Hamburg. Neue Pläne für Klimaschutz, Moorburg, Landwirtschaft. Jens Kerstan spricht auch über Mallorca-Urlaub unter Corona-Bedingungen.
Er ist einer der Nutznießer des guten grünen Wahlergebnisses vom Februar: Umweltsenator Jens Kerstan konnte seine Zuständigkeiten neben Umwelt, Klima und Energie in den Koalitionsverhandlungen u. a. um die Bereiche Landwirtschaft, Jagd und Wälder erweitern.
Im Abendblatt-Interview erläutert der 54-Jährige, was sich dort ändern soll, wie er den sich beschleunigenden Klimawandel bekämpfen und Hamburg zur möglichst schon 2035 klimaneutralen Stadt machen und woran er sich am Ende der Wahlperiode messen lassen will.
Herr Senator, Sie waren gerade im Urlaub auf Mallorca, wie ist dort die Corona-Lage?
Jens Kerstan Das ist eine sehr außergewöhnliche Situation, es fühlt sich mitten in der Hauptsaison an wie Nebensaison. Anfangs war bei uns im Ort kein Hotel geöffnet, fast alle Restaurants waren geschlossen. Die Insel ist extrem hart getroffen. Da habe ich echt null Verständnis für deutsche Touristen, die da Partys aus dem Ruder laufen lassen. Dabei darf man Mallorca auf keinen Fall auf den Ballermann reduzieren.
Wie haben Sie bei Ihrer Rückkehr die Lage in Hamburg wahrgenommen?
Man hat schon auf dem Flug eine neue Nachlässigkeit bemerkt. Auf dem Hinflug waren alle sehr diszipliniert, auch beim Aussteigen wurde auf Abstände geachtet. Beim Rückflug war das schon wieder ganz anders. Solche Situationen wie bei den Partys auf der Schanze habe ich auf Mallorca übrigens nicht erlebt.
Was hat die Pandemie beim Umwelt- und Klimaschutz bisher verändert? Und was könnte ihr langfristiger Effekt sein?
Die Luft ist besser geworden, der Lärm weniger – und Deutschland wird 2020 seine Klimaziele erreichen. Langfristig reicht so ein Kriseneffekt aber nicht. Wir müssen grundsätzliche Dinge auf Dauer ändern. Ich kann mir aber vorstellen, dass auch nach der Pandemie kaum noch Menschen für eine einstündige Konferenz nach Frankfurt fliegen. Videokonferenzen werden wohl auch nach Corona Standard werden. Auch wird es vermutlich weiter viel Homeoffice geben, was den Verkehr reduziert.
Wenn die Luft besser ist: Heben Sie dann jetzt die Diesel-Fahrverbote auf?
Ich habe immer gesagt, dass, wenn wir davon ausgehen können, dass der Grenzwert zuverlässig langfristig eingehalten wird, ich sofort die Durchfahrtsbeschränkungen aufhebe. Hierfür aber ist ein Jahresmittelwert bei der NO2-Belastung notwendig, den wir noch nicht haben. In diesem Jahr werden die Beschränkungen also noch bleiben müssen.
Neueste Daten vom Nordpol zeigen Rekordtemperaturen und massive Eisschmelze. Wie bewerten Sie das?
Es zeigt, dass der Klimawandel deutlich schneller voranschreitet, als die Modelle das vorhergesehen haben. Gerade eine Stadt am Wasser wie Hamburg sollte daher ehrgeizig bei seinen Klimazielen und der Klimafolgen-Anpassung sein.
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Warum haben Sie sich mit der SPD nicht auf ein Jahr einigen können, in dem Hamburg klimaneutral sein soll?
Ziel der Grünen in den Verhandlungen war Klimaneutralität bis 2035. Im Koalitionsvertrag steht „deutlich vor 2050“. Keine genaue Jahreszahl zu versprechen, wenn man noch nicht genau weiß, ob und wie man sie erreicht, ist doch ein vernünftiger Kompromiss. Ich verstehe die Formulierung und die Aussagen des Bürgermeisters als Auftrag, 2035 anzustreben.
Wie wollen Sie das erreichen?
Wichtig ist es, die Wiederaufbauhilfe nach dieser Krise so zu gestalten, dass sie auch dem Klimaschutz hilft. Außerdem wird uns die Verkehrswende helfen: mehr Radverkehr, mehr ÖPNV, weniger Pkw-Verkehr. Zudem werden wir uns in Hamburg intensiv um die Wärmedämmung älterer Gebäude kümmern. Und wir wollen am Standort Moorburg bis 2025 dafür sorgen, dass dort keine Kohle mehr verfeuert wird. Wenn wir dort auch grünen Wasserstoff produzieren, kann das auch bei der Verkehrswende helfen, Flugzeug- und Lkw-Treibstoffe könnten weniger klimaschädlich werden. Einen sehr großen konkreten Beitrag zum Klimaschutz wird auch der Umbau der Fernwärme erbringen.
Da gibt es einiges an Widerständen – etwa in Othmarschen gegen den nötigen Bau einer Fernwärmeleitung.
Leider mussten wir wegen Corona einige wichtige öffentliche Info-Veranstaltungen hierzu absagen. Denn ich bin überzeugt, dass wir die Menschen von dem sehr umweltfreundlichen Projekt überzeugen können – zumal die Leitung nicht über Privatgrund laufen soll. Der Planfeststellungsbeschluss soll 2021 vorliegen. Eine komplette Neuplanung, die manche vor Ort wünschen, würde auch die Abschaltung des Kraftwerks Wedel weiter verzögern. Das wäre nicht gut.
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Wie teuer wird der Umbau der Fernwärme, wann ist er abgeschlossen?
Das können wir derzeit noch nicht exakt beziffern. 2030 soll der Umbau abgeschlossen sein, möglichst schon etwas früher.
Werden die Kunden mehr für ihre Energie zahlen müssen?
Wir haben uns da festgelegt: Die Kostensteigerungen dürfen nicht über denen für fossile Brennstoffe liegen.
Insgesamt steigen die Energiekosten seit Langem deutlich stärker als andere Kosten. Das ist für viele immer schwieriger bezahlbar.
Das liegt vor allem an der falschen Regulierungspolitik der Großen Koalition. Erneuerbare Energie wird immer günstiger – aber je günstiger sie wird, umso höher steigt die Erneuerbare-Energien-Umlage, die alle bezahlen. Das liegt daran, dass die GroKo ihre Politik immer noch an Maßstäben der fossilen Ära ausrichtet. Das muss sich nach der nächsten Bundestagswahl ändern.
Wann wird das Kohlekraftwerk Wedel abgeschaltet?
Geplant ist das für die Heizperiode 2024/25.
Was soll an dem Standort passieren, der Hamburg ja gehört?
Wärme Hamburg führt derzeit Gespräche mit dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, der dort ein Kraftwerk bauen will, in dem überschüssiger Windstrom in Wärme umgewandelt werden kann. Diese würden wir dann in unser Fernwärmenetz einspeisen. Noch können wir aber nichts zu eventuellen Kosten oder Zeitplänen sagen. Wir entwickeln das Fernwärmekonzept stetig weiter. So prüfen wir derzeit mit dem Aluminium-Hersteller Hydro südlich der Elbe, weitere Abwärme in das System einzuspeisen.
Eines der ehrgeizigsten Projekte ist der geplante Umbau des Kohlekraftwerks Moorburg zunächst auf Gas und später auf nicht-fossile Brennstoffe einerseits und zu einem Elektrolyseur von grünem Wasserstoff andererseits. Ärgert es Sie, dass das Ganze unter der Federführung von Bürgermeister und Wirtschaftssenator läuft – und nicht bei Ihnen?
Die Verkündung des Vorhabens war ein Wahlkampf-Scoop des Bürgermeisters, das erkenne ich an. Jetzt ist es ein gemeinsames Projekt – und ein sehr gutes Vorhaben. Man muss es nur richtig machen. Die Stadt wäre sehr gut beraten, wenn sie dabei auf die Expertise unserer Energieabteilung zurückgreifen würde – und davon gehe ich auch aus. Wir sind die Energiebehörde.
Kann man das Vorhaben zusammen mit dem Eigentümer Vattenfall umsetzen – oder muss man das Kraftwerk kaufen?
Der Kauf ist nicht die erste Option. Es geht darum, Moorburg kohlefrei umzugestalten. Wenn das nicht geht, ist auch die Stilllegung eine Option. Das lassen wir jetzt erst einmal untersuchen.
Was viele nicht verstehen: Bei einer Wiederauflage eines Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht tritt die Behörde jetzt aufseiten Vattenfalls gegen den BUND an. Vattenfall will wieder Elbwasser zur Kühlung entnehmen, obwohl das dem Fluss und dem Fischbestand laut EU schadet.
Ich habe 2017 die weitere Entnahme von Elbwasser untersagt, seither kühlt das Kraftwerk nur mit dem Kühlturm, nicht mit Elbwasser. Das jetzige Verfahren hat einen langen Vorlauf, der noch in Zeiten der SPD-Alleinregierung begonnen hat. Dass wir zusammen mit Vattenfall antreten, entspricht einer alten Absprache. Uns ist es wichtig, jetzt durch ein Urteil Rechtssicherheit zu bekommen.
Nicht richtig voran ging es zuletzt beim Lärmschutz. Der Lärmaktionsplan hätte laut EU 2018 vorliegen müssen. Es gibt ihn bis heute nicht.
In der Absprache mit der bisherigen Wirtschafts- und Verkehrsbehörde konnten wir uns vor der Wahl nicht auf eine ambitionierte Fortschreibung einigen. Ich denke mit der neuen, grün geführten Verkehrsbehörde kommen wir da schneller zusammen. Wir müssen uns aber auch mit den anderen Behörden einigen. Der neue Lärmaktionsplan soll 2021 vorliegen.
Wie wollen Sie die Menschen vor gesundheitsgefährdendem Lärm schützen?
Wir werden Lärmschutzmaßnahmen an mindestens 78 weiteren Straßen umsetzen. Im Koalitionsvertrag haben wir beschlossen, auch laute Straßen der Kategorie 2 in das Programm einzubeziehen. Wir werden dort Tempo 30 und die Ausbringung von Flüsterasphalt prüfen. Auch Fahrradstreifen zwischen Autoverkehr und Wohnbebauung können den Lärm mindern helfen.
Großeinkäufe lassen sich schlecht mit dem normalen Fahrrad erledigen. Die 1,5 Millionen Euro Subventionen für den Kauf waren binnen kürzester Zeit abgerufen. Wird es dafür neue Mittel geben?
Ja, ab September werden wir 700.000 Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Wer ein Lastenrad kauft, kann dann mit einem Zuschuss von bis zu 2000 Euro rechnen.
Sie sind jetzt auch für Landwirtschaft zuständig. Was wird sich hier unter grüner Ägide ändern?
Die Agrarpolitik wird künftig im Senat eine größere Rolle spielen – immerhin gibt es in Hamburg 625 Betriebe, die mehr als 14.000 Hektar Fläche bewirtschaften. Es gibt künftig ein eigenes Amt für Agrarwirtschaft. Wir wollen zusammen mit Landwirtschaft und Gartenbau einen Hamburger Weg entwickeln: mit gesünderer Lebensmittelproduktion und deutlich mehr Biolandbau – nämlich auf 20 bis 25 Prozent der agrarisch genutzten Flächen. Auch konventionelle Betriebe sollen umweltfreundlicher werden, und die Bauern brauchen ein gutes und sicheres Einkommen. Was uns dabei stört: Die EU fördert bisher vor allem Großbetriebe. Dabei sind gerade die kleinen und mittleren wichtig für eine Agrarwende.
Für die Jagd sind Sie jetzt auch verantwortlich. Müssen die Hamburger Jäger Angst bekommen?
Nein, warum? Eines aber wollen wir wirklich möglichst schnell ändern: Wir wollen die Nutzung von Bleimunition untersagen. Die ist extrem giftig. Immer wieder verenden Tiere kläglich, die Aas von mit Blei geschossenen Tieren fressen. Das Gift gelangt auch ins Wasser. Die EU will Bleimunition komplett verbieten. Das unterstützen wir.
Bleibt der Hamburger Wald – für den Sie jetzt auch zuständig sind. Und dem geht es angesichts von Klimawandel, massivem Schädlingsbefall und Stürmen zuletzt gar nicht gut. Was wollen Sie tun?
Der Klimawandel ist in der Tat schon jetzt eine große Belastung für die Wälder. Eine gute Nachricht kann ich aber hier verkünden: Wir werden den Vollhöfner Wald bald wieder für die Bürger zugänglich machen – zumindest für von Naturschutzverbänden organisierte Spaziergänge.
Ihr Verhältnis zu Bürgermeister Tschentscher galt vor der Wahl als zerrüttet. Wie gelingt die Zusammenarbeit?
Im Wahlkampf setzt man sich schon mal deutlich auseinander, das gehört dazu. Wir hatten ja nach der Wahl mit Corona eine besondere Situation. Bei der Bewältigung der Krise waren der Bürgermeister und ich fast immer einer Meinung – wir plädieren beide für Vorsicht im Umgang mit diesem tückischen Virus. Ich rechne es Peter Tschentscher auch hoch an, dass er den Klimaschutz konsequent verfolgt – und in der Kommission für Klimaschutz und Mobilitätswende den Vorsitz übernommen hat.
Macht er das nicht eher, um die grünen Senatoren für Umwelt und Verkehr im Auge zu behalten?
Nein, so verstehe ich das nicht – im Gegenteil. Wenn es hakt, wird der Bürgermeister mit seiner Richtlinienkompetenz die nötigen Impulse setzen, damit wir weiter vorankommen.
Was sind Ihre persönlichen Kernziele in dieser Wahlperiode? Woran wollen Sie sich 2025 messen lassen?
Ich will, dass wir 2025 bundesweit als Vorreiter bei der Wärmewende gesehen werden. Und dass wir beim Klimaschutz die Weichen so gestellt haben, dass wir Klimaneutralität deutlich vor 2050 erreichen, nach Möglichkeit schon bereits 2035.