Hamburg. Die Pandemie hat viele Verlierer, aber auch einige Gewinner – und könnte die Einkaufsgewohnheiten nachhaltig verändern.
Zwei Packungen Toilettenpapier für 100 Euro, eine Zehnerpackung Atemschutzmasken für 999,99 Euro: Während die Wirtschaft vom Coronavirus schwer angeschlagen ist, wittern einige skrupellose Abzocker schon das ganz große Geschäft.
77 Prozent der Kleinunternehmen und Selbstständigen in Deutschland sehen ihre Existenz durch die Krise gefährdet. Das hat eine Umfrage des Hamburger Internet-Unternehmens Jimdo unter fast 5000 Selbstständigen, Freiberuflern sowie Inhabern und Geschäftsführern von Firmen mit weniger als zehn Mitarbeitern ergeben. Neben der Reise- und Tourismusbranche sind die Gastronomie, Event/Locations und Kunst sowie Anbieter im Bereich Bekleidung, Mode, Sport und Bildung von der Krise betroffen.
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"Die meisten dieser Unternehmen werden diese Krise nicht überleben, wenn es der Politik nicht gelingt, schnell wirksame Hilfen zu organisieren", sagt Jimdo-Gründer Matthias Henze. Die Umsatzeinbußen seien später nicht wieder aufzuholen.
Seit Dienstag müssen die meisten Geschäfte in Hamburg geschlossen bleiben, Restaurants haben nur noch eingeschränkte Öffnungszeiten, Hotels dürfen keine Touristen mehr beherbergen – ein dramatischer Einschnitt in das Wirtschaftsleben der Stadt. Doch es gibt auch Branchen und Dienstleister, die auf ganz seriöse Weise von dem Shutdown profitieren.
Online-Handel als großer Gewinner der Corona-Krise
Der Online-Handel dürfte der größte Gewinner der Coronavirus-Krise sein. Davon gehen Kai Hudetz vom Kölner Instituts für Handelsforschung und der E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein aus. Zwar bekomme auch der Internethandel derzeit die generelle Verunsicherung der Verbraucher zu spüren. Aber wenn noch etwas gekauft werde, dann bevorzugt im Internet.
"Für uns ist diese Krise eine Herausforderung und gleichzeitig eine Chance", sagt Jule Willing, Gründerin des Hamburger Online-Hofhandels Frischepost, der Produkte regionaler Anbieter in die Stadt liefert. An normalen Tagen machen Firmen, Restaurants und Kitas 60 bis 70 Prozent der Kunden aus – dieses Geschäft ist aktuell kaum noch existent. Dafür habe sich die Zahl der Bestellungen von Privatpersonen allein seit Dienstag verfünffacht – und das, obwohl Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte weiter geöffnet sind.
Coronavirus könnte Einkaufsgewohnheiten nachhaltig verändern
Besonders gefragt seien derzeit Angebote aus der sogenannten Speisekammer wie Nudeln und, natürlich: Toilettenpapier, acht Recycling-Rollen für knapp drei Euro. "Aber auch frische Produkte wie Obst und Gemüse sowie Milch werden stark gekauft", berichtet Willing. Um alles rechtzeitig ausliefern zu können, habe Frischepost allein zehn neue Fahrer und Packer eingestellt.
Die müssten strengstens auf Hygiene achten: Die Ware werde nur mit Handschuhen angefasst. Vor der Lieferung würden die Kunden per SMS benachrichtigt und fänden ihre Kiste dann vor der Tür vor. Lieferengpässe? Gebe es bislang nicht.
Willing geht davon aus, dass viele ihrer neuen Kunden über die Krise hinaus treu bleiben. Auch Experten glauben, dass sich die Einkaufsgewohnheiten durch die Krise nachhaltig verändern. "Es ist damit zu rechnen, dass der Online-Handel auch langfristig von dieser Krise profitieren wird", sagt Handelsforscher Hudetz: "Auch wenn das Thema Coronavirus vorbei ist, wird weiterhin mehr online eingekauft werden als vor der Krise."
Home und Living besonders gefragt
Zu den Corona-Gewinnern könnte auch die Hamburger Otto Group gehören. Sie erwirtschaftet 80 Prozent ihres Umsatzes durch den Versandhandel. Konzernsprecher Thomas Voigt hält sich mit Prognosen allerdings zurück: "Wir können derzeit nicht absehen, wie sich die Situation bei der Nachfrage, aber auch bei der Beschaffung durch die Krise mittel- und langfristig entwickelt."
Aktuell seien im Onlinehandel zwei gegenläufige Trends zu beobachten: Die Krise lasse die Konsumkonjunktur insgesamt abkühlen. Gleichzeitig sei man strukturell im Vorteil, weil die Kunden zu Hause weiter einkaufen könnten – bei sehr geringem Infektionsrisiko. Voigt: "Dadurch ist unser Geschäft derzeit insgesamt stabil."
Während der Textilhandel rückläufig sei, suchten die Kunden derzeit vor allem nach Waren aus den Bereichen Home und Living sowie Entertainment – etwa nach dem Motto: Wenn ich schon zu Hause bleiben muss, will ich es wenigstens behaglich haben. Auch im Bereich Elektronik – zum Beispiel Laptops – seien Zuwächse zu verzeichnen, vermutlich auch weil viele Firmen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt haben.
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Die großen Verlierer der Corona-Krise sind die kleinen stationären Läden, die nicht im Internet vertreten sind. "Wer jetzt kein Online-Angebot hat", sagt Hudetz, "steht ohne funktionierenden Vertriebsweg da und kann die Versäumnisse der Vergangenheit auch kaum nachholen."
Fitnesstrainerin Pamela Reif mit Rekord
Es gibt aber auch Branchen, die prädestiniert für die aktuelle Quarantäne-Welle sind: Online-Fitnesstrainer und ihre Videos sind aktuell so gefragt wie nie zuvor. Als Pamela Reif, eine der bekanntesten Coaches in Deutschland, am gestrigen Dienstag ihr eigenes Workout absolvierte, waren parallel 90.000 Hobbysportler auf ihrer Plattform unterwegs. In den vergangenen zwei Tagen sollen 1,9 Millionen User mithilfe ihrer Videos trainiert haben, berichtet die 23-Jährige auf Instagram – ein neuer Rekord.
Corona-Bier verkauft sich exzellent
Und auch das Feierabendbier darf nicht fehlen, obwohl Bars und Restaurants geschlossen sind. Die Brauereien verzeichnen einen signifikanten Anstieg des Handels. Allerdings ist der Umsatz im Sektor Gastronomie komplett eingebrochen, sodass die Auswirkungen der Krise noch nicht absehbar sind.
„In Deutschland muss keiner Angst haben, dass er kein Bier mehr bekommt“, versichert Claudia Hauschild, Sprecherin der Brauerei Anheuser-Busch InBev, die unter anderem die Biermarke Corona herstellt. Die mexikanische Sorte – wen wundert's – ist aktuell extrem beliebt bei den Deutschen, die in Krisenzeiten ihr Einkaufsverhalten umgestellt haben.