Hamburg. Gleich zwei große Grabungsstellen in der City. Es geht um den Ursprung Hamburgs und um das Wachstum im Mittelalter.
Manchmal ist ein Griff ins Klo auch ein Glücksgriff. Zumindest sehen das die meisten Archäologen so. „Latrinen sind immer wunderbar“, sagt deswegen auch Judith Kirchhofer. Sie ist die Leiterin der Ausgrabung an der Straße Hopfensack nahe der U-Bahn-Station Meßberg – und hat gerade einen solchen Griff getan.
„Wir haben einen kleinen Abwassergraben ausgehoben, damit der Regen abfließen kann – und sind dabei per Zufall auf eine alte Latrine gestoßen“, erzählt sie. Und warum ist das so erfreulich? „Zum einen gibt es da viele Funde – es fällt ja so manches ins Klo oder wird dort entsorgt; zum anderen werden sie besonders gut konserviert.“
Leiche in Lübecker Kloake
In Lübeck hat man vor ein paar Jahren sogar eine Leiche in einer Kloake gefunden – dem Mann war der Schädel eingeschlagen worden. Einen jahrhundertealten Mordfall wird es in Hamburg eher nicht geben, Spannendes gibt es aber sicherlich zu entdecken. Außerdem kann das Holz des alten Klohäuschens untersucht werden – mithilfe der Dendrochronologie lässt sich sagen, wann die Bäume gefällt wurden.
Kirchhofer verantwortet die zweite große Grabung des Archäologischen Museums Hamburg in der Innenstadt – neben der, die gerade an der Neuen Burg am Rande der Nikolaikirche läuft.
Auf dem Areal zwischen Willy-Brandt-Straße und Hopfensack hat das Team bis Ende April Zeit, um ein weiteres Puzzlestück aus der mittelalterlichen Geschichte Hamburgs zu finden. Beide Grabungen hängen historisch eng zusammen. Während Kay-Peter Suchowa und sein Team nach Spuren aus der Gründungszeit der Neustadt Ende des 12. Jahrhunderts suchen, hofft Kirchhofer auch auf Bebauungsspuren aus der Zeit um 1200. „Aus einer Urkunde aus dieser Zeit wissen wir, dass dieses Areal damals von Kaufleuten besiedelt wurde“, sagt sie. Jetzt soll der archäologische Nachweis folgen.
Damals war das Gebiet eine Insel
Damals war das Gebiet noch eine Insel: die Reichenstraßeninsel, umgeben vom Reichenstraßenfleet im Norden und dem Gröningerfleet im Süden, die beide längst zugeschüttet sind. Zahlreiche Mauern der Kontorhäuser sind bereits freigelegt, die stammen aus der Zeit um 1500.
„Es sind relativ schmale, lang gezogene Häuser, die von Fleet zu Fleet reichten“, erläutert Kirchhofer. Im nördlichen Eingangsbereich waren Räume mit Ofen beziehungsweise Feuerstelle im Erdgeschoss und darüber Wohnräume. Dann folgten Wohnräume für die Angestellten, ein Innenhof (in dem sich auch die Latrine befand) und schließlich am südlichen Ende Speicher, die bis zur Kaimauer reichten, um die Schiffe und Boote zu be- und entladen.
„Es waren Multifunktionsgebäude; oft wurde auch neben dem Handel einem Handwerk nachgegangen – zum Beispiel wurde Bier gebraut“, sagt Kirchhofer. Zu den schönsten Funden bisher gehört übrigens ein kleines „Zapfküken“, ein kleiner eiserner Zapfhahn mit einer Verzierung in Form eines Kükens.
Doppelt dicke Brandmauern sind typisch Hamburg
Sehr gut erkennen lässt sich auch eine Hamburger Besonderheit: die doppelt dicken Brandmauern. Die Häuser waren ohne Zwischenraum direkt aneinander gebaut. „In Lübeck haben solche Häuser eine gemeinsame Mauer, in Hamburg hat jeder eine Mauer gebaut, sodass sie im Ergebnis doppelt so dick ist“, erläutert die Archäologin.
Was ist eigentlich Dendrochronologie?
All das ist natürlich aufschlussreich, aber keineswegs überraschend, denn viele dieser Häuser standen jahrhundertelang und sind auch fotografisch festgehalten. Die Ursprungsbebauung wird erst in tieferen Schichten sichtbar werden. „Wir arbeiten uns langsam vor“, sagt Kirchhofer. Sollten Spuren einer Bebauung aus der Zeit um 1200 zutage gefördert werden, wäre das ein weiterer Beleg für das schnelle Wachstum der Stadt in dieser Zeit.
Im 13. Jahrhundert wuchs Hamburg mit großem Tempo
Nach jetzigem Wissensstand wurde die Neustadt an der Neuen Burg 1189 gegründet und mit Kaufleuten besiedelt – der Beginn der Handelsmetropole. Wenn nur wenige Jahre später sich weitere Kaufleute am anderen Ende der damaligen Stadt niedergelassen haben, dann zeigte das, wie groß die Anziehungskraft der Stadt damals war. Die Neubürger müssen sich auch sicher gefühlt haben, denn die jetzt ausgegrabenen Häuser befanden sich außerhalb des „Heidenwalls“. So hieß die alte Befestigungsanlage in Nord-Süd-Richtung, die die sonst von Wasser umgebene Altstadt Richtung Osten schützen sollte und erst im 13. Jahrhundert abgetragen und durch eine Mauer ersetzt wurde.
Während das Team von Kirchhofer seit Anfang September arbeitet, hat die Gruppe von Kay-Peter Suchowa gerade erst angefangen. „Aber alle Vorarbeiten sind jetzt beendet, und die eigentliche Grabung geht los“, berichtet er. Gerade ist die sogenannte Brandschicht erreicht.
„Bei der Feuersbrunst 1842 sind die alte Nikolaikirche und fast alle Wohnhäuser abgebrannt“, sagt Suchowa. Das lässt sich deutlich an den Bodenschichten ablesen. „Darunter erwarten wir Reste der älteren Bebauung.“ Vielleicht sogar aus den Gründertagen im 12. Jahrhundert.