung und Bauüberwachung phase10 Ingenieur und Planungsgesellschaft. Zwar hatte man selbst keine Infektionsfälle, aber schon ein einzelner Corona-Verdacht bei Baustoffproduzenten beeinträchtigte die Produktion von benötigten Betonfertigteilen; die geschlossenen Grenzen bremsten zudem den internationalen Lieferverkehr aus.

„Zum Schutz der Beschäftigten haben wir auf der Baustelle weitreichende Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen getroffen“, sagt Geyer. Zum Beispiel die Zugangserfassung beim Betreten der Baustelle und die Erhöhung der Zahl der Sanitäranlagen. „In der allgemeinen Ausnahmesituation haben wir versucht, so gut es unter schwierigen Bedingungen ging, den „Normalbetrieb“ fortzuführen.“ Der Zeitplan soll gehalten werden: 2021 soll die Aufstockung fertig sein – und dann Besucher und Gäste faszinieren.

Eine Mischung aus Park und Dschungel an die Feldstraße

Am Ende werden die Menschen aber wohl vor allem auf den Bunker strömen: Denn das Besondere wird seine Begrünung sein, die – sollten die Animationen nicht täuschen – eine Mischung aus Park und Dschungel an die Feldstraße zaubert. An den Außenseiten lässt sich schon durch Markierungen erkennen, wo der Mutterboden aufgetragen und dann gepflanzt wird. 90 Zentimeter Wurzeltiefe für Erde und Granulat. In der Baumschule Lorenz von Ehren wachsen längst Bäume, Gehölze, Sträucher, Hecken, Kletterpflanzen und Boden­decker heran und warten auf ihre Umsetzung. „Wir pflanzen vor allem nordeuropäische und skandinavische Arten, die Frost, Hitze und Sturm und Wetter­lagen, wie sie in mehr als 50 Metern Höhe herrschen, gewöhnt sind und aushalten“, sagt Schulze.

Im kommenden Jahr sollen rund 4700 Pflanzen auf den Bunker gesetzt werden, unter anderem Obstbäume, Strauchwaldkiefern, Felsenbirnen, Zoeschener Ahorn, Lorbeerkirsche, Stechpalme, Feldahorn, Efeu und Rosenstöcke. Die meisten sind immergrün, damit der Bunker auch im Winter ein grüner Bunker bleibt. Und Schulze verspricht: „Das wird kein englischer Garten – es wird hier natürlich aussehen, ein wenig wild, ein bisschen zerzaust.“ Eben so, wie es der Stadtteil ist.

In den kommenden Monaten beginnen die Arbeiten an der Rampe, die außen am Bunker entlang als „Bergpfad“ auf das Dach führen soll. Die innen liegenden Treppenhäuser bleiben der Erschließung der Räume vorbehalten. Die Nutzung der alten Gemäuer als Proberäume, Tonstudio, Atelier und Club bleibt erhalten. Zudem bekommt der Bunker 75 Jahre nach dem Krieg erstmals im alten Leitstand einen Gedenkort für die Opfer des NS-Regimes und des Zweiten Weltkrieges.

Gebäude mit einer bewegenden Geschichte

Trotz seiner Wucht war der Klotz auf dem Kiez bislang ein eher geschichtsloser Raum, ein Nichtort – weshalb der erbitterte Widerstand mancher Denkmalschützer überrascht. Bis zu den Aufstockungsplänen war der Bunker ein vergessener Platz, obwohl er deutsche Geschichte erzählt: Rund 1000 Fremd- und Zwangsarbeiter schufteten hier bis zur Erschöpfung, zugleich wurde der Bau für die Bewohner des Stadtteils Zuflucht und Lebensretter in den Bunkernächten. Bis zu 25.000 Hamburger drängten sich in seinem Bauch, als die Bomberverbände in der „Operation Gomorrha“ Hamburg im Hochsommer 1943 in Schutt und Asche legten. Ein Treffer, der einen Teil der Brüstung auf der Feldstraßenseite weggerissen hat, zeugt bis heute von der Sprengkraft der Bomben.

Vom Schauplatz des totalen Krieges zu einem blühenden Garten auf Beton – kaum ein Gebäude hat eine so bewegte, bewegende und umstrittene Geschichte hinter sich: Nach dem Krieg diente es wegen des dramatischen Wohnungsmangels als Notunterkunft, dann sendete mehrere Monate der NWDR aus der Trutzburg an der Feldstraße seine ersten Bilder – unter teilweise haarsträubenden Bedingungen und Temperaturen von 70 Grad.

Viele Hamburger hätten den Bunker am liebsten dem Erdboden gleichgemacht

Später hätten viele Hamburger den Bunker am liebsten dem Erdboden gleichgemacht – ein Schicksal, das den kleineren Befehls- und Leitbunker auf der anderen Seite des Heiligengeist­feldes 1973/74 tatsächlich traf. Doch der Bund als Eigentümer stellte sich quer. Er verwies auf die Kosten und wollte in Zeiten des Kalten Krieges auf einen potenziellen Luftschutzraum nicht verzichten. In den Fünfzigerjahren schlug eine Schokoladenfirma vor, den Bunker bunt anzustreichen und eine Leuchtreklame auf dem Dach anzubringen, bekam aber keine Genehmigung. Schließlich einigte sich Politik und Verwaltung auf einen Weg, den Bunker zu verstecken. Das Abendblatt berichtete 1957 unter der Zeile „Schönheitsoperation auf dem Heiligengeistfeld“: „Vor allem die beiden grauen Hochbunker sollen durch Grünkulissen abgeschirmt werden. Mit schnell wachsenden Bäumen (Pappeln und Akazien) will man das erreichen.“ Aus den Augen, aus dem Sinn?

Hinter den Pflanzen wird der Aufbau grün verklinkert
Hinter den Pflanzen wird der Aufbau grün verklinkert © Matthias Iken | Matthias Iken

1990 hing das Schicksal des Kolosses noch einmal im widersinnigesten Wortsinn am seidenen Faden: Der damalige Bürgermeister Henning Voscherau wollte an der Stelle des Bunkers eine Mehrzweckhalle aus Glas und Stahl errichten. Nach einer schier endlosen Standort­suche verkündete Voscherau im Frühsommer 1990 die Entscheidung: Die 15.000 Zuschauer fassende Halle sollte bis 1995 auf dem Heiligengeistfeld entstehen. „Es ist geschafft“, jubelte das Abendblatt etwas voreilig. In dem Zuge sollte der Bunker verschwinden. „Er ist ein Schandfleck“, kritisierte Voscherau.

Doch auf dem Kiez kamen derlei Pläne schon 1990 nicht an - der Bürgerverein St. Pauli von 1843 fürchtete Kosten allein für die Beseitigung von bis zu 100 Millionen D-Mark; für die Entschädigung der Betriebe und den Neubau der U-Bahn-Station müsse noch einmal genauso viel Geld ausgegeben werden. Die Finanzbehörde kalkulierte zurückhaltender mit 30 Millionen D-Mark – und brachte eine andere Idee ins Gespräch: Den Bunker mit Büros zu ummanteln.

Hanseatischer Geschäftssinn sprach offenbar gegen die Abrissbirne

Am Ende sprach wohl der hanseatische Geschäftssinn gegen die Abrissbirne: Inzwischen war der Bau in den Besitz der Hansestadt übergegangen und sorgte für regelmäßige Mieteinnahmen. 1965 war die Fotolegende F. C. Gundlach mit seiner Firma für Filmentwicklung und Fotobedarf PPS in den Bunker gezogen, 1975 eröffnete er dort eine der ersten Galerien für Fotografie in Deutschland. Musikverlage und Künstler entdeckten den Bunker, die Mieten waren günstig, die Wände dick, Anwohner gab es keine. „Selbst in Amerika war der Bunker als Künstlertreff bekannt“, sagte Gundlach einmal. 1993 war der Bunker endgültig gerettet – der Investor Thomas Matzen erwarb das Erbpachtrecht bis zum Jahr 2053.

Im November 2013 trat der Kreative Mathias Müller-Using an Matzen mit seiner Idee einer Begrünung heran. Er war nicht der Erste, der mit Ideen für den Feldstraßenbunker bei Matzen vorsprach, aber der Einzige mit Erfolg. „Matzen sagte mir: ,Das ist das Erste, was im Ansatz vorstellbar ist‘“, erinnert sich Müller-Using. Wenn ich ihm zeigen könnte, wie das finanzierbar sei, würde er das Konzept umsetzen. Mit seinem Kreativstudio Interpol und dem Verein Hilldegarden lieferte er ein Konzept für einen öffentlichen „Stadtgarten auf dem Bunker“, am Ende aber gingen Interpol und Matzen getrennte Wege. Nun setzt der Unternehmer Matzen den Bau, der inzwischen 46 statt wie geplant 30 Millionen Euro kosten dürfte, allein um.

Schwerter zu Pflugscharen, Bunker zu Gärten

Zuletzt drohte die Vision des grünen Bunkers im üblichen Klein-Klein der Stadt unterzugehen. Das erinnert ein wenig an die Elbphilharmonie: Ein Bild verzauberte Hamburg und überzeugte die Politik, dann folgten die Mühen der Ebene und die Begeisterung sank Richtung Gefrierpunkt. Erst in dem Moment der Fertigstellung dürften die Hamburger entdecken, was da gewachsen ist.

Der frühere Alleinvorstand der Stiftung Historische Museen Hamburg, Börries von Notz, brachte es einmal auf den Punkt. „Das Projekt ist großartig, weil es als spektakuläre Begrünungsaktion einen tollen Kontrast in der Stadtarchitektur darstellt“, lobte er. Die „bestialische Monumentalität wird eingefangen und in einen modernen Stadtkontext übergeführt.“ Ihn erinnere die architektonische Form an zwei Weltwunder zugleich – „die Hängenden Gärten von Babylon und die Pyramiden von Gizeh“. Auch Architekturkritiker zeigen sich begeistert: Gerhard Matzig lobte in der „Süddeutschen Zeitung“: „Unter den „Green-Buildings“, also im Reigen spektakulär begrünter Bauwerke, die von Singapur bis Paris aufhorchen und vor allem aufschauen lassen, visiert das Projekt einen Spitzenplatz in der Konkurrenz weltweiter Attraktionen an.“

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Für einen Bunker, den man noch vor 30 Jahren in die Luft sprengen wollte und danach am liebsten vergessen hätte, ist das eine erstaunliche Karriere. Und eine, die neben gelebter Stadtreparatur auch eine mutige Neudefinition ist: 75 Jahre nach dem Untergang des „1000-jährigen Reiches“ zeigt sich ein gewandeltes, friedliches Land. Wie heißt es beim Propheten Micha: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.“ Und ihre Bunker zu Gärten.