Hamburg. Vier Wochen Ausnahmezustand haben gerade im Verhältnis zwischen der Hansestadt und Schleswig-Holstein Spuren hinterlassen.
Elmshorn, Kreis Pinneberg: Eine Frau parkt ihr Auto mit Hamburger Kennzeichen an einer Seitenstraße. Ein Mann mit einem Hund geht vorbei. Die Frau wird unruhig, spricht ihn an: „Zeigen Sie mich jetzt an, weil ich aus Hamburg komme? Bitte zeigen Sie mich nicht an!“
Kappeln, Kreis Schleswig-Flensburg: Der Besitzer eines Autos mit einer Nummer, die mit FD für Fulda beginnt, hat seine Heckscheibe mit folgender Aufschrift beklebt: „Erstwohnsitz ist in SH“ (für Schleswig-Holstein)
Hamburg, Eimsbüttel: Eine Hamburger Familie, die mit Sondergenehmigung in ihre Zweitwohnung nach Schleswig-Holstein gefahren ist, erhält eine E-Mail von ihren Hamburger Nachbarn: „Haben uns ans Innenministerium gewandt. Ihr dürft nicht nach Schleswig-Holstein. Ein ordnungsrechtliches Schreiben ist unterwegs.“
Corona: An Schleswig-Holsteins Grenze werden Fußgänger abgewiesen
Das sind nur drei von unzähligen kurzen und längeren Geschichten, die man in diesen Tagen aus dem Binnenverhältnis zwischen Hamburgern und Schleswig-Holsteinern erzählen könnte. Immer geht es in diesen Geschichten um Argwohn, um Menschen, die sich unwohl und unsicher fühlen, manchmal um Denunziation.
Im Kreis Dithmarschen ist einem Hamburger Kaufmann, der dort seit Jahren seinen Zweitwohnsitz hat, eine Scheibe eingeschmissen worden; in St. Peter-Ording steckten ausgedruckte Allgemeinverfügungen, die Ferienhausbesitzern zur sofortigen Abreise aufforderten, hinter den Scheibenwischern von Autos mit Hamburger Kennzeichen; auf Sylt wollten Einheimische die Ausweise von Fahrradfahrern kontrollieren. Und an der „Grenze“ zwischen Schleswig-Holstein und Hamburgern wurden an Wochenenden zeitweise sogar Fußgänger abgewiesen.
Vier Wochen Corona-Ausnahmezustand haben auch zu einem Ausnahmezustand zwischen den beiden Ländern geführt, die gefühlt eins zu sein schienen. Hamburg und Schleswig-Holstein, das ist eigentlich so etwas wie München und Bayern, nur eben in zwei Bundesländern, deren Grenzen willkürlich und oft nicht mehr zeitgemäß sind. Was man zum Beispiel daran sieht, dass Norderstedt eine Hamburger Telefonvorwahl hat.
Zwischenmenschliche Kollateralschäde wie nirgendwo sonst in der Republik
Schleswig-Holstein und Hamburg, Hamburg und Schleswig-Holstein bilden auch den Kern der Metropolregion, zu der ebenso Teile Mecklenburg-Vorpommerns und Niedersachsens gehören und die uns allen als die Zukunft verkauft wurde. Ein Ballungsraum, in dem fünf Millionen Menschen leben und arbeiten, in dem der eine ohne den anderen angeblich weder kann noch will – und in dem sich die Regionen tatsächlich ideal ergänzen.
Nehmen wir nur wieder Schleswig-Holstein und Hamburg: hier die Millionenmetropole mit ihrem großen Angebot an Arbeitsplätzen, Kultur, Krankenhäusern etc. Dort eines der schönsten Bundesländer Deutschlands mit viel Platz, Naherholungsgebieten und einer großartigen touristischen Infrastruktur. Der eine hat, was der andere braucht – und umgekehrt. Diese Nachbarschaft, über lange Zeit gewachsen und verstärkt, schien perfekt.
Dann kam das Virus, und es dauerte wenige Wochen, bis ausgerechnet im Norden zwischenmenschliche Kollateralschäden gemeldet wurden, wie nirgendwo sonst in der Republik. In einer Krise, in der es gerade in einer Metropolregion darum gehen sollte, zusammenzustehen und maximal solidarisch zu sein, schotteten sich Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gegenüber dem Nachbarn Hamburg ab, als hätte man den nie besonders gemocht.
Das begann mit der Ausweisung aller Touristen, ging weiter mit dem Rauswurf von Ferienhausbesitzern, mit den oben beschriebenen „Grenzkontrollen“ und in Ansagen wie etwa jener von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther: Der hatte die Ferienhausbesitzer, die sich zu einem frühen Zeitpunkt der Coronakrise noch in „seinem“ Land befanden, aufgefordert, „sich doch bitte hier genauso an die Regeln zu halten wie die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner“. Als hätten die Zweitwohnungsinhaber etwas anderes vorgehabt …
Krisen sind ein Charaktertest für alles und jeden
Krisen zeigen Stärken und Schwächen immer wie unter einer Lupe, sie sind ein Charaktertest für alles und jeden. Diesen Test hat die Metropolregion leider nicht bestanden, und man fragt sich zwangsläufig, ob mehr dahintersteckt als die Sorge, dass „diese Hamburger“ Corona in die Nachbarländer einschleppen und deren medizinische Kapazitäten an ihre Grenzen bringen könnten. Hamburg hat sich umgekehrt diese Frage nie gestellt, im Gegenteil: Wer mit einem Auto mit Schleswig-Holsteiner Nummernschild in der Hansestadt unterwegs war, musste und muss sich keine Blicke oder Fragen gefallen lassen.
Für Hamburg ist es selbstverständlich, dass die Menschen aus den Nachbarländern die (verbliebenen) Angebote in der Stadt wie bisher nutzen können, Spaziergang an Alster oder Elbe inklusive. Und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat immer wieder versucht, seinen Kollegen Daniel Günther davon zu überzeugen, dass jetzt nicht die Zeit „für künstliche Grenzen“ oder gar „Feindseligkeiten“ sei, es gab zu dem Thema mehrere Telefonate.
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Allein: Wirklich befriedet wurde die Situation dadurch nicht, oder zu spät, bis vor Ostern hielt man in Teilen der Landesregierung in Kiel die Situation für „aufgebauscht“ und sprach, was die Auseinandersetzung zwischen Hamburgern und Schleswig-Holsteinern anging, von „Einzelfällen“. Motto: Die Hamburger sollen sich mal nicht so aufregen und nach der Krise wieder schön Urlaub in Schleswig-Holstein machen.
Ein gutes Signal in Richtung Hamburg
Inzwischen klingt das anders, wohl auch, weil sich Schleswig-Holsteins bekanntester Politiker eingeschaltet hat: Wolfgang Kubicki (FDP). Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages hatte zum Streit zwischen den beiden Ländern gesagt: „Das geht in so einer Situation alles gar nicht. Urplötzlich glauben Menschen, Hamburger vertreiben zu müssen, weil sie Pfeffersäcke aus der großen weltoffenen Stadt sind. Ich halte das für nicht hinnehmbar.
Wenn Hamburger Ferienhausbesitzer gezwungen werden, ihre Häuser zu verlassen, dient das weder dem Gesundheitsschutz noch dem menschlichen Zusammenleben. Im Gegenteil: Hamburg und Schleswig-Holstein sind in so vielfältiger Weise aufeinander gewiesen.“ Die FDP hat deshalb mithilfe der Grünen in der Landesregierung durchgesetzt, dass (Hamburger) Zweitwohnungsbesitzer ihre Immobilien bald wieder nutzen können.
Informationen zum Coronavirus:
- Die Stadt Hamburg informiert die Bürger auch online über das Coronavirus. Zusätzlich gibt es eine Hotline: 040 42828-4000
- Das Robert-Koch-Institut beantwortet häufig gestellte Fragen zu Covid-19
- Auch das Bundesgesundheitsministerium hat eine Informationsseite zum Virus eingerichtet
Das ist ein gutes Signal in Richtung Hamburg, das auch aus Sicht der Opposition dringend nötig war: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner kritisierte sowohl das „forsche Vorgehen“ der Regierung bei den Ferienhausbesitzern als auch die „Grenzkontrollen“ zu Hamburg: „Da gerät ein partnerschaftliches Verhältnis in Gefahr, an dem wir in den vergangenen Jahrzehnten hart gearbeitet haben.“
Corona wird verschwinden, die Erfahrungen werden bleiben
Das ist der Kern des Problems, das angesichts der Omnipräsenz und Allmacht des Virus winzig erscheint, es aber nicht ist. Corona wird irgendwann, hoffentlich früher als später, verschwunden sein, die Erfahrungen der vergangenen Wochen bleiben.
Wie wird sich der Hamburger Ferienhausbesitzer mit seinem Nachbarn verstehen, der ihm eben noch ein unfreundliches „Hau ab!“ zugerufen hat? Wer soll noch an die Metropolregion glauben, die ausgerechnet in der größten Krise ihre Unterschiede derart betont und in der einige Länder nicht nur zuerst, sondern ausschließlich an sich gedacht haben?
Der Norden ist bisher gut durch die Coronakrise gekommen. Nur, und das ist schade, leider nicht als Einheit.