Hamburg. Nach einer Kollision mit einem Containerschiff versank der frisch sanierte Zweimaster. Dieser Umbau hat wohl Menschenleben gerettet.
Als Uwe Baykowski am Pfingstsonnabend 2019 das Foto auf seinem Handy sieht, glaubt er zunächst an einen schlechten Scherz. Das Bild, das ihm eine Bekannte gemailt hat, zeigt den gesunkenen Lotsenschoner „No. 5 Elbe“. Der Bootsbaumeister aus dem schleswig-holsteinischen Dänischenhagen kennt dieses Schiff wie kaum ein Zweiter. 2002 begutachtete er das 1883 gebaute Boot im amerikanischen Seattle, als es die Stiftung Hamburg Maritim erworben hatte.
17 Jahre später plante und überwachte Baykowski die achtmonatigen Sanierungsarbeiten auf der dänischen Werft Hvide Sande. Am 29. Mai 2019 erreichte der Zweimaster unter dem Jubel des Vereins „Freunde des Lotsenschoner No. 5“ wieder seinen Heimathafen.
Lotsenschoner No 5: Gesunken – nur zwölf Minuten nach der Havarie
Wie kann das schwimmende Denkmal nur zehn Tage später auf der Schwinge, einem Nebenfluss der Elbe, gesunken sein?, fragt sich Baykowski, weltweit etablierter Sachverständiger für Yachten. Nachrichtenseiten im Internet zeigen ihm dann das Drama. Das Schiff mit 29 Gästen und 14 Besatzungsmitgliedern war auf der Elbe in Höhe Stadersand mit einem Containerschiff kollidiert.
Retter der DLRG, zufällig wegen einer anderen Havarie in der Nähe, konnten alle Personen bergen, acht wurden verletzt. Das Traditionsschiff erreichte noch die nahe Mündung der Schwinge. Dort lief es zwölf Minuten nach der Havarie kurz vor der Pier auf Grund und versank. Eigens eingeflogene spanische Spezialtaucher konnten den Lotsenschoner eine Woche später mit Hebekissen bergen. Baykowski sah sich den Schaden sofort an. Sein erstes Urteil: „Das ist zu reparieren.“
In Wewelsfleth wurde der Lotsenschoner fitgemacht
Auf der Peters Werft in Wewelsfleth schrubbten Vereinsmitglieder dann den Segler. Sie spülten den lädierten Rumpf, der Schlick durfte sich nicht festsetzen. Es waren vor allem für Joachim Kaiser aufreibende Tage. „Die Unglücksnachricht war mir wirklich auf den Magen geschlagen. Ich habe so sehr für die Restaurierung des Schiffes gekämpft“, sagt das Vorstandsmitglied der Stiftung Maritim. Ohne ihn, das ist sicher, wäre der Lotsensegler 2002 nicht aus seinem amerikanischen Exil zurückgekehrt. Der „Herr der alten Pötte“, wie ihn das Abendblatt einmal nannte, kümmert sich seit Jahrzehnten wie besessen um das maritime Erbe der Hansestadt.
Schon als Kind konnte sich Kaiser für historische Schiffe begeistert. Er kletterte auf Gaffelkuttern, verschlang die Bücher von Graf Luckner. Später arbeitete Kaiser als Redakteur für die Zeitschrift „Yacht“. Er erwarb einen Matrosenbrief, machte schließlich auf der Hamburger Seefahrtsschule sein Kapitänspatent. Derzeit steuert er die Restaurierung des früheren Hamburger Frachtseglers „Peking“.
Havarie des Lotsenschoners "No. 5 Elbe"
Historische Inneneinrichtung ist zu retten
Gerade in Krisenzeiten braucht es Kapitäne von Kaisers Schlag. Die ihre ehrenamtliche Crew motivieren können, alles zu geben. Und die auch bei Rückschlägen positiv denken: „Zum Glück ist die historische Inneneinrichtung noch zu retten. Darüber bin ich heilfroh. Wir reden hier von einem schwimmenden Denkmal. Vor allem die große Messe mit den 16 Alkovenkojen an den Bordwänden gibt es so erhalten kein zweites Mal.“
Für die „Mission Rettung, Teil 2“ beauftragte die Stiftung erneut Hvide Sande. Der Transport verlangte viel Fingerspitzengefühl: Ein Schlepper brachte den Lotsenschoner am 22. Oktober 2019 zum Hachmannkai. Ein Kran hob den knapp 38 Meter langen, sechs Meter breiten und knapp 80 Tonnen schweren Segler behutsam auf ein Küstenmotorschiff zur Fahrt nach Dänemark.
Zehn Monate danach ist Baykowski mit dem Fortschritt sehr zufrieden: „Es sind Arbeiten, die wir schon gemacht haben. Und wir haben es jetzt mit frischem Holz zu tun und neuen Verbindungen, die sich leicht lösen lassen.“ Nun werden noch die Kupferplatten aufgebracht, darunter ein Teerfilm gelegt: „Das ist höchste handwerkliche Kunst. So wird Korrosion vermieden.“
Im Herbst soll der Lotsenschoner nach Hamburg zurückkommen
Im September oder Oktober soll der Lotsensegler wieder nach Hamburg zurückkehren – allerdings nicht aus eigener Kraft, sondern erneut huckepack. Denn dann steht der zweite Teil der „Operation Rettung“ an. Die Elektrik muss erneuert werden, zwei neue Maschinen werden eingebaut, die alten waren nicht mehr zu retten. „Es wird technisch dann in einem besseren Zustand sein als zuvor“, verspricht Baykowski.
Kapitän Kaiser rechnet für sich und seine Crew mit „unzähligen Arbeitsstunden“, bis der Lotsensegler wieder wird Fahrten anbieten können: „Realistisch ist für mich, dass wir das Schiff 2022 wieder in Dienst werden stellen können.“
Bleibt am Ende die Frage, wer das alles bezahlt. Schon die erste Sanierung vor der Havarie für 1,5 Millionen Euro war ein Kraftakt, möglich dank des Engagements von Bundesregierung, Bürgerschaft, Denkmalschutzamt und drei Großsponsoren. Einen Teil der Kosten finanzierte die Stiftung durch die Einnahmen aus Gästefahrten.
Was die Sanierung kostet? Ein Geheimnis...
Zu den aktuellen Kosten darf sich die Stiftung aus rechtlichen Gründen öffentlich nicht äußern. Denn noch läuft das Verfahren der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) in Hamburg, von der Klärung der Schuldfrage wird am Ende abhängen, wie die Versicherungen die Schäden regulieren. Laut Behörde handelt es sich um eines der aufwendigsten Verfahren ihrer Geschichte.
In dem im Juni veröffentlichten Zwischenbericht heißt es: „Der Segler hatte gerade eine Wende vollzogen, um nach Hamburg zurückzufahren, als sich zwei Segel losrissen. Während die Besatzung damit beschäftigt war, diese Segel unter Kontrolle zu bekommen, wurde es versäumt, die Fahrwasserseite der eigenen Fahrtrichtung entsprechend zu wechseln. So fuhr „No. 5 Elbe“ erst knapp an der ihr entgegenkommenden „Hanna“ vorbei und kollidierte dann mit der „Astrosprinter“.“
War das Containerschiff zu schnell?
Über „Zeugenbefragungen, dem Auslesen und Auswerten elektronischer Aufzeichnungen sowie schiffbaulichen Aspekten des Traditionsseglers“ ermittelt die BSU den Unfallhergang. Viele Fragen sind zu beantworten: War das Containerschiff zu schnell unterwegs? Reagierte der Kapitän des Frachters rechtzeitig auf die Signale des Lotsenschoners? Wie lief der Funkkontakt zwischen den Schiffen?
Wie auch immer die Schuldfrage ausgehen wird, in einem Punkt ist sich Uwe Baykowski ganz sicher. Die erste Restaurierung war nicht vergebens, im Gegenteil, wahrscheinlich hat sie Leben gerettet: „Durch die Sanierung haben wir das Boot sehr stabilisiert. In dem ursprünglichen Zustand wäre der Lotsenschoner bei einer solchen Havarie in Tausende Teile zerbrochen. Das Schiff wäre sofort gesunken – mit wahrscheinlich schlimmen Folgen.“
Der Lotsenschoner No. 5 Elbe
Der Lotsenschoner „No. 5 Elbe“ zählt zu den wenigen noch erhaltenen Hamburger Segelschiffen aus der Holzbauzeit. Der 37 Meter lange Schoner lief 1883 von der Werft H. C. Stülcken Sohn vom Stapel. Mit dem Schiff wurden 30 Jahre Lotsen in die Elbmündung oder in die Deutsche Bucht übergeführt.
1924 kaufte eine amerikanische Familie das Schiff und umrundete mit ihm auch Kap Hoorn. 2002 erwarb die Stiftung Hamburg Maritim das Schiff in Seattle. Nach einer Sanierung, vor allem durch den gemeinnützigen Verein „Jugend in Arbeit“, bot der Förderverein Freundes des Lotsenschoners „No. 5 Elbe“ Charterfahrten an. Diesen sollen nach der Wiederherstellung des Schiffes wieder aufgenommen werden. Wer dem Verein beitreten oder ihn unterstützen möchte, kann sich im Internet informieren unter www.lotsenschoner.de.