Hamburg. In dem Brief geht um besseren Schutz vor einer Ausbreitung des Virus. Senator Ties Rabe: „Dafür gibt es weder Räume noch Lehrer.“

In einem offenen Brief haben besorgte Hamburger Eltern von Bürgermeister Peter Tschentscher, Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard und Schulsenator Ties Rabe (alle SPD) Nachbesserungen beim Gesundheitsschutz im Konzept zur Wiederöffnung der Schulen gefordert.

„Als Eltern begrüßen wir, dass nach den Sommerferien wieder für alle Schülerinnen und Schüler in Hamburg Präsenzunterricht angeboten werden soll“, heißt es in dem von Journalistin Nadja Frenz und Rechtsberater Heiko Habbe formulierten Brief, der am Dienstagmorgen bereits von mehr als 200 Eltern und Lehrern unterzeichnet war.

Hamburger Eltern fordern Plan B für Fall eines Corona-Ausbruchs

„Gleichzeitig sind wir besorgt angesichts der nunmehr vorliegenden Pläne für das Schuljahr 2020/21. Wir vermissen insbesondere einen klaren Schwerpunkt auf der Prävention einer weiteren Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus und einen ebenso klaren ,Plan B‘ für den Fall, dass es an Schulen zu Infektionsausbrüchen kommt. Auf dieser Basis ist ein sicherer und geordneter Schulbeginn nicht möglich.“ Dies sei „umso besorgniserregender, als mit dem Ende der Sommerferien die Infektionszahlen bundesweit und auch in Hamburg wieder merklich ansteigen“.

In dem online veröffentlichten Brief werfen die Unterzeichner dem Senat eine „fragwürdige Auswertung der wissenschaftlichen Erkenntnislage“ vor. Die Aussage von Senator Rabe, Kinder und Jugendliche seien weniger ansteckend, lasse sich nicht mit neueren Erkenntnissen vereinbaren.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) informiert über das Corona-Konzept für das Schuljahr 2020/21.
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat bei der Landespressekonferenz über das Corona-Konzept für das Schuljahr 2020/21 informiert. © Picture Alliance

„Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass Kinder und Jugendliche in ähnlichem Umfang teil am Infektions­geschehen haben wie andere Altersgruppen auch. In Israel mussten bereits kurz nach Öffnung der Schulen Mitte Mai über 170 Schulen wegen Sars-CoV-2-Ausbrüchen wieder geschlossen werden“, heißt es in dem offenen Brief.

„In Frankreich und Australien ließ sich in dokumentierten Fällen die Ausbreitung des Virus in Schulen nachvollziehen. Eine aktuelle Studie zu einem Coronavirus-Ausbruch in einem Sommercamp untermauert der US-Gesundheitsbehörde CDC zufolge die Erkenntnis, dass sich Kinder jeden Alters mit dem Erreger infizieren können.“

Die Schulbehörde ignoriere Hinweise des RKI

Auch ignoriere die Schulbehörde die Hinweise des Robert-Koch-Instituts (RKI), indem Abstands- und Maskengebot im Unterricht aufgehoben würden. Zudem gebe es keinen „Plan B“ für den Fall eines Infektionsverdachts an Schulen. Die Unterzeichner fordern daher, die „Empfehlungen der WHO, des RKI und des Bundesgesundheitsministeriums zu eindämmenden Maßnahmen (,AHA‘) gerade auch im Unterricht“ anzuwenden – also auch hier Abstände, wie sonst vorgeschrieben, einzuhalten.

Erreicht werden solle dies „durch geteilte Klassen und Unterricht in Kleingruppen, Reduzierung der Wochenstundenzahl im Präsenzunterricht, Kombination mit digitaler Lernstoffvermittlung“, so die Unterzeichner. „Notfalls müssen Unterrichtsinhalte konzentriert und Stoffpläne gekürzt werden.“

Schulsenator Rabe wies diese Forderungen am Dienstag im Rathaus zurück. Wenn man dieses Modell zu Ende denke und alle Klassen halbiere, müsse man aus 7000 Klassen 14.000 machen. Dafür gebe es aber weder die Räume noch die Lehrer. „Wer das fordert, wird bewirken, dass nur die Hälfte des Unterrichts in der Schule stattfindet“, so Rabe.

Rabe: Viele Kinder haben zu Hause nicht die besten Bedingungen

Dabei hätten viele Kinder zu Hause nicht die besten Bedingungen, hätten kein Kinderzimmer oder keinen Arbeitsplatz. „Diese Forderung wird auf dem Rücken der Kinder für viel Leid sorgen, deswegen folgen wir hier den vielen virologischen Einschätzungen und dem Konsens aller Bundesländer zu sagen, wir unterrichten in voller Klassenstärke in den Schulklassen.“ Rabe beruft sich dabei unter anderem auf eine aktuelle Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) und der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH).

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Mit deutlichen Worten wandte sich Rabe auch gegen eine aktuelle Aussage der SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken, die gesagt hatte, sie halte „die Rückkehr zur gewohnten Normalität an den Schulen für eine Illusion und die Aufgabe von Abstandsregeln für sehr problematisch“. Er habe „der Kollegin mitgeteilt, ich finde ihre Äußerung problematisch“, sagte Rabe dazu auf Abendblatt-Nachfrage.

„Wer das so sagt, der nimmt bewusst in Kauf, dass viele, viele Kinder nicht gut lernen können – und in Hamburg besonders viele Kinder, jene übrigens, um die wir uns gerade in der Schulpolitik besonders bemüht haben, die zu Hause eben keinen Rückenwind haben, die aber für diese Stadt wichtig sind und die ein Recht haben auf Bildung.“ Deswegen könne man den Gesundheitsschutz nicht ausschließlich sehen, sondern müsse auch „die seelische und geistige Entwicklung dieser Kinder mitberücksichtigen“.

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Opposition moniert fehlende Konzepte

Die Opposition übte Kritik an Rabes Vorgehen. „48 Stunden vor Beginn des neuen Schuljahres unter Corona-Bedingungen wirken der rot-grüne Senat und insbesondere der Schulsenator noch immer unvorbereitet“, sagte CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver. Es gebe kein Konzept für „Präsenz- oder Fernunterricht mit Hygienekonzepten und Abstandsregelungen“ und „keine einheitliche und überzeugende E-Learning-Plattform sowie Qualitätsstandards für das Homeschooling“, so Stöver. „Was haben der Schulsenator und seine Behörde in den Schulferien und in den fünf Monaten vorher eigentlich gemacht?“

Linken-Bildungspolitikerin Sabine Boeddinghaus warf der Schulbehörde vor, „die unter Corona-Bedingungen verschärfte Bildungsungerechtigkeit gegen den Infektionsschutz auszuspielen“. Benachteiligte Haushalte böten dem Schulsenator „nur das Feigenblatt, seine konzept- und ideenlose Politik fortzuführen“. Die Schulbehörde sei pädagogisch untätig geblieben.

Das sind die Corona-Regeln für Hamburg:

  • Privat können bis zu 25 Personen zu Feiern zusammenkommen, egal aus wie vielen Haushalten. Treffen in der Öffentlichkeit sind auf 10 Personen aus beliebig vielen Haushalten begrenzt.
  • Alle Kinder dürfen in einem eingeschränkten Regelbetrieb wieder die Kitas besuchen.
  • Nach dem Ende der Sommerferien am 6. August können wieder alle Schüler einer Klasse gemeinsam unterrichtet werden. Dennoch sollen Einschränkungen wie die bisherigen Abstandsgebote vorsichtshalber erhalten bleiben.
  • Unter Auflagen sind wieder Veranstaltungen mit bis zu 1000 Teilnehmern im Freien und 650 Teilnehmern in geschlossenen Räumen zulässig.
  • Für größere Versammlungen gibt es keine Teilnehmerbegrenzung mehr. Es wird jeweils der Einzelfall mit Blick auf Hygiene- und Abstandsregeln geprüft.

AfD-Familienpolitikerin Olga Petersen forderte, dass „eine einheitliche und optimierte Lernplattform angewendet wird, bei dessen Nutzung auch die Eltern miteinbezogen werden“. Die Corona-Krise habe „Lücken der Digitalisierung an Schulen offenbart“, noch immer gebe es „keine einheitliche, funktionale und komplett störungsfreie Lernplattform“.

Gewerkschaft bezeichnet Maskenpflicht als „unpädagogisch“

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ging ebenfalls kritisch mit Rabes Konzept ins Gericht. „Wenn der Senator am Montag die Maskenpflicht in der Schule bis zum Klassenraum angeordnet hat, ist zu erwarten, dass er bei weiterem Druck die Maskenpflicht auch im Klassenraum anordnen wird, so wie dies bereits in Nordrhein-Westfalen vorgesehen ist“, so GEW-Chefin Anja Bensinger-Stolze. „Das erschwert das Lernen und Kommunizieren in den Klassen ungemein. Auf dieses sehr unpädagogische, letzte Mittel kann man nur kommen, wenn man unbedingt an der vollen Klassenstärke festhält.“

Die Erfahrungen, mit kleineren Gruppen zu arbeiten, habe „vor den Ferien besondere Lernerfolge in weniger Unterrichtsstunden bedeutet“. Dabei könnten die Abstandsregeln eingehalten werden, die überall im öffentlichen Raum gelten. Die GEW hatte bereits vor den Ferien dazu ein Eckpunktepapier vorgelegt. „Schule muss wieder als sozialer Ort erlebbar werden. Dazu müssen die Lehrpläne gelüftet werden und Platz sein für Gespräche, für Diskussionen auch und gerade über die jetzige Pandemie und ihre Folgen.“

Corona-Regeln an Hamburgs Schulen (Stand: 3. August):

  • Maskenpflicht an weiterführenden Schulen für alle Beteiligten, ausgenommen im Unterricht
  • Schüler und Beschäftigte müssen grundsätzlich den Mindestabstand einhalten
  • Schulen müssen eine entsprechende Wegführung und feste Areale auf den Pausenhöfen organisieren
  • Während des Unterrichts gilt die Abstandspflicht nicht
  • In besonderen Fällen können Schüler verschiedener Klassen miteinander lernen, etwa in Oberstufen- oder Wahlpflichtkursen
  • Schüler verschiedener Jahrgangsstufen müssen weiterhin untereinander den Mindestabstand einhalten
  • In Sport, Schwimmen, Musik und Theater sind große Abstandsregeln einzuhalten und Körperkontakte zu vermeiden
  • Schüler und Beschäftigte mit besonderen gesundheitlichen Risiken können sich per Attest vom Präsenzunterricht befreien lassen
  • Kranke Schüler sowie Urlaubsrückkehrer aus Risikogebieten, die keinen negativen Test vorweisen können und noch nicht in Quarantäne waren, werden umgehend nach Hause geschickt und dürfen die Schule vorerst nicht betreten
  • Bei Fernunterricht muss die Schule wöchentlich Telefongespräche mit den Schülern organisieren und den Austausch von Arbeitsbögen, Arbeitshefte, Bücher und handschriftlicher Arbeiten garantieren
  • Schulen müssen bis zu den Herbstferien in jeder Woche den vollständigen Unterricht erteilen
  • Projektwochen, Ausflüge, auswärtige Besuche sowie weitere Schulaktivitäten sind bis zu den Herbstferien nur erlaubt, wenn sie nicht zu Lasten der regulären Unterrichtsstunden gehen
  • Klassenreisen sind bis zu den Herbstferien untersagt