Hamburg. Hamburger Psychiatrie-Chef Prof. Claas-Hinrich Lammers über Wahrnehmungsirrtümer, „störrische Alte“ und launische Kinder.

Die Ausgangsbeschränkungen halten noch an – und gerade Menschen, die älter als 60 Jahre sind und damit nach Aussage der Mediziner und Wissenschaftler zur Risikogruppe gehören, sollten möglichst zu Hause bleiben. Dennoch sind auch auf Hamburgs Straßen viele Senioren zu sehen. Oder?

„Das mag sein und ist insofern auch völlig verständlich, weil ältere Menschen oft allein wohnen und einsam sind“, sagt Professor Dr. Claas-Hinrich Lammers. „Auch in Zeiten vor der Coronakrise war der tägliche Einkauf oder Spaziergang um den Block für viele von ihnen die einzige Möglichkeit, um in Kontakt zu kommen“, so der Ärztliche Direktor der Psychiatrie an der Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll.

Rentner seien von den derzeitigen Einschränkungen des Alltags daher „noch viel stärker betroffen“ als jüngere Menschen, die damit ausgelastet seien, im Homeoffice die Balance zwischen beruflichen Verpflichtungen und familiären Anforderungen zu finden.

Coronakrise wird unsere Gesellschaft nachhaltig verändern

„Zudem kann ich persönlich den Impuls durchaus nachvollziehen, dass manche Ältere sagen: In meinem Alter alleine auf unabsehbare Zeit zu Hause sitzen, da will ich jetzt auch weiterhin rausgehen, auch wenn ich damit ein Risiko eingehe.“ Wird die Gefahr also unterschätzt? „Es ist für uns Menschen schwierig, etwas als bedrohlich zu empfinden, das wir nicht sehen, hören, fühlen, schmecken oder spüren können“, sagt der Chefarzt.

Die Bedrohung bleibe sehr abstrakt und theoretisch. „Wir haben mit diesem Virus keinerlei Erfahrung. Wir haben also bisher auch noch nicht erlebt, wie ernst die Lage werden kann.“

Womöglich sei es aber auch so, dass nur gefühlt viele ältere Menschen unterwegs seien. „Es kann auch ein klassischer Wahrnehmungsirrtum sein“, sagt Claas-Hinrich Lammers. „Nur weil wir alle plötzlich ein besonderes Auge auf jene Menschen haben, die wir besonders schützen wollen und sollen, fallen sie uns auch vermehrt auf.“

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Fest stehe, dass die Coronakrise unsere Gesellschaft nachhaltig verändern werde, so der habilitierte Mediziner. „Doch wie genau sich unser Verhalten, unsere gesamte Einstellung ändert, das ist nicht abzusehen. Gehen wir im Herbst wieder unbeschwert ins Restaurant? Fahren wir nächstes Jahr wieder in den Urlaub nach Italien? Ich weiß es nicht.“

Besser gut verdrängt als schlecht analysiert

In diesen Tagen angespannt zu sein, das sei völlig normal – und es sei auch in Ordnung, diese negativen Gefühle ein wenig beiseitezuschieben. „Salopp gesagt: Besser gut verdrängt als schlecht analysiert“, so der Psychiater. Sollte die Angst aber zu stark werden, müsse man sich ihr stellen. „Grundsätzlich hilft in dieser Zeit ein Austausch.

Sprechen Sie mit Freunden, mit Verwandten. Wer Sorgen teilt, leidet weniger.“ Für Familien, die nun plötzlich den ganzen Tag über zusammen zu Hause sind, rät Lammers, den Tag zu strukturieren und sich auch mal, sofern möglich, aus dem Weg zu gehen. „Es ist eine Herausforderung für alle, und ich glaube, es gibt auf dieser Welt niemanden, der sagt: Wow, das ist aber eine supertolle Zeit gerade.“

Auch Kinder litten unter der Situation, viele könnten launisch erscheinen. „Das ist normal in einer unnormalen Lage. Wie soll bitte die Laune stabil bleiben, wenn man seine Freunde nicht sieht, nicht zum Sport darf und den ganzen Tag mit den Eltern zusammenhängen muss?“

Coronavirus: Das sollten ältere Hamburger beachten:

  • Meiden Sie soziale Kontakte so weit wie möglich
  • Halten Sie Kontakt mit Ihren Freunden und Ihrer Familie über Telefon, Brief, soziale Netzwerke oder Skype
  • Besuchen Sie keine Freizeitveranstaltungen
  • Meiden Sie den öffentlichen Personennahverkehr
  • Meiden Sie unbedingt den Kontakt zu Enkelkindern
  • Halten Sie persönlichen Abstand von mindestens zwei Metern
  • Geben Sie niemandem die Hand, und umarmen Sie niemanden
  • Gehen Sie nicht in eine Arztpraxis, sondern rufen Sie bei Bedarf dort an, und besprechen Sie das weitere Vorgehen
  • Wenn möglich, gehen Sie nicht in Apotheken, sondern lassen Sie sich benötigte Medikamente nach Hause liefern
  • Nutzen Sie Lieferdienste von Supermärkten
  • Nehmen Sie gern Hilfe oder das Angebot von Botengängen aus der Nachbarschaft und Familie an
  • Gehen Sie gern eine Runde spazieren. Wenn Sie dabei Bekannte treffen: Denken Sie daran, Abstand von zwei Metern zu halten
  • Waschen Sie sich regelmäßig und gründlich die Hände