Hamburg. Bei Kriegsende wurden Hunderte der Stutthof-Gefangenen am Ostseestrand umgebracht. Der Angeklagte will nichts mitbekommen haben.
Im Hamburger Prozess gegen einen früheren SS-Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof sind die Aussagen des Angeklagten zu seinen letzten Stunden im Dienst auf Unglauben gestoßen. Ein Historiker der KZ-Gedenkstätte Neuengamme schilderte am Dienstag die Ereignisse bei Kriegsende in Neustadt/Holstein. SS-Männer hatten Hunderte Gefangene aus dem Lager Stutthof bei Danzig auf Schiffen über die Ostsee gebracht.
Bei der Ankunft hatten Häftlinge zu fliehen versucht. SS-Männer und örtliche Gendarmerie erschossen oder erschlugen zahlreiche von ihnen am Strand, nach späteren Angaben der Lübecker Staatsanwaltschaft bis zu 256. Der 93 Jahre alte Angeklagte sagte zu dem, was er dort selbst erlebte: „Da ist keiner erschossen worden.“
Sachverständiger: Angeklagter leidet nicht an Demenz
Angesichts der vielen Toten an jenem 3. Mai 1945 wunderte sich die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring über diese Aussage. Der Sachverständige Bernd Meißnest bestätigte, dass der Angeklagte nicht an Demenz leide und sich an weit und kurz zurückliegende Dinge erinnern könne. Er sagte: „Er hat die gleichen Möglichkeiten wie wir alle: Er kann uns Dinge sagen und er kann uns Dinge verschweigen.“
Der Angeklagte berichtete, sein Trupp habe am Vormittag des 3. Mai 1945 den Befehl bekommen, Gefangene vom Strand zum Hafen zu bringen. Auf dem gut zwei Kilometer langen Weg habe er keine Leichen gesehen. „Da lag nichts“, sagte er. Gegen Mittag sei er erneut zum Strand geschickt worden, um mit anderen SS-Männern Leichen einzusammeln. Sechs oder sieben Tote hätten sie auf einen Lastwagen gelegt, dann sei der Lkw weggefahren. Ob er wirklich nichts von Erschießungen mitbekommen habe, wollte die Richterin wissen. „Wenn ich das gesehen hätte, hätte ich das schon längst gesagt“, antwortete der Angeklagte.
Angeklagt wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen
Dem 93-Jährigen wird Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen. Als SS-Wachmann in dem KZ bei Danzig habe er von August 1944 bis April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolten und die Befreiung von Gefangenen zu verhindern, erklärte die Staatsanwaltschaft. Weil der Angeklagte zur Tatzeit 17 bis 18 Jahre alt war, findet der Prozess vor einer Jugendstrafkammer statt.