Hamburg. Nach mehr als fünf Monaten sind Hamburgs Schüler in voller Klassenstärke zurück. Der Start scheint gelungen. Doch es gibt auch Kritik.

Zurück in der Normalität in Zeiten von Corona: Gestern haben Hamburgs Schulen nach mehr als fünf Monaten den Regelbetrieb mit voller Klassenstärke und normalen Unterrichtszeiten wieder aufgenommen.

Ganz ohne Umarmung geht es bei einigen nicht. Schließlich haben sich die Schüler am Heinrich-Heine-Gymnasium in Poppenbüttel wochen- oder monatelang nicht getroffen. Sehen die Lehrer diesen Körperkontakt, müssen sie darauf hinweisen, dass das nicht erlaubt ist. „Aber die Schüler sind sehr diszipliniert und halten sich an die Regeln“, sagt Schulleiter Christian Borck.

Kennenlernspiele mit Anfassen und Umarmen

An einem anderen Gymnasium in Eimsbüttel dagegen, berichtet eine Mutter, habe ihre Tochter zum Start in die Oberstufe stundenlang Kennenlernspiele gemacht. „Mit Anfassen und Umarmen. Von Abstand war innerhalb des Jahrgangs keine Rede“, sagte die Mutter. Und am Gymnasium Hoheluft war der Start holperig. „Der Unterricht findet nur bis 13 Uhr in der Schule statt“, die Stunden am Nachmittag seien Homeschooling“, twittert Björn Staschen, ein betroffener Vater.

Am Heinrich-Heine-Gymnasium scheint es rundzulaufen. Gruppen von Schülern gehen mit ihrem Mund-und-Nasen-Schutz über den Schulhof. So viele junge Menschen auf einem Haufen hinter Masken zu sehen ist gewöhnungsbedürftig – und traurig.

FFP2-Masken für Lehrer sind noch nicht eingetroffen

Auch die Lehrer tragen Masken, ihre eigenen aus Stoff. Denn die von der Schulbehörde versprochenen Gesichtsvisiere und FFP2-Masken für die Lehrer sind nicht rechtzeitig zum ersten Schultag angekommen. Ein Muss ist auch das regelmäßige Lüften der Klassenräume. „Wir haben das Glück, in den Räumen für Durchzug sorgen zu können. Wir ermuntern die Schüler, viel rauszugehen und dort die Pausen zu verbringen“, so Borck. In den Pausen und mindestens einmal innerhalb von 90 Minuten wird gelüftet. Lüften und das Tragen der Maske seien kein Problem.

Schwieriger ist das Prinzip der Kohorte bei 870 Schülern, wonach die Jahrgänge voneinander getrennt werden. „Wir haben verhältnismäßig viel Platz auf dem Hof, andere Schulen aber nicht“, sagt Borck. Einige Schulleiter kritisieren die detaillierten Vorgaben der Behörde. Borck: „Viele Schulen wünschen sich mehr Spielräume durch Maßnahmen, die an der jeweiligen Schule wirkungsvoll sind, vorgegebene Ziele zu erreichen.“

Schule in Corona-Zeiten "fühlt sich normal an“

Statt an Gruppentischen oder in U-Form sitzen die 30 Jungs und Mädels der Klasse 10.3 an ihren Tischen frontal zur Tafel. Auch eine Neuerung, um das Infektionsrisiko zu verringern. Die Klasse hat Klassenrat, und weil Zumeda und Johann die Namen der Schüler für die Klassensprecherwahl ans Whiteboard schreiben und nebeneinander stehen, müssen sie Masken tragen, die anderen nicht.

Unterricht in Corona-Zeiten ist kaum anders. „Es fühlt sich normal an“, sagt Finn Krägemann (15). Die Klasse wieder zu sehen sei schön. „Aber der Unterricht in Kleingruppen war gut, in Englisch konnte ich viel mehr reden.“

Aufgeregt war Mitschülerin Mira von Dobschütz (14) vor dem heutigen Tag. „Ich habe mich sehr auf die Schule gefreut und alle wiederzusehen. Ich hoffe, dass es auch so bleibt, und bin optimistisch. Mein Vater hatte Corona, und ich habe mich nicht angesteckt. Man muss keine Panik haben, sondern den gesunden Menschenverstand einschalten.“ Sorgen hatte dagegen Sarah Finsterwalder (15) neben ihr. „Meine Eltern konnten mir die Ängste nehmen.“

Corona-Regeln an Hamburgs Schulen (Stand: 3. August):

  • Maskenpflicht an weiterführenden Schulen für alle Beteiligten, ausgenommen im Unterricht
  • Schüler und Beschäftigte müssen grundsätzlich den Mindestabstand einhalten
  • Schulen müssen eine entsprechende Wegführung und feste Areale auf den Pausenhöfen organisieren
  • Während des Unterrichts gilt die Abstandspflicht nicht
  • In besonderen Fällen können Schüler verschiedener Klassen miteinander lernen, etwa in Oberstufen- oder Wahlpflichtkursen
  • Schüler verschiedener Jahrgangsstufen müssen weiterhin untereinander den Mindestabstand einhalten
  • In Sport, Schwimmen, Musik und Theater sind große Abstandsregeln einzuhalten und Körperkontakte zu vermeiden
  • Schüler und Beschäftigte mit besonderen gesundheitlichen Risiken können sich per Attest vom Präsenzunterricht befreien lassen
  • Kranke Schüler sowie Urlaubsrückkehrer aus Risikogebieten, die keinen negativen Test vorweisen können und noch nicht in Quarantäne waren, werden umgehend nach Hause geschickt und dürfen die Schule vorerst nicht betreten
  • Bei Fernunterricht muss die Schule wöchentlich Telefongespräche mit den Schülern organisieren und den Austausch von Arbeitsbögen, Arbeitshefte, Bücher und handschriftlicher Arbeiten garantieren
  • Schulen müssen bis zu den Herbstferien in jeder Woche den vollständigen Unterricht erteilen
  • Projektwochen, Ausflüge, auswärtige Besuche sowie weitere Schulaktivitäten sind bis zu den Herbstferien nur erlaubt, wenn sie nicht zu Lasten der regulären Unterrichtsstunden gehen
  • Klassenreisen sind bis zu den Herbstferien untersagt

Klassenlehrerin Nicola Schulze Wettendorf hat sich genauso auf den Unterricht gefreut wie ihre Schüler. „Deshalb bin ich Lehrerin geworden, um mit den Schülern zusammen zu sein.“ Sorge um ihre Gesundheit mache sie sich keine, „aber um einem erneuten Lockdown“.

Schulleiter baut Spuckschutz für schwangere Kollegin

Schulleiter Borck kann mit fast allen Kollegen antreten: Lediglich zwei von 70 Kollegen fallen coronabedingt aus und haben ein Attest. Für eine schwangere Kollegin hatte Borck noch am Vorabend einen Spuckschutz in den Kunstraum gebaut. Dann meldete sie sich heute krank.

Auch an der Grundschule Hinter der Lieth in Lokstedt ist die Stimmung entspannt. „Der Alltag tritt spürbar ein“, sagt Schulleiterin Brigitte Lindauer-von Appen. Vieles, wie auch das Maskentragen, sei Routine, die Details müssten die 30 Kollegen noch verinnerlichen. Und die Kinder auch. Die Schüler von Meike Petersen, Klassenlehrerin in der 2b, wollten sie sofort umarmen. In normalen Zeiten kein Problem. Jetzt aber so nicht mehr möglich. „Sie müssen sich melden, und dann setze ich mir die Maske auf.“

Viele Grundschüler müssen wie Kita-Kinder neu lernen

Das Miteinander sei in einer Grundschulklasse überaus wichtig. Was der erfahrenen Grundschullehrerin am ersten Tag auffällt: „Die Kinder können sich weniger konzentrieren, haben Schwierigkeiten still zu sitzen.“ Schließlich wurden die 20 Mädchen und Jungen mitten in der ersten Klasse aus der Schule herausgerissen. Vieles müssen sie wie Kindergartenkinder neu lernen.

Lesen Sie auch:

„Wie viel habe ich, wenn ich 20 halbiere?“ „Zehn!“, rufen einige. Rechnen haut wohl noch hin. „Wie gut sie lesen können, werde ich in den kommenden Tagen spielerisch testen“, sagt Frau Petersen. Einmal die Woche für jeweils eine Stunde werden alle Lehrer den Stoff wiederholen.

Kinder müssen nach den Pausen gründlich Hände waschen

Masken müssen Grundschulkinder nicht tragen, und die Lehrer dürfen ihre nur beim Unterrichten absetzen. Das bedeutet auch, dass sie auf dem Schulhof Mund-und-Nasen-Schutz tragen.

„Wir sind lieber strenger. Wir haben eine Vorbildfunktion, und die Eltern möchten ihre Kinder gesund wieder in Empfang nehmen. Keiner weiß, wie infektiös Kinder sind“, so Lindauer-von Appen. Daher müssen sich die Kinder nach den Pausen gründlich die Hände waschen. Dafür gehen täglich 50 bis 60 Minuten Zeit für drauf. Die Kinder scheinen kein Problem damit zu haben, dass sie jeden Tag einen anderen Teil des Schulhofes jahrgangsweise zugewiesen bekommen.

Für manche Eltern ist es schwierig. Sie dürfen das Schulgelände nicht betreten, müssen ihre Kinder am Tor abgeben. Wer ins Schulbüro möchte, kann das nur nach Anmeldung. Einige Eltern stehen am Morgen lange hinter dem Schulzaun, schauen ihren Kindern hinterher.