Hamburg. US-Chefvirologe fordert den Verzicht auf das Ritual auch nach Ende der Pandemie. Was Hamburger Experten sagen.

Seit Monaten ist das Händeschütteln weltweit geächtet – die Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus ist zu groß. Doch inzwischen mehren sich die Stimmen von Experten, die auch für die Zeit nach der Pandemie zu einem Verzicht auf das Tausende Jahre alte Begrüßungs- und Verabschiedungsritual raten.

Zu ihnen gehört der Chef-Virologe der USA, Anthony Fauci. Er plädiert unmissverständlich für die Abschaffung des Handschlags. „Ich glaube nicht, dass wir uns jemals wieder die Hand geben sollten“, sagte Fauci. Auf diese Weise könnten zum Beispiel sowohl die Verbreitung neuer krankmachender Viren als auch eine Infektion mit der üblichen saisonalen Grippe verhindert werden. Hamburger Wissenschaftler sehen die Zukunft des Handschlags als soziale Norm ebenfalls mit wachsender Skepsis.

So wie Daniel Geiger. Der Wissenschaftler hat an diesen Tagen alle Hände voll zu tun. Als Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg leitet er bis Sonnabend das EGOS-Colloquium, die weltweit größte Wissenschaftstagung mit mehr als 2000 Teilnehmern aus 49 Ländern. Sie alle wären nach Hamburg bekommen, hätten diskutiert, aber auch einander die Hände geschüttelt. Doch es kam Corona dazwischen, und das Kolloquium findet nur virtuell statt. Wie alle Menschen verzichtet der Krisenforscher momentan auf das Jahrtausende alte Begrüßungs- und Verabschiedungsritual, das Händeschütteln. Schon die alten Römer praktizierten es und zeigten damit, dass sie keine Waffe in der Hand tragen und friedliche Absichten hegen.

Wegen der Corona-Pandemie ist Händegeben weltweit passé

Wissenschaftler Geiger hat allerdings selbst erfahren, wie schnell solche Rituale von der Bildfläche verschwinden können. So erlebte er bei seinem Forschungsaufenthalt in West-Uganda an der Grenze zum Ost-Kongo vor zwei Jahren, wie das Händegeben als gängige Begrüßungspraxis plötzlich öffentlich geächtet wurde. Wegen des Ebola-Ausbruchs hatte Uganda diese und weitere Maßnahmen getroffen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, sagt Geiger. Mit langfristiger Wirkung: „Das Händegeben wird seit August 2018 in der gesamten Grenzregion nicht mehr praktiziert.“

Wegen der Corona-Pandemie ist Händegeben sogar weltweit passé. Nachdem die US-Virologen Zweifel an der Zukunft des Händeschüttelns als soziale Norm äußerten, steht diese kulturelle Praxis in der westlichen Hemisphäre auf der Kippe. Erste Unternehmen gehen auf Distanz zu dieser Art von Körperkontakt.

Professor Johannes K.-M. Knobloch leitet die Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Zum einen hält er den Handschlag, gerade in der ärztlichen Praxis, für wichtig. „Damit kann man Kontakt aufbauen und Vertrauen schaffen – mit entsprechender Händedesinfektion“, sagt er. Jeder Patient müsse sich darauf verlassen können, dass sich sein Gegenüber vor dem Handschlag, also nach der zuvor behandelten Person, die Hände desinfiziert habe.

Hygieniker plädiert für eine deutliche Reduktion des Handschlags

Zum anderen plädiert der Hygieniker für eine deutliche Reduktion des Handschlags – und zwar immer dann, wenn sehr viele Menschen außerhalb von medizinischen Einrichtungen ohne Möglichkeit der Händehygiene zusammentreffen.

„Effektiver für den Schutz vor Infektionen wäre eine Reduktion des Handschlags bei größeren Menschenansammlungen“, rät er. Sonst würden vermehrt Bakterien, Pilze und Viren übertragen. Steht der Handschlag also bald auf dem Index, wenn sich die Hamburger Gesellschaft auf öffentlichem Parkett trifft oder Geschäftsleute einen Vertrag besiegeln? Bei der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e. V. jedenfalls findet längst eine Neuinterpretation statt.

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Die 1517 gegründete Vereinigung ist vom Ethos motiviert, bei dem der tatsächliche Handschlag eine geschäftliche Vereinbarung „besiegelt“. Er symbolisiere das Einhalten eines Deals, sagt Gunter Mengers, Vorsitzender der Versammlung Eines Ehrenbaren Kaufmanns. Doch längst sei das auch virtuell möglich – per E-Mail oder Telefon. „Der physische Handschlag ist nicht mehr entscheidend, sondern die Einhaltung der Zusage.“

Begrüßung mit ungewöhnlichen Formen

„Corona“, betont der Ehrenvorsitzende des Deutschen Knigge-Rats, Rainer Wälde, „sensibilisiert uns aktuell für ein wenig beachtetes Thema.“ Das sei gut und richtig. Der Experte für Unternehmen-Marken hofft allerdings darauf, dass das partnerschaftliche Händeschütteln als bewährtes Begrüßungsritual nach der Pandemie wieder zurückkehrt – im privaten wie im beruflichen Bereich. Allerdings sei Achtsamkeit bei zwischenmenschlichen Begegnungen nach wie vor gefragt: „Will die Dame im Privatleben überhaupt die Hand reichen? Und wünscht sich der ranghöhere Chef oder Kunde überhaupt einen Handschlag?“ Das müsse beachtet werden.

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Längst begrüßt man sich mit ungewöhnlichen Formen. Der Hamburger Zukunftsforscher Professor Ulrich Reinhardt verweist auf Fußkick, Ellbogenklatscher und Faustgruß (fist bump). Er glaubte aber nicht, dass diese sich bei uns durchsetzen werden – genauso wenig wie die in Asien verbreitete leichte Verbeugung ohne Blickkontakt. Reinhardt, der gerade in den USA arbeitet, geht davon aus, dass Händeschütteln schrittweise in den Alltag zurückkehrt.

Opaschowski: „Nicht gleich mit jeder Krise unsere Traditionen über Bord werfen“

Anders sieht es die amerikanische Bildagentur Getty Images, die mehr als 500.000 Handschlag-Fotos zum Verkauf anbietet. Sie rief zum sensiblen Umgang mit diesen Bildern auf. Die Werbekampagne dafür hat die Hamburger und Schweizer Agentur Jung von Matt/Limmat entwickelt. „Wir sind überzeugt, dass es in Zukunft eine sichere Lösung des Begrüßens geben und das Händeschütteln an Stellenwert einbüßen wird“, sagte Managerin Nina Bieli dem Hamburger Abendblatt: „Sagen wir Goodbye zum Handshake!“

Horst W. Opaschowski, Zukunftsforscher
Horst W. Opaschowski, Zukunftsforscher © picture alliance

Ähnlich sieht das auch sein Kollege Horst W. Opaschowski. Der emeritierte Professor sagt: „Wir sollten nicht gleich mit jeder Krise unsere Traditionen über Bord werfen.“ Die Gewohnheit, in Deutschland einander die Hand zu geben, sei ein historisch gewachsenes Ritual, das den Alltag bereichert. Doch bis wir einander wirklich arglos wieder die Hände reichen können, muss erst die Pandemie besiegt sein. „Bis dahin“, fügt Ulrich Reinhardt hinzu, „gilt es Abstand zu halten und Corona durchzustehen. Damit haben wir wirklich alle Hände voll zu tun.“

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden