Hamburg. Soziologin: Bisherige Anstrengungen reichen nicht aus. Wirtschaft drücke sich davor, langfristig preiswerten Wohnraum anzubieten.

Es ist ein Thema, das viele Menschen in Hamburg bewegt und im Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl eine zentrale Rolle spielt: Der Wohnungsmarkt ist überhitzt, bezahlbare freie Wohnungen sind rar. Was dagegen zu tun ist, darüber diskutieren am kommenden Donnerstag bei der zehnten Konferenz zur sozialen Spaltung an der HafenCity Universität (HCU) Wissenschaftler, Vertreter von Wohlfahrtsverbänden und Politiker, unter ihnen Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), Staatsrat Matthias Kock (parteilos) aus der Stadtentwicklungsbehörde, der Hamburger Diakonie-Chef Dirk Ahrens und der Darmstädter Politikwissenschaftler Prof. Björn Egner. Mit dabei sein wird auch die Stadtsoziologin Prof. Ingrid Breckner von der HCU. Sie glaubt: Die Wohnungswirtschaft drückt sich davor, langfristig preiswerten Wohnraum zu bauen.

„Eine Stadt nur für Reiche?“ – mit dieser Frage ist die Einladung der Arbeitsgemeinschaft Soziales Hamburg zu der Konferenz über die Mietenpolitik in Hamburg überschrieben. Ist die Lage so dramatisch?

Prof. Ingrid Breckner: Diese Frage ist provokativ formuliert. Es gibt allerdings Anlass zur Sorge. Wer nach Hamburg zieht oder innerhalb der Stadt umziehen muss, findet nur schwer eine bezahlbare Bleibe, insbesondere nicht im Stadtzen­trum. Das gilt besonders für Familien. Noch schlechter sieht es für viele Ruheständler aus: Ihr Einkommen ist abhängig von ihrer Erwerbsbiografie, weshalb etwa viele Frauen, die nur zeitweise und oft in Teilzeit gearbeitet haben, vergleichsweise geringe Renten bekommen.

Auch Studierende, die nicht von ihren Eltern unterstützt werden, und Alleinerziehende, die mit Ach und Krach am Erwerbsleben teilnehmen können, sind bei den strukturellen Entwicklungen, die sich abzeichnen, ständig im Nachteil. Nicht zu sprechen von Geflüchteten, die seit 2015 in der Stadt leben. Tausende von ihnen haben noch immer keine Wohnung, in der sie dauerhaft bleiben können. All das trägt zur sozialen Spaltung bei, es verändert die soziale Schichtung der Stadt.

Welche Folgen beobachten Sie?

Wir sehen in der Statistik, dass es Abwanderungstendenzen von Haushalten gibt. Vor allem ältere Menschen müssen in Stadtteile ziehen, in denen die Mieten noch etwas günstiger sind – oder ganz raus aus der Stadt. Hinzu kommt: Man sah im vergangenen Jahr erstmals eine rückläufige Inanspruchnahme von Wohnflächen in Hamburg. Die Leute verkleinern ihren Wohnraum, Studierende nehmen alle Hamburger Studierendenwohnheime in Anspruch, aber die reichen einfach hinten und vorne nicht. Man wohnt mit niedrigen Einkommen beengter, wenn man in der Stadt bleiben will.

Wohnen nicht immer noch viele Menschen in Hamburg vergleichsweise günstig?

Wer schon lange einen Mietvertrag hat, wohnt in der Regel günstiger – es sei denn, er lebt in einer ehemaligen Sozialwohnung, die aus der Bindung gefallen ist. In diesen Fällen zeigen sich laut Mieterverein Steigerungsraten, weil Eigentümer dieser ehemaligen Sozialwohnungen offensichtlich versuchen, Marktmieten zu realisieren.

Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) verweist darauf, dass es dem Senat durch den Wohnungsbau gelungen sei, den Anstieg der Mieten in Hamburg erheblich zu drosseln. Ist das kein Erfolg?

Doch, das ist ein Riesenerfolg, wenn man es vergleicht mit anderen Städten. Wenn das nicht geschehen wäre, hätten wir im Schnitt in Hamburg eine um zwei Euro höhere Miete pro Quadratmeter. Die Ausgrenzung derjenigen, die ein geringes Einkommen haben, wäre noch drastischer. Trotzdem reichen diese Maßnahmen nicht aus.

Woran mangelt es?

Es wird zu wenig im bezahlbaren Segment gebaut. Die Wohnungswirtschaft drückt sich davor, langfristig preiswerten Wohnraum zu bauen. Die einzige Stadt in Europa, die einen radikalen Schritt in diese Richtung unternommen hat, ist Wien. Dort hat die Politik die staatliche Bauförderung an niedrige Bau- und Bodenkosten gebunden und zwingt ihre Bauträger so dazu, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Von solchen Maßnahmen sind wir in Hamburg weit entfernt. So viele neue Wohnungen auch entstehen mögen – es sind zu wenige Sozialwohnungen darunter. Und das muss man vor dem Hintergrund sehen, dass in Hamburg mehr als 50 Prozent der Bevölkerung sozialwohnungsberechtigt sind. Hamburg hatte in den 1970er-Jahren 40 Prozent Sozialwohnungen.

Aber seitdem …

… sind sehr viele dieser Wohnungen aus der Bindung gefallen. Heute sind wir trotz der angestrebten 30 Prozent aller Neubauwohnungen bei knapp acht Prozent. Die Stadt Norderstedt hat im Jahr 2019 beschlossen, dass künftig die Hälfte aller neu gebauten Wohnungen Sozialwohnungen sein müssen. Fraglich ist, ob die Stadt in der Wohnungswirtschaft genügend Akteure findet, die das mitmachen. Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt hat ja auch ziemlich gekämpft, um das Bündnis für das Wohnen in der Hansestadt überhaupt in Gang zu bekommen.

Einen 50-Prozent-Anteil von Sozialwohnungen fordert in Hamburg die Linksfraktion. Die Grünen wollen einen 50-Prozent-Anteil zumindest in besonders gefragten Vierteln durchsetzen. Wenn deutlich mehr Sozialwohnungen gebaut würden, reichte das dann?

Das wäre ein großer Fortschritt. Allerdings brauchen wir im sozialen Wohnungsbau auch längere Bindungsfristen, nicht nur 15 Jahre. Wir sollten zurück zu den 30 Jahren, die wir schon einmal hatten.

Die Grünen wollen eine Bindung von 30 Jahren.

Ja, wie gesagt: Das wäre sehr hilfreich.

Die Linken fordern als einzige Bürgerschaftspartei die Einführung eines Mietendeckels nach Berliner Vorbild. Würde das in Hamburg helfen?

Man kann überlegen, hier so etwas zumindest zeitweise einzuführen. Berlin ist in einer ganz besonderen Krisensituation, weil dort die Mieten noch stärker gestiegen sind als in anderen Großstädten. Auch in Hamburg könnte man so bestehende Mieten deckeln. Aber ich bezweifele, dass solche dirigistischen Maßnahmen für zusätzlichen preiswerten Wohnraum sorgen werden, den wir ja – wie erwähnt – dringend brauchen. Ich würde eher dafür plädieren, im Rahmen des Bündnisses für das Wohnen darauf hinzuwirken, mehr bezahlbare Wohnungen zu bauen.

Können auch Wohlfahrtsverbände und zivilgesellschaftliche Initiativen einen Beitrag leisten?

Einen Beitrag leisten etwa Baugemeinschaften, die mit einem genossenschaftlichen Trägermodell bauen. Sie erzeugen Wohnungen, die auch längerfristig stabile Wohnkosten garantieren. Das gilt nicht für Baugemeinschaften, die als Eigentümergemeinschaft fungieren. Diese verhalten sich auf dem Markt genauso wie andere private Eigentümer. Wohlfahrtsverbände bemühen sich, zumindest für ihre Klientel, nämlich Wohnungslose, etwas zu erreichen. Diese Zielgruppe benötigt am dringendsten dauerhaft bezahlbaren Wohnraum sowie soziale Begleitung und Schutz vor Diskriminierung.

Die Konferenz zur sozialen Spaltung findet am 6. Februar von 9.15 bis 16.30 Uhr an der HafenCity Universität statt (Überseeallee 16). Programm: www.hamburg-stadtfueralle.de Anmeldung unter: hamburg@akademie.nordkirche.de. Kostenbeitrag inkl. Verpflegung 15 Euro (Studierende und ALG-II-Empf. frei)