Hamburg. Dieselfahrverbote, Staurekorde, ÖPNV-Ausbau, Moia und E-Scooter – wie Hamburgs Politik den Verkehr veränderte.
Die 10er-Jahre waren eine Dekade des Mobilitätsbooms in Hamburg: Rasant wachsendes Verkehrsaufkommen, mehr HVV-Nutzer, mehr Radfahrer, mehr Autos, mehr Baustellen, neue Großprojekte, Staurekorde und neue Verkehrsmittel wie Moia oder die umstrittenen E-Scooter prägten das Jahrzehnt. Dabei begann alles mit einem Stoppsignal.
Nachdem die schwarz-grüne Koalition Ende 2010 zerbrochen war, beendete CDU-Bürgermeister Christoph Ahlhaus die Planungen für eine Stadtbahn. Die Grünen hatten zuvor eine Startstrecke durch die engen Stadtteile Eppendorf und Winterhude gewählt und damit massive Proteste hervorgerufen.
Ahlhaus’ Nachfolger Olaf Scholz (SPD) verwarf das Vorhaben ganz. Stattdessen setzte die SPD auf Althergebrachtes: Busse und Straßen. Scholz versprach Hamburg das „modernste Bussystem Europas“ (mit der ausschließlichen Anschaffung emissionsfreier Busse ab 2020) und startete das 259 Millionen Euro teure „Busbeschleunigungsprogramm“. Das führte zwar auch zu Protesten und die Busse wurden kaum schneller. Allerdings konnten die Kapazitäten durch kürzere Takte erhöht werden.
Insgesamt 955 Millionen Euro flossen im vergangenen Jahrzehnt in Erhalt und Sanierung der heruntergekommenen Straßen. Straßensanierung und Busbeschleunigung sorgten für immer neue Baustellen – und damit für flächendeckende Behinderungen und viel Unmut über die suboptimale Koordinierung. Mancher rieb sich verwundert die Augen, als der Senat erst gegen Ende der 2010er-Jahre eine Datenbank ankündigte, in der die Straßenarbeiten koordiniert werden sollten. Die meisten waren davon ausgegangen, dass das längst Standard sei.
Dieselfahrverbot und neue Rekorde bei Zahl der Pkw
Bei all dem wuchs das Verkehrsaufkommen auch durch das Bevölkerungswachstum immer weiter. Legten die Hamburger im Jahr 2008 in allen Verkehrsmitteln insgesamt rund 60 Millionen Kilometer pro Tag zurück, so stieg die Zahl der täglichen Personenkilometer bis 2017 laut Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD) auf 70 Millionen.
Zwar ging der Anteil des Autoverkehrs zeitgleich von 39 auf 36 Prozent zurück, das Auto behauptete aber klar Platz Eins unter allen Verkehrsmitteln. Es wurden 2017 laut der 2019 veröffentlichten MiD-Studie zwar weniger Fahrten mit dem Auto unternommen – dafür wurden längere Strecken gefahren. Der Pkw wurde insgesamt nicht zurückgedrängt.
Daran änderten auch der Parkplatzabbau und die bundesweit ersten Dieselfahrverbote nichts, die 2018 wegen zu hoher Stickoxidbelastungen an Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße erlassen wurden. Jahr für Jahr erreichte die Zahl der in Hamburg registrierten Pkw neuen Rekordstände: Im Dezember 2019 waren es 797.000. Zählt man Lkw und Motorräder hinzu, so kommt man auf fast 916.000 gemeldete Kraftfahrzeuge.
Von einer Verkehrswende kann also keine Rede sein – zumal nicht einmal 5600 der registrierten Kfz laut Verkehrsbehörde mit Elektro-, Plug-in-Hybrid- oder Wasserstoffantrieben ausgestattet sind. Da nützte es wenig, dass Hamburg sich mit rund 1000 Ladepunkten eine Führungsrolle in Deutschland zuschreibt. Starker Autoverkehr und Baustellen (auch auf der A 7, die einen Lärmschutzdeckel bekommt) sorgten dafür, dass Hamburg in bundesweiten Statistiken den Titel Stauhauptstadt verliehen bekam.
Neue U5 – ein verkehrspolitischer Befreiungsschlag
2014 entschied sich die noch allein regierende SPD für einen verkehrspolitischen Befreiungsschlag – und verkündete den Bau einer neuen U-Bahn-Linie. Die U 5 soll von Bramfeld über City Nord, Hauptbahnhof, UKE und Stellingen zu den Arenen im Westen führen. Der Bau des ersten Abschnitts zwischen Bramfeld und City Nord soll in den kommenden Jahren beginnen. Kürzlich legten sich die Planer auch auf die Strecke im Westen fest: Dort soll die U 5 eine Haltestelle auf dem UKE-Gelände und nahe Siemersplatz bekommen. Wann diese fertig sind, steht in den Sternen, wohl gegen 2040.
Dass der Senat die Verkehrsprobleme auch schon in der Gegenwart vor allem über den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) lösen will, zeigten die „Angebotsoffensiven“ des HVV 2018 und 2019 mit höheren Taktungen und neuen Buslinien.
Unzuverlässige S-Bahn bleibt Sorgenkind
Weitere Planungen ließen den Senat bald von „Dekaden des Schnellbahnausbaus“ sprechen. Die Horner Geest wird an die U 4 angeschlossen, die später auch bis auf den Kleinen Grasbrook fahren soll. Eine S 32 soll irgendwann von Harburg über Dammtor zum Osdorfer Born führen. Und 2027/28 soll die S 4 von Altona nach Bad Oldesloe in Betrieb gehen und den Hauptbahnhof entlasten. Der platzt als Deutschlands meistfrequentierter Bahnhof mit täglich 550.000 Reisenden längst aus allen Nähten. Anfang 2019 kündigte die Bahn Pläne zur Erweiterung an. Weiteres Sorgenkind bleibt derweil die unzuverlässige S-Bahn.
Für Entlastung von Straßen und ÖPNV soll der Ausbau des Radverkehrs sorgen – der mit Regierungseintritt der Grünen 2015 ins Zentrum der Verkehrspolitik rückte. Derzeit werden stadtweit 14 Velorouten als Hauptstrecken ausgebaut. Es werden Bike+Ride-Plätze an Bahnstationen errichtet und das Leihsystem Stadtrad ausgebaut: Derzeit gibt es laut Senat 232 Stationen, bis 2022 sollen 150 neue hinzukommen.
Mithin: Hamburg hat in den 10er-Jahren viel getan für die Mobilität seiner Bürger. Es seien „Veränderungen in Richtung eines umweltgerechteren Verkehrs erkennbar“, resümierten die Macher der MiD-Studie. Und doch: „Sie erreichen nicht die erwartete Gesamtdynamik. Insgesamt bleibt das Auto mit Abstand Verkehrsträger Nummer eins.“