Hamburg. Nachdem erhebliche Zweifel an seiner Biografie bekannt wurden, knickt der 76-Jährige ein. Er hatte den Angeklagten zuvor umarmt.

Es war eine berührende Geste: Ein Mann, der offenbar unter dem NS-Regime extrem gelitten hat, umarmt vor Gericht einen ehemaligen KZ-Wachmann – und sagt, er „vergebe ihm“. Nun, nachdem erhebliche Zweifel an Teilen der Biografie des Zeugen Peter Loth bekannt wurden, hat der 76-Jährige selber die Konsequenzen gezogen: Er hat seinen Antrag, Nebenkläger in dem Prozess gegen den früheren Wachmann Bruno D. (93) zu sein, zurückgezogen. Loth hatte im Prozess unter anderem erzählt, er sei als Säugling mit seiner Mutter im Konzentrationslager Stutthof inhaftiert gewesen, dann von ihr getrennt worden und habe nach dem Krieg jahrelang entwurzelt unter anderem in russischen Kinderheimen gelebt.

Die Kammer habe die Dokumente, die Loth für die Frage der Zulassung der Nebenklage eingereicht hatte, „nochmal geprüft“, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring. Darin habe der Zeuge unter anderem behauptet, dass ihm und seiner Mutter in Stutthof Häftlingsnummern eintätowiert worden seien. Allerdings: Ausschließlich in Auschwitz wurden den Häftlingen Nummern eintätowiert, erklärte die Vorsitzende. „Das sollte eine zusätzliche Demütigung sein.“ In anderen Konzentrationslagern seien diese Tätowierungen nicht vorgenommen worden.

Gericht: Loths Aussagen waren teilweise "konfus" und "widersprüchlich"

Die Kammer „begrüße“, dass Loth „seinen Nebenklageantrag zurückgenommen hat“, sagte die Richterin. Schon während der Aussage des Zeugen Loth habe das Gericht den Eindruck gehabt, dass dessen Angaben teilweise „konfus“ und „widersprüchlich“ gewesen seien. Der 76-Jährige hatte unter anderem behauptet, seine Mutter sei ins Konzentrationslager gekommen, weil sie jüdischer Herkunft war, ein anderer Verwandter soll seiner Schilderung zufolge dagegen Mitglied der SS gewesen sein. Dabei gibt es offenbar keine Hinweise darauf, dass Loth aus einer jüdischen Familie stammt. Der „Spiegel“ hatte als erster über die Unstimmigkeiten in der Biografie des Zeugen berichtet.

Der Anwalt einer Stutthof-Überlebenden, der Jura-Professor Cornelius Nestler, sagte, er sei „fast vom Stuhl gefallen“, als er sich mit den Unterlagen des Zeugen Loth auseinandergesetzt habe und von der angeblichen Tätowierung las, die es gar nicht gegeben haben könne. Nun sei es für den Prozess wichtig, zu den tatsächlichen Gegebenheiten zurückzukommen.

Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen: Ehemaliger Wachmann vor Gericht

Angeklagter in dem Prozess ist ein ehemaliger Wachmann im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Die Staatsanwaltschaft wirft Bruno D. Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vor. Der heute 93-Jährige soll zwischen August 1944 und April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt" haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Gefangenen zu verhindern.

Am mittlerweile 13. Hauptverhandlungstag am Montag nahm der Historiker Stefan Hördler als Sachverständiger zu der Frage Stellung, ob es für den Wachdienst im Konzentrationslager Stutthof eingeteilte Männer wie den Angeklagten die Möglichkeit gegeben habe, sich dem Wachdienst zu entziehen. Für die 1. Kompanie, in der Bruno D. damals als 17- und 18-Jähriger Dienst tat, seien überwiegend die jüngeren Jahrgänge eingeteilt worden, erklärte Hördler.

Doppelarmiges Hakenkreuz am Arm als Kennzeichen

Aus einem damaligen Schreiben, das Heinrich Himmler, Reichsführer SS, unterzeichnet hatte, gehe hervor, wie die Wehrmachtsangehörigen in die SS-Wachmannschaften integriert und wie sie gekennzeichnet werden sollten. Deren Uniform sei durch ein sogenanntes doppelarmiges Hakenkreuz am Arm kennbar gemacht worden. Auf Nachfrage der Vorsitzenden sagte auch der Angeklagte Bruno D., er habe ein entsprechendes doppelarmiges Hakenkreuz an seiner Uniform gehabt.

Laut Historiker Hördler gab es einen schrittweisen Übergang bei der Versetzung von Wehrmachtsangehörigen zur SS, die dann unter anderem in den Konzentrationslagern im Wachdienst eingesetzt wurden. Bis zum 1. September 1944 habe es einen „Schwebezustand“ gegeben, bei dem die jungen Männer teilweise „zwar de facto“ schon der SS angehört hätten, „aber noch nicht de jure“.

Am 1. September sei der Wechsel auch offiziell erfolgt. „Die Leute galten als vollständig versetzt.“ Ein Gesuch zur Zurückversetzung aus dem KZ-Wachdienst zurück zur Wehrmacht sei allerdings „jederzeit möglich“ gewesen, so der Sachverständige. „Aber vor dem 1. September war es leichter.“ Er nannte ein Beispiel von einem Wachmann aus dem Konzentrationslager Neuengamme, der sich noch zu Beginn des Jahres 1945 zur Wehrmachtseinheit zurückversetzen lassen habe.

Richterin kündigt weitere Prozesstermine an

Im Konzentrationslager Stutthof sei Hauptsturmführer Richard Reddig als „rechte Hand“ des damaligen Lagerkommandanten auch zuständig gewesen für die personelle Zusammensetzung der 1. Kompanie, die unter anderem Wachdienste auf den Wachtürmen leisten mussten, führte der Sachverständige weiter aus. Reddig habe dafür auch altgediente, überzeugte Nazis ausgesucht, Männer „mit Gewalterfahrung“, die früher bekanntermaßen an Erschießungen und sogenannten „Säuberungsaktionen“ teilgenommen hätten.

Diese seien für Reddig „Männer seines Vertrauens“ gewesen. Dazu habe der Verantwortliche aber auch einen großen Anteil von jungen Männern in die 1. Kompanie geholt. Dabei sei es darum gegangen, Untergebene zu haben, die er wegen deren jungen Alters „ein Stück weit auch formen kann“ und die in der Zeit der Naziherrschaft aufgewachsen seien. Der Angeklagte Bruno D. sagte, er erinnere sich an zwei seiner Kameraden, „die da richtig geschwärmt haben, vom Nationalsozialismus und dem Krieg“.

Unterdessen gab die Vorsitzende Richterin bekannt, dass es auch nach dem bisher letzten terminierten Verhandlungstag, dem 26. Februar, weitere Prozesstermine geben müsse. Unter anderem müssten noch mehrere Zeugen und Sachverständige gehört werden. Von März an sei mit „etwa zehn weiteren Terminen“ zu rechnen.