Hamburg. Hamburger Ärzte warnten davor, die Regel jetzt abzuschaffen. Nun macht die Bundesregierung eine Rolle rückwärts.

Die Lockerung einer Regel im Kampf gegen die Coronapandemie hat bei Hamburger Ärzten für Entsetzen gesorgt. Ab dem heutigen Montag sollten Patienten mit Erkrankungen der oberen Atemwege wieder in die Arztpraxen zur Anamnese kommen. Zuvor war eine Diagnose und damit eine Krankschreibung per Telefon möglich.

Nun macht die Bundesregierung eine Rolle rückwärts. Krankschreibungen wegen Erkältungen sind nun doch weiterhin auch per Telefon möglich. Das teilte der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses im Gesundheitswesen, Josef Hecken, am Montag mit. Der Bundesausschuss, der mit Vertretern von Ärzten, Kliniken und gesetzlichen Krankenkassen besetzt ist, werde sich im Laufe des Tages erneut mit dem Thema befassen und mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ eine Verlängerung der Regelung bis zum 4. Mai 2020 beschließen.

Corona in Hamburg: Hausärzte warnen vor Gang in die Praxen

Für viele Mediziner in Hamburg dürfte dieser Beschluss für Erleichterung sorgen. So warnte Frank Stüven, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Hamburg und niedergelassener Allgemeinmediziner in Nettelnburg, dass eine Abschaffung der Krankschreibung per Telefon die bisherigen Erfolge in der Eindämmung der Coronapandemie gefährde.

„Die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung hilft uns, infektiöse von nicht-infektiösen Patienten zu trennen", so der Allgemeinmediziner, der auch die Sorge hatte, dass sich mit der Abschaffung der Regel Mehrfacherkrankte noch weniger in die Praxen trauen würden. Diese Meinung waren auch bundesweit alle 17 Landesverbände des Hausärzteverbandes.

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Doch nicht nur die Gesundheit der Patienten wäre gefährdet gewesen. Die Praxen hätten immer noch nicht genug Schutzkleidung, sodass die neue Regelung die Gesundheit der Praxismitarbeiter und -mitarbeiterinnen unnötig gefährdet hätte, heißt es in einer Mitteilung des Hausärzteverband Hamburg.

Mediziner sahen die bisherigen Corona-Erfolge gefährdet.

Einen Missbrauch der telefonischen Regelung sieht Frank Stüven nicht. Gerade Hausärzte kennen ihre Patienten sehr gut und könnten einschätzen, ob jemand die Situation ausnutzen will. „Wenn ich jemanden sehen muss, um die Schwere seiner Erkrankung zu erkennen, bestelle ich die Patienten in die Praxis ein“. Hausärzte seien der Schutzwall, um die Krankenhäuser vor Überlastung zu schützen, sechs von sieben Coronapatienten werden ambulant behandelt. „Eine Rückkehr zur alten Regelung würde diesen Schutzwall verletzen und unsere Patienten völlig unnötig gefährden“, sagt Stüven.

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Mehr Coronapatienten in den Praxen wären die Folge

Am 20. März hatte der Gemeinsame Bundesausschuss die Ausnahmeregelung für die Krankschreibung per Telefon eingeführt. Diese Ausnahme hatte der Bundesausschuss am Freitag gegen die Stimmen der Ärzte beendet. Matthias Riedl, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer der medicum Hamburg MVZ GmbH sagt zu dem Beschluss vom Freitag: "Insbesondere Coronapatienten müssen jetzt in die schutzmäßig nicht richtig ausgestatteten Praxen kommen. Das ist seuchenhygienischer Unsinn und auf Druck der Arbeitgeber wohl zustande gekommen."

Ärztekammerpräsident fordert Ausnahme bis Mai

Mit völligem Unverständnis reagiert auch Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg, auf die Entscheidung vom Freitag. "Ärzte in Klinik und Praxis gelten als besonders gefährdet, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Die Entscheidung, dass Patienten mit Erkrankungen der oberen Atemwege wieder in die Praxis kommen müssen, nur um sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abzuholen, ist in dieser Situation – und vor dem Hintergrund der Knappheit von Schutzausrüstung – völlig kontraproduktiv. Ärzte sowie medizinische Fachangestellte diesem hohen Risiko auszusetzen, gefährdet nicht nur sie selbst, sondern alle Patienten und nicht zuletzt die gesamte Bevölkerung.“

Emami forderte die Politik auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Regelung zur AU-Bescheinigung per Telefon sofort wieder – zunächst bis mindestens Anfang Mai – eingesetzt wird. Dem kam jetzt die Politik nach. Die Dauer einer telefonischen Krankschreibung soll laut dem Beschluss vom Montag auf eine Woche begrenzt werden und könne „bei fortdauernder Erkrankung“ einmal verlängert werden, erklärt der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses im Gesundheitswesen.

„Alle Verantwortlichen müssen derzeit tagesaktuell und auf unsicherer Erkenntnislage neu abwägen und entscheiden, wie eine schrittweise Herstellung des regulären Medizinbetriebes unter Wahrung des gebotenen Infektionsschutzes möglich ist“, sagte Hecken.

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