Hamburg. Der Leiter des UKE-Instituts für Rechtsmedizin beanstandet die Methodik des RKI. Wo es in Hamburg die meisten Infizierten gibt.
Kritik an der Arbeit des Robert-Koch-Instituts (RKI): In der ZDF-Talkshow „Lanz“ hat Professor Klaus Püschel, Leiter des Hamburger Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), mit deutlichen Worten die Methodik des RKI beanstandet.
Während in Hamburg jeder zuvor positiv auf Corona getestete Verstorbene obduziert werde, um auf diese Weise differenziert zu ermitteln, wie viele Menschen nicht nur mit, sondern ursächlich durch eine Covid-19-Erkrankung gestorben seien, erfasse das RKI pauschal jeden verstorbenen Erkrankten in der Sterbestatistik.
Dies führt dazu, dass das RKI 53 Coronatote in Hamburg verzeichnet, während die Hamburger Behörden „nur“ 38 Todesfälle melden. Das RKI habe von Anfang an empfohlen, tote Infizierte nicht zu obduzieren. Er halte dies „für eine völlig falsche Maßnahme“, sagte Püschel.
Püschel: Corona-Erkrankte in Hamburg z.B. an Herzinfarkt gestorben
Denn in mehreren Fällen habe die Hamburger Rechtsmedizin nachweisen können, dass Erkrankte eben nicht an Covid-19 gestorben seien, sondern beispielsweise an einem Herzinfarkt oder einer Hirnblutung. Und weiter: „Zurzeit schreiben wir alles der Infektion zu, was irgendwie möglich ist. Das ruft einen völlig falschen Eindruck hervor.“
Auf seine Nachfrage bei RKI-Chef Lothar Wieler, warum nicht jeder verstorbene Corona-Infizierte obduziert werde, habe er keine Antwort erhalten, so Püschel. Er könne sich dies nur damit erklären, dass Virologen durch die Untersuchung der Toten eine weitere Ausbreitung des Virus befürchteten. Die Sorge sei aber unbegründet, da die Mitarbeiter aller deutschen rechtsmedizinischen Institute geeignete Schutzmaßnahmen ergreifen würden.
Corona-Tote in Hamburg litten an Vorerkrankungen
Alle in Hamburg an Covid-19 verstorbenen Menschen hätten unter Vorerkrankungen gelitten, bei den meisten handele es sich um Menschen im höheren Alter, durchschnittlich etwa 75 bis 80 Jahre alt. „Wir haben bisher niemanden gefunden, der keine Vorerkrankungen hatte. Alle diese Menschen hatten ernsthafte Vorerkrankungen, auch diejenigen, die in den 50ern waren, die wussten es bloß nicht“, sagte Püschel.
Er sei überzeugt, „dass die Krankheit am Ende dieses Jahres statistisch im Hinblick auf die Gesamtzahl der Toten (in Deutschland) keine Rolle spielen wird“. Eine „Todesangst“ vor dem Virus sei völlig fehl am Platz. Was die Situation im UKE angeht, konnte Püschel beruhigen. Es seien noch zahlreiche Intensivbetten frei. Seiner Einschätzung nach werden „wir keine Situation haben, bei der man eine Entscheidung treffen muss, dass jemand keine Beatmung bekommt“.
Erkrankungsfälle: Unterdessen ist die Zahl der in Hamburg gemeldeten Erkrankungsfälle am Donnerstag um 148 und am Freitag um weitere 124 (plus 3,5 Prozent) auf nunmehr 3642 gestiegen, die meisten Betroffenen sind bereits genesen. Bei 38 verstorbenen Erkrankten sei Covid-19 als Todesursache festgestellt worden – das sind fünf gemeldete Coronatote mehr als am Donnerstag. Die Sterblichkeitsrate stieg damit von 0,9 auf ein Prozent.
264 Menschen befinden sich derzeit in stationärer Behandlung, davon werden 87 (Donnerstag: 79) intensivmedizinisch betreut, so die Gesundheitsbehörde. Über Ostern veröffentlichen die Behörden keine Zahlen der Genesenen, und auch die Neuinfektionen gelten nur vorläufig, da es bei der Erfassung und Aufbereitung der Daten zu Verzögerungen kommen kann.
Die meisten Covid-19-Fälle in Altona, Eimsbüttel und Nord
Stand Donnerstag gibt es, bezogen auf 100.000 Einwohner, die meisten Covid-19-Fälle weiterhin in den Bezirken Altona, Eimsbüttel und Nord. Wie die Behörde außerdem mitteilte, seien am späten Donnerstagabend 74 Beatmungsgeräte in Hamburg angekommen. 16 der Geräte seien für Patienten bestimmt, die nicht mehr selbstständig atmen können und invasiv beatmet werden müssen. Die übrigen Geräte sollen Patienten bei der Atmung unterstützen.
„Wir haben uns in den vergangenen Tagen sehr darum bemüht, dass die erste Lieferung zeitnah in Hamburg eintrifft und wir sie an die Krankenhäuser geben können, die beatmungspflichtige Coronapatienten in Hamburg versorgen. Es ist gut, dass wir die Kapazität an intensivmedizinischer Behandlung in Hamburg nun ausbauen können, und werden dies fortsetzen, sobald nächste Lieferungen eingehen“, sagte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD).
Informationen zum Coronavirus:
- Die Stadt Hamburg informiert die Bürger auch online über das Coronavirus. Zusätzlich gibt es eine Hotline: 040 42828-4000
- Das Robert-Koch-Institut beantwortet häufig gestellte Fragen zu Sars-CoV-2
- Auch das Bundesgesundheitsministerium hat eine eigene Informationsseite zum Virus eingerichtet
„High End Intensivbeatmunsgeräte“ in Hamburg erwartet
Eine Lieferung von „High End Intensivbeatmungsgeräten“ und Patientenmonitoren werde in der kommenden Woche erwartet. Unterdessen hat sich bei Pflegen & Wohnen Hamburg, mit 2690 Plätzen größter Anbieter in der stationären Pflege in der Hansestadt, das Thema Schutzmaterial etwas entspannt. „Wir haben rund 21.000 Masken sowie Desinfektionsmittel erhalten“, sagte Unternehmenssprecher Henning Schweer. Seit Wochen klagen die Pflegeheimbetreiber über einen eklatanten Mangel an Schutzkleidung.
Verstöße: Bei sonnigem, aber kühlem Wetter waren Karfreitag, von der Außenalster abgesehen, nicht sonderlich viele Ausflügler in Hamburg unterwegs. Zu nennenswerten Verstößen gegen die Coronaeinschränkungen sei es nicht gekommen, teilte die Polizei mit. Nach bisheriger Planung sollen die Einschränkungen noch bis zum 19. April andauern.
„Ich denke, es ist bald an der Zeit, die Maßnahmen schrittweise zurückzunehmen, weil es sinnvoll ist“, sagte der Infektiologe Professor Andreas Plettenberg vom Ifi-Institut an der Asklepios Klinik St. Georg im Abendblatt-Podcast „HSV – wir reden weiter“. Der Mediziner vermutet, dass sich im Sommer 20 bis 30 Prozent der Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben werden.
Schulen, Kitas und Geschäfte zuerst wieder öffnen?
„Wir haben die Pandemie erfolgreich gebremst, aber die Durchseuchung liegt erst bei einem Prozent. Da wir die Pandemie nicht aufhalten können, müssen wir irgendwann die Schleusen dosiert öffnen. Länger zu warten wäre nachteilig. Dann stellt sich die Frage, welchen Effekt werden diese Lockerungsmaßnahmen auf den Verlauf der Pandemie haben.“
Plettenberg schätzt, dass zunächst Schulen, Kitas und Geschäfte im Einzelhandel wieder öffnen dürfen. „Ich halte es für sehr kritisch, dass der Schulbetrieb eingestellt ist“, sagte der Infektiologe. „Ich glaube auch, dass es eine Reihe von Unternehmen gibt, etwa Einkaufsläden, bei denen eine Lockerung problemlos möglich ist, da Abstand gehalten werden kann.“
Zuschüsse: Die von der Krise arg gebeutelten Kleinunternehmer und Selbstständigen werden weiter von der Corona-Soforthilfe profitieren können – Hamburg wird die Auszahlung wegen der in Nordrhein-Westfalen aufgedeckten Betrugsversuche nicht stoppen.
Die Hamburger Corona-Soforthilfe (HCS) für Unternehmer:
- Solo-Selbständige: 2500 € (Hamburg), 9000 € (Bund), 11.500 € (Gesamt)
- 1–5 Mitarbeiter: 5000 € (HH), 9000 € (Bund), 14.000 € (Gesamt)
- 6–10 Mitarbeiter: 5000 € (HH),15.000 € (Bund), 20.000 € (Gesamt)
- 11–50 Mitarbeiter: 25.000 € (HH), keine Beteiligung vom Bund
- 51–250 Mitarbeiter: 30.000 € (HH), keine Beteiligung vom Bund
Man habe „vorsorglich Kontakt zum Landeskriminalamt aufgenommen“ sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) dem Abendblatt. „Wir haben zahlreiche Prüfroutinen und Stichproben in das Antragsverfahren eingebaut, die einen Missbrauch verhindern sollen“, so Dressel. „Wer dennoch versucht zu betrügen, bekommt eine Anzeige wegen Subventionsbetrugs.“
Bereits 60.000 Hamburger hätten sich als potenzielle Antragsteller online registriert, sagte Dressel, fast 39.000 davon hätten auch schon konkrete Anträge gestellt. Bis Donnerstag seien bereits mehr als 200 Millionen Euro an Hilfen ausgezahlt worden. „Insgesamt mehr als 300 Millionen sind bereits zugesagt. Die Differenz von mehr als 100 Millionen Euro wird nach Ostern ausgezahlt.“