Hamburg. Bildungssenator über die Frage, ob das Abitur verschoben wird, und wie schwierig es ist, zu bundesweiten Regelungen zu kommen.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist im Dauereinsatz. Er muss dafür sorgen, dass der Unterricht außerhalb der Schule funktioniert, sich im Senat über Maßnahmen abstimmen und in der Kultusministerkonferenz für ein möglichst einheitliches Vorgehen der Bundesländer sorgen. Das Abendblatt sprach mit Rabe über die Corona-Krise.

Hamburger Abendblatt: Herr Rabe, Ihre Ankündigung, dass die Schulen nun bis zum 19. April, drei weitere Wochen, geschlossen bleiben, hat Ihre politischen Mitstreiter überrascht. Sind Sie da vorgeprescht?

Ties Rabe: Die Ministerpräsidenten der Länder und die Bundesregierung wollen die Lage für die Schulen erst nach Ostern neu bewerten. Deswegen gehen wir ganz fest davon aus, dass die Schulen bundesweit so lange geschlossen bleiben werden. Ich hatte unsere Haltung schon in mehreren Sitzungen angekündigt, sodass hier keine überraschende Neuigkeit entstanden sein kann.

Die erste Ankündigung der Schulschließung für die ersten zwei Wochen war Teil eines Senatsbeschlusses. Warum nicht diesmal?

Rabe: Die Entscheidung war mit dem Senat kommuniziert und wird jetzt umgesetzt. Es kann angesichts der veränderten Lage doch nicht sein, dass in Niedersachsen und Schleswig-Holstein die Schüler bis zum 15. und zum 19. April nicht zur Schule gehen, während die Schüler in Hamburg drei Wochen vorher wieder hingehen müssen. Das passt einfach nicht.

Das mag so sein, dennoch ist das nicht bei allen angekommen. Der Bürgermeister ließ es zunächst noch offen, ob es zu einer Verlängerung der Schulschließungen kommt.

Rabe: Der Bürgermeister und ich sind uns vollkommen einig in der Bewertung der Lage. Wir haben im Moment eine dynamische Situation. Am vergangenen Donnerstag bestand unter den Wissenschaftlern noch bis mittags Einigkeit, dass es keine flächendeckenden Schulschließungen geben soll. Abends wurde uns dann das Gegenteil empfohlen. Wir können jetzt Entscheidungen nicht erst nach 14-tägiger Diskussion treffen, sondern müssen von der Lage abhängig vernünftige Entscheidungen treffen. Ich finde die Entscheidung sehr vernünftig. Es kann angesichts dieser bedrohlichen Lage nicht sein, dass wir die Hamburger Schüler drei Wochen vor den anderen wieder zur Schule schicken.

Einmal ganz grundsätzlich: Wie lange sind Schulschließungen durchzuhalten, ohne dass es ein in gewisser Hinsicht irreguläres Schuljahr wird?

Rabe: Alle politischen Entscheidungen richten sich nach den gesundheitlichen Erfordernissen. Diese Erfordernisse werden von den Virologen und anderen Wissenschaftlern, die sich mit diesen Fragen besser auskennen, vorgeschlagen. Natürlich entsteht für die Schulen eine schwierige Situation, insbesondere weil nicht wirklich abgeschätzt werden kann, wann die Schließungen beendet werden können. Aber wir können nicht gegen die Empfehlungen der Wissenschaft handeln und die Schulen einfach wieder öffnen, um die Englisch-Note nicht zu gefährden. Das Schulgesetz bietet den Schulen viele Möglichkeiten, um auch unvollständige Schuljahre vollständig bewerten zu können.

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    Nämlich?

    Rabe: Aus wichtigem Grund können Klausuren entfallen, und die Lehrkräfte können zum Beispiel Hausaufgaben als Bewertungsmaßstab heranziehen. Wir loten diese Möglichkeiten zurzeit aus, das ist für uns alle Neuland. Wir werden aber dafür sorgen, dass die Schüler das Schuljahr nicht wiederholen müssen, sondern dass das Schuljahr gewertet wird. Wir wollen in dieser Lage nicht alle Schüler sitzen bleiben lassen.

    Lernmaterial und Hausaufgaben für die Schüler sind das eine, aber Schulunterricht ist mehr als das. Wie viel fehlt den Schülern, wenn wochenlang der Unterricht ausfällt?

    Rabe: Der Unterricht zu Hause wird den Unterricht in der Schule nicht ersetzen können. Wir haben bislang keine Erfahrungswerte darüber, wie viel Lernanteil zu Hause gewährleistet werden kann. Insbesondere Schülerinnen und Schüler, die zu Hause ohne Rückenwind durch die Eltern vor den Aufgaben sitzen, werden es schwer haben, das Lernniveau zu erreichen, das sie im Unterricht erreicht hätten.

    Was tun Sie für diese Schülergruppe?

    Rabe: Wir wollen die Benachteiligung, so gut es geht, ausschließen. Wir haben deshalb mit den Lehrkräften Arbeitsprozesse aufgesetzt, um die Kommunikation zwischen Schule und den Kindern zu Hause noch weiter auszubauen. Ich freue mich über die vielen großartigen Ideen der Lehrkräfte, wie sie das sicherstellen wollen. Vor Kurzem bekam ich eine SMS von einem Vater. Der berichtete ganz begeistert davon, dass es an der Schule seiner Tochter eine Videoschaltkonferenz per Skype gibt, bei der die Kinder morgens vor dem eigentlichen Skype-Unterricht sogar unter Anleitung des Lehrers Turnübungen machen.

    Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen

    • Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch, das Sie danach wegwerfen. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Händewaschen
    • Regelmäßig und gründlich die Hände mit Seife waschen
    • Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
    • Ein bis zwei Meter Abstand zu Menschen halten, die Infektionssymptome zeigen
    • Schutzmasken und Desinfektionsmittel sind überflüssig – sie können sogar umgekehrt zu Nachlässigkeit in wichtigeren Bereichen führen

    Die Schulen gewährleisten eine Notfallbetreuung, vor allem für Kinder von Eltern, die etwa im Gesundheitsbereich arbeiten, aber im Prinzip für alle. Zuletzt hieß es, dass nur 700 von 200.000 Schülern das Angebot wahrnehmen. Ist das nach wie vor so?

    Rabe: Wir rechnen damit, dass es noch mehr werden. Es ist schon verwunderlich, wie unterschiedlich die Kitas und die Schulen mit der gleichen Aufgabe umgehen. An den Kitas werden mehr als drei Prozent aller Kinder in der Notbetreuung betreut, das ist kein unvernünftiger Wert. An den Schulen sind es nur 0,3 Prozent, deutlich weniger als an den Kitas und auch viel weniger als offensichtlich in anderen Bundesländern. Offensichtlich haben einzelne Schulen kommuniziert, dass man die Schulen nicht betreten darf. Selbstverständlich möchten wir, dass die Kinder zu Hause betreut werden, aber in der Not helfen wir. Da müssen die Schulen nach den gleichen Kriterien handeln wie es die Kitas bereits machen.

    Heißt das, dass manche Schulen Eltern gegenüber zu abschreckend kommuniziert haben, was die Notbetreuung angeht?

    Rabe: Es ist jedenfalls im Moment nicht ganz erklärlich, warum das eine System mehr als zehnmal so viele Kinder betreut wie das andere.

    Sie haben viele Lehrer gegen sich aufgebracht, weil Sie in einem Video gesagt haben, wem die Decke zu Hause auf den Kopf falle, solle lieber in die Schule gehen, statt sich in Einkaufszentren der Gefahr einer Infizierung auszusetzen. War das zu flapsig?

    Rabe: Mir ging es darum, deutlich zu machen, dass die Notbetreuung vorerst für alle gilt. Wir helfen in der Not. Die Haltung des Senats ist sehr klar. Wir haben einzelne Elternschreiben bekommen, dass Kinder von Schulen aktiv wieder weggeschickt worden sind. Das geht nicht.

    Am 16. April sollen in Hamburg die Abiturprüfungen starten. Bayern hat jetzt den Beginn auf den 20. Mai verschoben. Müssen Sie da nicht nachziehen?

    Rabe: Am vergangenen Dienstag haben sich alle Kultusminister darauf verständigt, die Abiturprüfungen nicht zu verschieben. Acht Stunden später verkündete Bayern, dass sie die Prüfungen verschieben. Im Moment scheint mir nichts mehr sicher zu sein. Zurzeit gilt für die Nordländer Berlin, Brandenburg, Schleswig-Holstein und Hamburg, dass sie an ihren Abiturterminen festhalten wollen und eigentlich müssen.

    Warum müssen?

    Rabe: Die Bayern können leicht ihr Abitur verschieben. Ihre Sommerferien beginnen fünf Wochen später als in Hamburg. Wenn wir das auch so machen wollen, müssten wir die Ferien absagen. Das ist eine Sache, die im Moment nicht geprüft wird. Vor diesem Hintergrund bringt Bayern alle anderen Länder in eine sehr schwierige Lage. Bei uns beginnen die Ferien in diesem Jahr sehr früh, was eine Verschiebung nach hinten so gut wie unmöglich macht.

    Warum ist es so schwierig, in der Kultusministerkonferenz zu einer einheitlichen Linie zu kommen?

    Rabe: Die Kultusminister waren sich in vielen Punkten sehr einig. Die Uneinigkeit ist entstanden, weil in einzelnen Ländern viele andere politische Kräfte noch einmal Korrekturen erzwungen haben.

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    Auch in der Sache ist ja eine Verschiebung des Abiturs durchaus begründbar. Etliche Abiturienten dürften durch die Pandemie eingeschränkt sein oder sich insgesamt durch die Situation belastet fühlen. Das behindert eine optimale Vorbereitung.

    Rabe: Wir wollen darauf reagieren, indem wir zusätzliche Nachschreibetermine zu einem späteren Zeitpunkt anbieten. Wir werden auch zusätzliche Prüfungsauf­gaben erfinden, um das sicherzustellen. Aber wir können nur zeitlich begrenzt schieben, es sei denn, wir würden die Sommerferien absagen. Wenn wir es so machen wie Bayern, würde das dazu führen, dass wir die ersten vier Wochen der Sommerferien ersatzlos streichen müssten. Das versuchen wir zu vermeiden.

    Ist eine Verschiebung der Abiprüfungen auf die Zeit nach den Ferien, also im neuen Schuljahr als letztes Mittel möglich?

    Rabe: Im Moment kann die Politik nur tun, was jetzt angezeigt ist. Ich will überhaupt nichts ausschließen, aber auch keinem Angst machen. Es ist nur so, dass eine solche Verschiebung die gesamten Bewerbungsprozesse für die Universitäten und die berufliche Laufbahn behindern würde.

    Welche Botschaft haben Sie an Lehrer, Eltern und Schüler?

    Rabe: Wir brauchen Ernsthaftigkeit, aber keine Hysterie. Und wir brauchen Gelassenheit, aber keinen Leichtsinn. Die Schulbehörde tut alles, um offene Fragen zu klären. Mein Appell ist, maßvoll zu bleiben. Wir sind in einer echten Krise. Das, was wir hier machen, ist kein Spiel.