Hamburg. Bruno D. war Wachmann im KZ Stutthof. Damit hat er sich zum Teil des “staatlich verordneten Massenmords“ gemacht, so die Ankläger.

Seine Mimik blieb starr und unverändert. Doch wirklich unbeeindruckt wird der frühere SS-Wachmann Bruno D. nicht gewesen sein vom Antrag der Staatsanwaltschaft: Auf drei Jahre Gefängnis wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen solle das Urteil gegen den 93 Jahre alten Angeklagten lauten, forderte am Mittwoch im sogenannten Stutthof-Prozess die Anklage. Bruno D. habe den Genozid „als das begriffen, was er war: ein staatlich angeordneter Massenmord“, sagte Oberstaatsanwalt Lars Mahnke in seinem Plädoyer. Der damalige SS-Wachmann habe „gewusst, um was es ging“.

In den vergangenen Jahren habe sich die Rechtsprechung durchgesetzt, nach der Wachmannschaften in Konzentrationslagern als „Verbrecherbande“ angesehen werden, erläuterte der Ankläger. Jeder Wachmann habe Schuld. „Jedem wird zugerechnet, was im Lager passiert ist.“ An der Beihilfe des Angeklagten zum 5230-fachen Mord, der im Konzentrationslager Stutthof durch Töten in der Gaskammer, durch das Morden mit Genickschüssen und das Herstellen lebensfeindlicher Bedingungen verübt worden sei, bestehe „kein Zweifel“.

Stutthof-Prozess: "Schluss mit der Loyalität zu Verbrechern"

Als Mordmerkmale nannte der Staatsanwalt Heimtücke und Grausamkeit. Es sei auch deutlich geworden, dass es die Kategorie „Tötung durch Arbeit“ gebe. Die Zwangsarbeit sei der Beginn des Mordens gewesen. Der Angeklagte habe den „Massenmord in seinem vollen Unrechtsgehalt erkannt“. Die eigenhändige Tötung von Gefangenen habe der 93-Jährige allerdings glaubhaft bestritten.

Wenn Menschen Teil des organisierten Massenmordes würden, müsse „jeder wissen, dass es jetzt nicht ausreicht, wegzuschauen, sich auf Befehle zu berufen und auf das Ende zu warten“, betonte Mahnke. Es müsse „Schluss sein mit der Loyalität zu Verbrechern“. Beim Genozid müsse jeder erwarten können, dass ein Wachmann „vom Turm steigt, dass er sein Gewehr abgibt und erklärt, dass er nicht mehr kann“ und sich zur Wehrmacht melde.

Prozess gegen SS-Wachmann: Urteil am 23. Juli

Bruno D. wird im Prozess vorgeworfen, er habe durch seinen Wachdienst in dem Lager bei Danzig vom 9. August 1944 bis zum 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“. Vom Wachturm aus sei es unter anderem seine Aufgabe gewesen, Flucht oder Revolten von Gefangenen zu verhindern.

Nach den Plädoyers der Nebenklägervertreter, die diese und nächste Woche erwartet werden, sowie dem Schlussvortrag des Verteidigers und dem Letzten Wort des Angeklagten soll das Urteil in dem Prozess am 23. Juli gesprochen werden.

Keine Lebensgefahr bei Verweigerung des KZ-Diensts

Der Angeklagte Bruno D. hatte wiederholt im Prozess betont, er habe „nur auf dem Turm gestanden“ und nie seine Waffe eingesetzt. Er habe damals im Konzentrationslager Stutthof zwar viele Leichen gesehen. Aber: „Ich habe niemandem ein Leid angetan“, hatte er beteuert. Er habe seinen Dienst auf dem Wachturm verrichten müssen. Andernfalls, wenn er Befehle verweigert hätte, hätte er sich selber in Lebensgefahr gebracht, hatte er immer wieder gesagt.

Ein historischer Sachverständiger hatte indes anhand von dokumentierten Beispielen anderer Wachleute aus der Nazizeit aufgezeigt, dass SS-Männer sich beispielsweise auf einen psychischen Notstand berufen, sich in Außenlager versetzen oder zur Wehrmacht hätten beordern lassen können.

Tötung der KZ-Häftlinge: Genickschuss statt ärztliche Untersuchung

Bei dem Angeklagten indes fehle ein Hinweis „auf einen inneren Konflikt“, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Vielmehr habe Bruno D. „für sich beschlossen, dem beobachteten Morden durch Weggucken und Wegducken zu begegnen. Das ist kein Notstand. Das ist Beihilfe zum Mord“, betonte Mahnke. Der Angeklagte habe auch vorsätzlich gehandelt.

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Bruno D. habe beispielsweise gesehen, wie die Menschen einzeln in das Krematorium geführt wurden und nicht wieder herauskamen. In den Krematorien von Stutthof sind Zeugen zufolge Gefangene ermordet worden, indem man ihnen vorgaukelte, sie sollten sich für eine ärztliche Untersuchung und eine Erfassung ihrer Größe an eine Wand mit Messlatte stellen. Dann wurden sie durch ein vorher verborgenes Loch in der Mauer mit einem Schuss ins Genick getötet.

Gefängnistrafe für Bruno D. "unumgänglich"

Weil der Angeklagte damals erst 17 beziehungsweise 18 Jahre alt war, müsse er zu einer Jugendstrafe verurteilt werden, diese sei aber wegen der „Schwere der Schuld unumgänglich“, sagte der Oberstaatsanwalt. Zu Gunsten des heute 93-Jährigen spreche, dass die Taten rund 75 Jahre zurückliegen und dass er die Beihilfe zum Mord ganz sicher nicht begangen hätte, wenn es damals nicht den von den Nazis verordneten Genozid gegeben hätte.

Strafverschärfend müsse aber berücksichtigt werden, dass Bruno D. zu einem „ganz ungeheueren Verbrechen“ Beihilfe geleistet habe, das vielen Menschen einen „unvorstellbar grausamen Tod gebracht“ habe. Es handele sich um Verbrechen, bei denen wohl jeder „voller Scham“ sei, „dass Menschen anderen Menschen so etwas antun können“. Die Strafjustiz sei verpflichtet, auch nach 75 Jahren ein „deutliches Signal zu setzen: Mord verjährt nicht“.