Hamburg. Im Prozess am Hamburger Gericht muss sich der frühere KZ-Wachmann Bruno D. wegen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen verantworten.

Menschenleben galten praktisch nichts - Arbeitskraft schon eher: So kann man nach den Ausführungen des historischen Sachverständigen im sogenannten Stutthof-Prozess den Stellenwert des einzelnen Gefangenen in den Konzentrationslagern aus Sicht der Nationalsozialisten zusammenfassen. Mit der Ankunft eines Häftlings im Konzentrationslager „änderte sich auch seine Wertigkeit“, erläuterte am Freitag der Historiker Stefan Hördler. "Aus dem Namen wurde eine Nummer.“ Ob ein Mensch mehr oder weniger gestorben sei, "spielte keine Rolle“.

Historiker Stefan Hördler steht vor Beginn des Prozesses um den früheren KZ-Wachmann Bruno D. im Gerichtssaal in Hamburg.
Historiker Stefan Hördler steht vor Beginn des Prozesses um den früheren KZ-Wachmann Bruno D. im Gerichtssaal in Hamburg. © Georg Wendt/dpa

Im Laufe der Zeit sei der Wert eines Menschen aus der Perspektive der Nazis geringer geworden. „Und zunehmend gehörte der Alltag des Todes dazu“, sagte Hördler. In dem Prozess wird dem früheren KZ-Wachmann Bruno D. Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen. Der 93-Jährige soll im Rahmen seiner Tätigkeit als Wachposten von August 1944 bis April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolten und die Befreiung von Gefangenen zu verhindern, heißt es in der Anklage.

Menschenleben galten nichts, nur die Arbeitskraft

Wichtig für die Nazis sei die Erhaltung der Arbeitskraft insbesondere solcher Häftlinge gewesen, die als Fachkraft vor allem für die Rüstungsindustrie eingesetzt werden konnten, erläuterte Hördler weiter. „Es war ein Wert auf Zeit, der ausgenutzt werden sollte für die Ziele des NS-Systems.“ Das gesamte KZ-System sei zudem durch eine „enorme Unterversorgung geprägt“ gewesen, die sich auf alle Bereiche bezogen habe, also unter anderem Nahrung, Kleidung und medizinische Versorgung, führte der Historiker aus.

Allerdings sei auch hier die Ausstattung der Gefangenengruppen unterschiedlich gewesen. Man habe zwischen sogenannten „Fertigungshäftlingen, die bestimmte Aufgaben in der Rüstungsproduktion übernehmen“, unterschieden, die meist eine etwas bessere Unterbringung und Versorgung gehabt hätten, und den „Bauhäftlingen“, ungelernten Arbeitern, die eine niedrigere Wertigkeit gehabt hätten und deshalb schlechter versorgt worden seien. Wenn es in einzelnen Lagern besonders hohe Todeszahlen gegeben habe, hätten die jeweiligen Lagerkommandanten auch keine Nachteile gehabt.

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Der Verteidiger von Bruno D. wollte vom Sachverständigen darüber hinaus wissen, inwieweit bei sehr jungen Männern wie dem Angeklagten, die praktisch seit dem sechsten Lebensjahr in der Nazidiktatur aufgewachsen sind, eine Anpassung und Prägung durch die Ideologie der Nazis stattgefunden habe. Viele junge Leuten hätten sich sehr stark mit dem System identifiziert, sagte Historiker Hördler dazu. Es habe sich damals in vielen Bereichen um eine „Zustimmungsdiktatur“ gehandelt.