Hamburg. Altbürgermeister Ole von Beust analysiert das schlechte Wahlergebnis der CDU und sagt, worauf es jetzt ankommt.
Ole von Beust (CDU) ist der Erste Bürgermeister in Hamburg mit der zweitlängsten Amtszeit (von 2001 bis 2010). Er führt heute sein eigenes Beratungsunternehmen und mischt sich von Zeit zu Zeit, wie zuletzt im Wahlkampf, politisch ein.
Hamburger Abendblatt: 11,2 Prozent für die CDU – hatten Sie mit dem desaströsen Ergebnis gerechnet?
Ole von Beust: Die letzten Umfragen haben darauf hingedeutet, dass es etwa in die Richtung geht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, ich hatte auf eine Stabilisierung bei 15 Prozent gehofft.
Das Wahlziel war 20 Prozent plus X. Warum haben Spitzenkandidat Marcus Weinberg und die Partei das so deutlich verfehlt?
Von Beust: Eine Ursache war sicherlich die Entwicklung in Thüringen plus die Führungslosigkeit der Bundes-CDU in den Tagen vor der Wahl. Das Zweite war die Fokussierung auf den Spitzenkampf zwischen Peter Tschentscher und Katharina Fegebank. Da haben die Dritten leicht das Nachsehen. Und das Dritte: Der entscheidende inhaltliche Grund, warum man CDU wählen sollte, ist nicht sichtbar geworden.
Sind im Wahlkampf Fehler gemacht worden?
Von Beust: Der Strategiewechsel war schwierig. Marcus Weinberg hatte ja ursprünglich Sympathien für Grün-Schwarz. Ich habe mich im Wahlkampf auch dafür ausgesprochen. Dann drei Wochen vor der Wahl umzuschwenken in die Richtung, die Grünen auf jeden Fall zu verhindern, noch dazu mit einem Kandidaten, der für eine andere Strategie stand, ist kommunikativ sehr schwierig.
Lange wurde die CDU als Autofahrerpartei wahrgenommen, dann war sie im Wahlprogramm fast ehrgeiziger beim Radwegeausbau als die Grünen. War denn wirklich klar, welches politische Profil die CDU hat?
Von Beust: Das war schwer erkennbar, auch wenn das Wahlprogramm gut war. Die Menschen lesen weniger Wahlprogramme. Entscheidend ist die allgemeine Stimmungslage. Und die sah so aus, dass das Rennen zwischen SPD und Grünen läuft und die CDU dabei keine Rolle spielt. Das war leider so. Umso wichtiger ist es jetzt, ein inhaltliches Profil zu erarbeiten. Das dauert lange und geht nicht von heute auf morgen.
Seit 2011 hat die CDU ihr Ergebnis halbiert, seit 2008 sogar geviertelt. Was sind die langfristigen Ursachen für den Niedergang?
Von Beust: Tendenziell ist Hamburg wie die meisten Großstädte links von der Mitte sozialdemokratisch. Die SPD ist hier immer dann erfolgreich, wenn sie sich auch bewahrend und sehr wirtschaftsfreundlich gibt. In Hamburg spielt eine große Rolle, dass die Menschen das Gefühl haben müssen, dass die Regierenden den Wohlstand der Stadt mehren, von dem alle etwas haben. Olaf Scholz, aber auch Peter Tschentscher haben ein sehr behutsames, ja konservatives Auftreten. Wenn das alles zusammenkommt mit einer gefühlten programmatischen Orientierungslosigkeit der CDU, hat die SPD riesige Chancen zu reüssieren.
Die Partei von Erik Blumenfeld, Walter Leisler-Kiep und, ja, Jürgen Echternach, war in den 70er-, 80er-Jahren fast so stark wie die SPD. Hat die CDU den Wandel der Zeiten nicht bewältigt?
Von Beust: Es gibt programmatische Defizite. Und die Frage ist, ob die CDU bereit ist, die jetzt abzuräumen. Zwei Beispiele: In der Verkehrspolitik fällt es der CDU sehr schwer, sich von der Vorstellung zu lösen, dass alle Punkte in der Stadt mit dem Auto erreichbar sein müssen, plus Parkplatz. Viele Leute empfinden das Auto heute eher als Belastung, obwohl sie es brauchen. In Amsterdam oder Barcelona gehen die Menschen innerstädtisch weitgehend zu Fuß oder fahren mit dem Rad. Wir müssen in der City behutsam autofreie Straßen einrichten. Das beißt sich nicht mit dem Lieferverkehr.
Und das zweite Beispiel?
Von Beust: Der Bereich innere Sicherheit wird heute anders gedacht als früher. Auch linksbürgerliche Kreise erwarten Sicherheit, aber nicht als zähnefletschenden Reflex, sondern mehr als intelligente Antwort auf Probleme. Aber heute geht es nicht mehr so sehr um den Schutzmann um die Ecke, sondern um Sicherheit vor Internetkriminalität. Das Zweite: Man muss sich von Ritualen lösen. Die Räumung der Roten Flora halte ich für problematisch. Es geht jetzt rechtlich nicht, weil keine akute Bedrohung da ist. Die Räumungsforderung in solchen Zeiten wie eine Monstranz vor sich herzutragen, ist programmatisch verfehlt und hinterlässt einen unmodernen Eindruck.
Die CDU als moderne Großstadtpartei – ein Klischee oder geht es darum wirklich?
Von Beust: Es geht um Inhalte und Haltung. Über Inhalte habe ich eben etwas gesagt. Mit Haltung meine ich: Reagiere ich reflexhaft mit Antworten aus meiner Ideologie oder meinem Programm? Oder reagiere ich so, dass ich Probleme, die gerade da sind, pragmatisch löse? In Großstädten erwarten die Menschen wenig Programme und Ideologien, sondern Pragmatismus und Problemlösung.
Also ist CDU pur, wie von manchen in der CDU jetzt propagiert, der falsche Weg?
Von Beust: Das ist psychologisch nachvollziehbar. Wenn man sich in die Ecke gedrängt fühlt, neigt man dazu, sich einzuigeln. Ich erlaube mir, Walter Leisler-Kiep zu zitieren, der gesagt hat: Das Ziel muss es sein, aus 49-prozentigen Anhängern 51-prozentige zu machen, nicht aus 98-prozentigen 100-prozentige. Mit Letzterem würde ich mich auf meinen Kernbereich reduzieren. Damit kann ich in Großstädten nichts gewinnen.
Die Zeit der Abrechnung hat begonnen. Die Junge Union will Weinberg von den Sondierungsgesprächen mit der SPD ausschließen.
Von Beust: Das ist unfair und indiskutabel. Er hat sich nicht gedrängt, er ist gebeten worden, Spitzenkandidat zu werden. Es ist auch unsachgemäß, weil er die Themen der Stadt durch den Wahlkampf wie kaum ein Zweiter in der CDU kennt.
Die CDU hat hier seit Jahren ein Frauenproblem. Warum ist sie eine Männerpartei?
Von Beust: Woran das liegt, weiß ich wirklich nicht. Aber ich finde, man sollte eine verpflichtende Quote einführen und sagen, mindestens jeder dritte Platz auf den Listen für alle Mandate und Parteiämter gehört einer Frau. Das ist die einzige Chance. Wenn es mit Freiwilligkeit nicht läuft, bin ich für eine Selbstverpflichtung.
In der Hamburger CDU könnten sich jetzt vor allem Politiker mit eher konservativem Profil durchsetzen. Eine Gefahr?
Von Beust: Die gegenwärtige personelle Lage kann ich nicht beurteilen. Aber grundsätzlich braucht die CDU eine Mischung: konservativ, sozial, liberal. In Großstädten brauchen Sie eine großstädtische Note, das werden Sie mit Konservativen allein nicht schaffen. Damit kann man keine Wahl gewinnen.
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Wo sehen Sie die Hamburger CDU in fünf Jahren? Was muss passieren?
Von Beust: Inhaltlich muss ein deutliches Profil entwickelt werden – aus meiner Sicht in Richtung offene, liberale und pragmatische Großstadtpartei mit Ideen für das Hamburg der Zukunft. Aber kein Profil ist schlimmer als ein falsches. Wir brauchen noch mehr Menschen aus der Wirtschaft und dem Mittelstand, die sich bei uns engagieren. Und drittens: Der künftige Spitzenkandidat oder die -kandidatin sollte relativ frühzeitig aufgebaut werden. Ich war, bevor ich Bürgermeister wurde, acht Jahre Oppositionsführer. In der Zeit kann man sich einen hohen Bekanntheitsgrad erarbeiten.