Hamburg. Richterin kritisiert Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Nur einem Angeklagten wurde Gewalt nachgewiesen.

Zehn Umzugskartons Akten, die Aussagen von 116 Zeugen, unzählige Videos, 69 Verhandlungstage, gut 18 Monate Beweisausnahme: Schon allein diese Zahlen zeigen, wie aufwendig die juristische Aufarbeitung der Krawalle an der Elbchaussee anlässlich des G20-Gipfels vor drei Jahren waren.

Es ging um einen gewalttätigen Aufmarsch, der Angst und Schrecken in der Zivilbevölkerung verbreitete, bei dem Privatpersonen angegriffen, Autos in Brand gesetzt und Gebäude beschädigt wurden. „Das war wie Terror“, sagte eine Zeugin. Und einer meinte: „Das sah aus wie Krieg.“

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G-20-Randale: Nur ein Angeklagter zu Haftstrafe verurteilt

Der gesamte Aufmarsch der damals beteiligten rund 220 Personen am Morgen des 7. Juli 2017 sei „unfriedlich“ und die Basis für die Straftaten gewesen, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring jetzt am Ende des Prozess vor dem Landgericht gegen fünf junge Angeklagte.

Die Kammer verurteilte einen der Männer zu drei Jahren Freiheitsstrafe, zwei Angeklagte erhielten Bewährungsstrafen von 15 beziehungsweise 17 Monaten. Gegen zwei 19 und 20 Jahre alte Männer wurden je 20 Arbeitsleistungen nach dem Jugendrecht verhängt.

G-20-Gipfel in Hamburg "wegen der Gewalt" bekannt geworden

„Alle, die sich an diesem Aufmarsch beteiligt haben, haben sich strafbar gemacht“, betonte die Richterin. Vielleicht sei es „zu viel verlangt“, dass es weder auf der Seite der Demonstranten noch auf Seiten der Polizei zu Gewalt komme. „Aber die Hoffnung habe ich trotzdem. Dann wäre die Welt wirklich ein ,better place'. Aber die Welt war es nicht vor drei Jahren“, so die Vorsitzende. Der G20-Gipfel in Hamburg sei nicht für eine bessere Welt bekannt geworden, „sondern wegen der Gewalt, die sich abspielte“.

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Die Randalierer an der Elbchaussee hatten zunächst Barrikaden errichtet und angezündet, dann Autos in Brand gesetzt, Scheiben von Privathäusern eingeworfen, Teile der Bevölkerung massiv verängstigt und zudem einen Bus angegriffen. Dessen Fahrer war noch monatelang danach arbeitsunfähig. Darüber hinaus entstand bei den Krawallen hoher Sachschaden.

Warum keine Polizei an der Elbchaussee war, kann das Gericht nicht erklären

Die Polizei sei trotz der gewalttätigen Randale bis zuletzt nicht vor Ort gewesen, betonte die Richterin. Möglicherweise habe dies daran gelegen, dass die Einsatzkräfte sehr damit beschäftigt gewesen seien, die Staatsoberhäupter als Teilnehmer des G20-Gipfels zu schützen. Warum an der Elbchaussee „keine einzige Hundertschaft mehr zur Verfügung stand, kann auch diese Kammer nicht erklären“.

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Auf den zahllosen Videos, die im Prozess angesehen wurden, sei zu sehen, wie ein martialisch wirkender Zug Menschen mit rund 220 Menschen an Autos vorbei marschiert. „Der ganze Zug wirkt bedrohlich“, sagte die Richterin. Die Gruppe habe in ihrer schwarzen Kleidung und mit den vermummten Gesichtern einen „martialisch einschüchternden Eindruck“ gemacht.

Angeklagte boten Gewalttätern "Schutz der schwarzen Menge"

Auch die fünf Angeklagten, junge Männer im Alter von 19 bis 26 Jahren, seien nachweislich vermummt inmitten aller Teilnehmer mitgelaufen. Damit hätten sie den anderen Menschen, die sich an dem Aufmarsch beteiligt haben und somit jenen, die Gewalt verüben wollten, „Schutz in der schwarzen Menge vermittelt“. Sie hätten demonstrieren wollen, dass sie die öffentlichen Sicherheit und Ordnung empfindlich stören können.

Damit hätten die Angeklagten sich des Landfriedensbruchs schuldig gemacht. „Der Schwarze Block will Angst einflößen. Es war Ihnen klar, dass Sie dazu beitrugen.“ Trotzdem hätten sich die Angeklagten im Prozess nicht bei Anwohnern dafür entschuldigt, was sie hatten erleiden müssen.

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"Schneise der Verwüstung" war keine gemeinsame Planung

Allen Teilnehmern des Protestzugs habe klar sein müssen, dass mit Gewalt zu rechen sei, betonte die Richterin. Allerdings hätten nicht alle in dem Aufzug geplant, „eine Schneise der Verwüstung“ zu hinterlassen. Dies sei eine „Exzesstat“ einzelner oder mehrere Vermummter gewesen, nicht aber sämtlicher Teilnehmer.

Niemand habe beispielsweise wissen müssen, dass jemand auf die Tür eines Busses einschlagen werde. Dies könne den Angeklagten ebenso wenig zugerechnet werden wie ein Angriff auf eine Frau in deren Garten. Allerdings hätten die fünf Männer „psychische Beihilfe zur Brandstiftung“ an den Autos geleistet.

Richterin wirft der Anklage "politische Stimmungsmache" vor

Es habe sich, so die Richterin, bei dem Aufmarsch „nicht in der Gesamtheit“ um einen „auf sittlich unterster Stufe stehenden schwarzen Mob“ gehandelt, wie es im Plädoyer der Staatsanwaltschaft geheißen habe.

Aber auch am Ende der Beweisaufnahme habe die Staatsanwaltschaft weiter darauf „beharrt, dass allen Teilnehmern die Gewaltdimension bekannt gewesen sei oder sie damit hätten rechnen müssen“. Die Staatsanwaltschaft habe in dem Verfahren „politische Stimmungsmache“ betrieben.

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Kritik auch an der Verteidigung: kein friedlicher Aufmarsch

Diese Kritik gelte aber ebenso für die Verteidigung. Denn friedlich, wie die Anwälte es gemeint hätten, sei der Aufmarsch mitnichten gewesen. Die Angeklagten hätten den Gewalttätern Rückhalt und „eine Basis“ für massive Ausschreitungen geboten. Auch nachdem die Männer mitbekommen hätten, dass Autos in Flammen standen, seien sie noch 700 Meter mit den schwarz vermummten Protestlern und Randalierern mitgelaufen. „Wenn Sie die Gewalt nicht hätten unterstützen wollen, hätten Sie sich in eine Nebenstraße absetzen können. Nichts leichter als das.“

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Den Angeklagten sei allerdings nicht nachzuweisen, dass sie in Kauf genommen hätten, dass andere Teilnehmer vorhatten, Autos in Brand zu setzen, Steine auf Privatwohnungen zu werfen und Privatpersonen zu verletzen.

Vier der fünf Angeklagten sind keine Gewalttaten nachzuweisen

Zudem sei vier der fünf Männer nicht nachzuweisen, dass sie selber an den Gewalttaten beteiligt gewesen sind. Tatsächlich hätten diese vier später am Abend an anderer Stelle nachweislich friedlich demonstriert. Deshalb seien hier Bewährungsstrafen von 15 beziehungsweise 17 Monaten für zwei 24 und 26 Jahre alte Männer und für die zwei Heranwachsenden jeweils 20 Arbeitsleistungen nach dem Jugendrecht angemessen, erklärte die Richterin.

Allein der angeklagte Franzose Loic S. habe selber bei Angriffen auf Polizeibeamte mitgemacht, sowohl am Morgen als auch später mehrfach im Schanzenviertel. Dafür verurteilte die Kammer den 24-Jährigen zu drei Jahren Freiheitsstrafe.

Engagement für bessere Welt zu unterstützen – aber nicht so

Die Angeklagten hätten angegeben, mit ihrer Beteiligung an den G-20-Demonstrationen eine „bessere Welt unterstützen“ zu wollen, sagte Richterin Meier-Göring. Das Engagement der jungen Männer für eine bessere Welt sei grundsätzlich zu unterstützen.

„Allerdings“, sagte sie direkt an die Angeklagten gewandt: „Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Dieser Aufmarsch hat die Welt nicht besser gemacht. Er hat Menschen leiden lassen. Ihre Beteiligung daran war unrecht.“