Hamburg. Vor 40 Jahren begann die Umgestaltung des Platzes – und führte zu wüsten Protesten. Dabei gelang das Experiment ziemlich gut.
Früher war alles besser? Wer diesem Irrglauben anhängt, sollte sich einmal den Rathausmarkt vor 40 Jahren anschauen. Das Herzstück der Stadt glich einer öden Verkehrsfläche, zeitweise wurde hier sogar geparkt. „Um den Platz brandet der Verkehr. Will man ihn erreichen, muss man mithilfe von Ampeln in einer Schneise des Fahrzeugstroms schnell über eine der viel befahrenen Straßen hetzen. Vier ovale Pavillons – eigentlich nur wenig mehr als Würstchenbuden – sind die ganze Zierde“, beschrieb ein Zeitgenosse im November 1977 das Treiben auf den 15.000 Quadratmetern im Herzen der Stadt.
Hamburgs zentraler Platz galt vielen als „Schandfleck“. Grau und traurig reckte sich dahinter das Rathaus – ein Postkartenidyll sah anders aus. Mit dem Ende der Straßenbahn-Ära 1978 hatte der zentrale Platz zudem seine zentrale Funktion eingebüßt. „Der Spiegel“ schrieb 1980: „Ein volles Jahrhundert lang war ausgerechnet der Rathausmarkt abwechselnd komisch oder kaputt gewesen, mal Standplatz einer monströsen Kaiser-Wilhelm-Figur, dann wieder Straßenbahnhaltestelle und Autoverkehrsknotenpunkt – entweder laut und ungemütlich oder langweilig und leer.“
Das wollte Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) ändern: Am 7. Mai 1980 berichtete das Abendblatt, dass die Umgestaltung für den „neuen Rathausmarkt“ im Juli 1980 beginnen solle; „rechtzeitig zum Bürgerschaftwahljahr 1982 würde sich der Platz vor der Regierungszentrale dann in pompösem Glanz präsentieren“. Die Intonierung gab die Richtung vor – an dem Prestigeprojekt schieden sich fortan die Geister, Denkmalschützer, Bürger und Oppositionsparteien trieb es gar auf die Barrikaden.
Ideen waren ihrer Zeit voraus
Dabei hatte der Senatspräses nur einen Wunsch seiner Bürger erfüllen wollen: 1976 hatte sich das Abendblatt in einer Leserumfrage des öden Platzes angenommen: 84 Prozent hielten das „gesichtslose Geviert“ für das „Herz der Stadt“ und wünschten sich dort einen „Hauch von Paris“. Ein gutes Jahr später lagen die Ergebnisse eines bundesweiten Architektenwettbewerb mit 112 Beiträgen vor: Als Sieger ging die Hamburger Planungsgruppe von Seggern, Pfadt, Dau, Ohrt hervor. Rudolf Hillebrecht, Präsident der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, lobte den Siegerentwurf überschwänglich: Auf dem Rathausmarkt solle man wieder „Spaß und Freude“ an der Stadt empfinden.
Die Ideen waren ihrer Zeit voraus: Der Platz sollte abgesehen von der Bushaltestelle an der Längsseite vom Verkehr beruhigt werden, Treppen und Stufen sollten dem Platz Kontur geben und Aufenthaltsqualität schaffen. Die Planer wollten den Platz weder asphaltieren noch betonieren, sondern mit verschiedenartigen Platten und Pflastern auslegen. Pavillons mit Kiosken sollten unter Arkaden halbrunder Glasdächer entstehen, Bäume mit rund geschnittenen Kronen diese wie eine Allee einfassen. „Das Geld dürfte gut angelegt sein“, befand das Abendblatt, Hamburg bekomme „etwas ganz Feines“ zwischen Rathaus und Jungfernstieg: einen Fußgängerbereich mit Terrassen und Arkaden, Baumreihen und Kandelabern.
Unruhe machte sich in der Stadt breit
Doch bald machte sich Unruhe in der Stadt breit: In großen Artikeln und Leserbriefspalten machten sich die Gegner Luft über die vermeintliche Geldverschwendung. „Wie viele Bürger müssen dafür arbeiten?“, fragte der eine. „Diese Selbstdarstellung ist nicht mehr zeitgemäß“, moserte ein anderer, und ein Leser höhnte: „Warum eigentlich nicht Marmor?“ Auch andere Zeitungen langten hin. Die „Welt“ kritisierte „Pharao Klose“, die „Bild“ verwandelte im pfiffiger Boulevardstil den Rathausmarkt gleich in „Kloses Roten Platz“. „Der Spiegel“ ätzte daraufhin nicht ganz zu Unrecht: „Mit Eifer bekämpft die Hamburger Springer-Presse, was sie einst selbst gefordert hat: die Verschönerung des Rathausmarktes.“ Sogar Mitleid empfand das Hamburger Nachrichtenmagazin mit dem jungen Senatschef: „Klose kriegt’s täglich und so dicke, als hätte er Giftmüll vors Rathaus gekippt.“
Aber viele in der Stadt haderten mit den millionenschweren Plänen: Steuerzahler, Einzelhändler, Denkmalschützer und Fremdenführer. Sie agierten nicht im luftleeren Raum. Denn die Kosten für den Rathausmarkt explodierten. War 1977 bei der Präsentation der Pläne noch von 20 Millionen Mark die Rede, kalkulierte der Senat 1980 schon mit 38 Millionen. Das Abendblatt rechnete die Kosten mit Zinsen und Tilgung gar auf 100 Millionen Mark hoch. Die politische und ökonomische Großwetterlage hatte sich deutlich verändert – die zweite Ölkrise 1979/80 löste einen Konjunktureinbruch aus. Plötzlich musste gespart werden.
Der Steuerzahlerbund monierte, Hamburg brauche keinen Rathausmarkt, aber eine solide Wirtschaftspolitik. Denkmalschützer empörten sich nicht zu Unrecht, dass eine weitere Wassertreppe den großartigen Ansatz des Architekten Alexis de Chateauneuf beschädige – „dieses in der Welt einmalige Baudenkmal“. Tatsächlich wurde die Treppe daraufhin nicht ganz abgespeckt.
Das Projekt spaltete auch die regierende SPD
Kaufleute argwöhnten, der neue Rathausmarkt zerstöre den Jungfernstieg, „unsere Prachtstraße, um die uns die ganze Welt beneidet“. Dort fürchtete man sich vor mehr Busverkehr, anderenorts sorgte man sich, dass Autofahrer nicht mehr in die Stadt gelängen. Und die Fremdenführer bekrittelten den Plan als „touristenfeindlich“, weil die Rundfahrtbusse nicht mehr vor dem Rathaus halten könnten. Baukritiker meckerten, der abgesenkte Teil des Rathausmarktes wirke wie ein „überdimensionales Kinderplanschbecken, aus dem das Wasser ausgelaufen ist“, die gläsernen Arkaden seien „Treibhaus“-Gerippe.
Die Opposition schäumte über das „bombastische, sinnlose Prestige-Objekt“. Hamburg habe kein Geld für solche „Fußbodenkosmetik“. Stattdessen, forderte die CDU, solle man das Geld für den Bau Hunderter Sozialwohnungen oder Altenheime ausgeben, die FDP forderte ein Heine-Denkmal: „Die Rückbesinnung auf diesen großen Sohn unserer Stadt läßt hoffen, dass neben der Prunksucht einer SPD-Alleinregierung auch noch andere Werte eine Rolle spielen.“
Opposition hatte wahrgenommen, dass der „Rote Platz“ auch in der SPD umstritten war
Die Opposition hatte wahrgenommen, dass der „Rote Platz“ auch in der SPD umstritten war. Die notorisch zerstrittene Hamburger Sozialdemokratie hatte links geschlossen die Hand gehoben und rechts das Projekt abgelehnt. Gleich drei Spitzengenossen – Bürgermeister Klose, Finanzsenator Wilhelm Nölling und Bausenator Volker Lange – versuchten per gemeinsamer Erklärung im Abendblatt den Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Gegenwärtig wird der Rathausmarkt weder städtebaulichen Ansprüchen gerecht, noch lässt er etwas von der Bedeutung spüren, die er als Teil des politischen Zentrums einer Weltstadt wie Hamburg haben sollte.“ Aber auf diesen Platz sollten die Bürger wieder stolz sein können.
Und so wurde er dann – allen Protesten zum Trotz. Bei seiner Einweihung im Mai 1982 erinnerte Kloses Nachfolger Klaus von Dohnanyi daran, dass man um 1900 mit dem Geld, das das Rathaus gekostet habe, auch Straßen und Siele hätte bauen können. „Wer so denkt“, sagte der Bürgermeister, „kann sich aber kein Museum, keine Grünanlage und kein Orchester mehr leisten.“ 40 Jahre später stehen die damals umstrittenen Glasdächer und Pavillons längst unter Denkmalschutz. Nun sollen rund 3,2 Millionen Euro in die Sanierung fließen. Zurzeit wird auch die Rathauspassage für 4,4 Millionen Euro aufgehübscht. Große Debatten darum gab es keine.