Potsdam

Oh lälä, die schöne Schwester Berlins hat einen Hauch Friderizianisch-Blau aufgetragen. Im Schloßtheater wird "Friedrich - ein Traumspiel" aufgeführt, eine andere Bühne bringt "Die Preußen kommen". Musikaliengeschäfte führen Langspielplatten mit Flötenkonzerten und Sinfonien des Preußen-Königs, in Andenkenläden bekommt man - in Gips zumeist seine Büste, Plakate, die ein Jazzfestival ankündigen, tragen das Bild des Königs. Vor allem aber ist da natürlich die Ausstellung im Neuen Palais, von der manche sagen, sie sei die wichtigste, die seit langem über Friedrich gezeigt wurde.

Ein neuer Preußen-Kult in Potsdam? Justament dort, wo man vor dreißig, vierzig Jahren abfällig von "Friedrich zwo" sprach, wo man den Geist Preußens symbolisch in der Havel versenkte und die Ruinen von Stadtschloß und Garnisonkirche sprengte?

Nein, um Himmelswillen, nein! Die kritischen Meinungen über den Preußen-König überwiegen noch immer. Auf dem Cover der Langspielplatte ist maliziös vermerkt, daß Friedrich während seiner Feldzüge stets Flöten mit sich führte, denn: "Schlachtenlärm vertrug sich offenbar recht gut mit Flötenklang im Ohr des Königs." Und im Museum in der Wilhelm-Külz-Straße, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, wo einst die Garnisonkirche stand, wird ein Schriftstück gezeigt, in dem der König auf ein Hilfegesuch für Waisenkinder 1760 den Stadtvätern grob antwortete: "Sie mögen sehen, wie Sie die Schulden bezahlen. Ich werde dem liederlichen Gesindel nicht einen Groschen geben."

Aber es gibt auch anderes: wunderschöne Gemälde und Stiche, Medaillen, die nach Friedrichs Tod ihm zu Ehren geprägt wurden, seine Taten preisend. Und viele Menschen sagen offen: ..Heute würden wir sicher die Ruine des Stadtschlosses oder der Garnisonkirche nicht mehr sprengen. Hei'*'- >v"rden wir wieder aufbauen, was englische Bomber wenige Tage vor Kriegsschluß noch zerstörten. So wie wir Schinkels Nikolaikirche wieder aufgebaut haben, den Marstall, die Bürgerhäuser, in denen zu Friedrichs Zeiten die Bewohner auch Grenadiere des Königs aufzunehmen hatten, denn Kasernen gab es noch nicht." Auch die historische Mühle bei Sanssouci soll demnächst wieder restauriert werden.

Die Geschichte hat den anderen deutschen Staat eingeholt.

Wustrau

Die Transitautobahn führt nahe vorbei, das Ausfahrtschild weist nach Fehrbellin. Ein märkisches Dorf, das Geschichte machte: Hier schlug der Große Kurfürst 1675 eine weit überlegene schwedische Armee. Der Große Kurfürst war Friedrichs Urgroßvater.

Von Fehrbellin nach Wustrau sind es nur wenige Kilometer. Doch sie genügen, um sich von der Mark Brandenburg verzaubern zu lassen. Die Straße ist von uralten Bäumen eingeschlossen. Durch ihr grünes Dach wirft die Sonne funkelnde Pfeile. Manchmal stört ein über das Kopfsteinpflaster rasselnder Traktor der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft die Stille, aber das sind nur Augenblicke, dann sinkt das Land wieder in seine Beschaulichkeit zurück.

Wustrau: Hans Joachim von Zieten hat hier gelebt, Friedrichs berühmter Husa-

rengeneral. "Sie kamen nie alleine - der Zieten und der Fritz - der Donner war der eine - der andere war der Blitz", dichtete Theodor Fontane. Und als der General am 26. Januar 1786 starb, da sagte der König, seinen eigenen Tod ahnend: "Im Krieg kommandierte er immer die Avantgarde, auch mit dem Tod hat er den Anfang gemacht. Ich führte die Hauptarmee, ich werd' ihm folgen."

Das einstige Herrenhaus der Zietens ist renoviert worden. Die Grabstätte befindet sich - gepflegt und von Bäumen geschützt - dicht neben der kleinen Kirche auf dem Friedhof. Mächtige Steinplatten decken die Gräber Zietens, seiner viel jüngeren Frau, die er erst nach dem Siebenjährigen Krieg heiratete - er wurde als Sechsundsechzigjähriger noch Vater - und die seiner Eltern. Davor steht ein Stein mit der

etwas pathetisch klingenden Inschrift:

"Im Jahre 1851 den 23. April, stand an dieser Stelle das Blüchersche Husaren- Regiment, um den hier in Gott ruhenden Helden, den berühmten General der Cavallerie und Ahnherrn aller Husaren, Hans Joachim von Zieten, in Anerkennung seiner Verdienste durch eine feierliche Parade zu ehren. Ruhe und Frieden seiner Asche! Preis und Ehre seinem Namen! Er war una bleibt der Preußen Stolz."

Rheinsberg

Der Stechlinsee ist in der Nähe, an dem Theodor Fontanes letzter Roman spielt und wo heute ein Kernkraftwerk steht. Die nächste größere Stadt ist Neuruppin, jetzt Standort von Sowjetsoldaten und Volksarmisten, damals Garnison eines Regiments, das Friedrich als Kronprinz befehligte. Er war gerade aus der Küstriner Festung entlassen worden, der erste Schritt auf dem Wege zur Versöhnung mit dem strengen, jähzornigen Vater.

Rheinsberg - das ist immer noch ein lieblicher Flecken zum Träumen. Seen, Wälder, Auen, ein verschlafenes märkisches Städtchen, im Zentrum das Schloß mit den beiden runden Ecktürmen, das der Vater Friedrich schenkte. Seine schönsten Lebensjahre verbrachte Friedrich in diesem von Knobelsdorff errichteten Bauwerk. Hier wurde musiziert, debattiert, gefeiert, hier durfte, das einzige Mal überhaupt, seine ihm aufgezwungene Frau Elisabeth Christine mit Friedrich unter einem Dach leben. Hier schwärmte der spätere König: "Ich ziehe dieses Leben der majestätischen Gewichtigkeit und dem tyrannischen Zwang der Höfe weitaus vor."

Doch als am 31. Mai 1740 sein Vater, König Friedrich Wilhelm I., starb, als Friedrich den Thron bestieg und die Rheinsberger Freunde glaubten, nun würden auch für sie Karrieren offenstehen, da wies sie der junge Monarch schroff ab: "Die Possen haben nun ein Ende."

Rheinsberg 1986. Das Schloß ist ein Sanatorium für Diabetiker. Eintritt nur für Patienten. Es heißt "Helmut Lehmann". Das sei ein Arzt gewesen, erklärt eine junge Dame dem Fragesteller, ein Arzt, der dieses Sanatorium gründete. Im übrigen aber sei beabsichtigt, demnächst im Schloß ein Museum einzurichten.

Und der Besucher denkt, dies würde der Vergangenheit auch eher gerecht . . .

Sanssouci

Über 290 Hektar großer Park in Potsdam, angelegt von dem berühmten Gartenbaumeister Peter Joseph Lenne, der auf dem benachbarten Bornsted ter Friedhof ruht - zusammen mit vielen Großen preußischer Geschichte. Mittelpunkt des Parks das 1745 bis 1747 von Knobelsdorff erbaute Schloß Sanssouci, zu deutsch: "Ohne Sorge". Überwiegender Aufenthaltsort des Königs bis zu seinem Tode.

Das ist nur ein Bruchteil dessen, was über Sanssouci und seine Schlösser zu sagen ist. Wer alles besichtigen will - richtig besichtigen - braucht drei Tage. Und vorher sollte er lesen, viel lesen!

Die Führung durch das Schloß dauert vierzig Minuten. Alle Räume sind hervorragend restauriert. Stolz wird berichtet, daß die Seidentapeten nach Originalmustern in eigener Produktion hergestellt wurden. Unschätzbar wertvolle Prozellane, das Musikzimmer mit dem perlmuttbesetzten Notenpult Friedrichs, Voltaires Salon. Man sieht den Lehnsessel, in dem der König, gestützt von seinem Kammerdiener Strützki, starb.

Unmittelbar vor dem Schloß befindet sich seitlich eine Fläche mit grauen Steinplatten. Die Hunde des Königs sind hier begraben. Unter einer Statue der Blumengöttin Flora hatte Friedrich sich neben diesen Gräbern eine Gruft bauen lassen. Er wollte bei seinen Hunden bestattet werden, doch sein Nachfolger hielt sich nicht an diese Order, der Platz sei eines Monarchen unwürdig, meinteer. Und ließ den töten König unter dem Altar der Garnisonkirche beisetzen, neben seinem Vater. Die Garnisonkirche hatte Friedrich zu Lebzeiten nie betreten.

Ein Schloß-Besucher erzählt dies alles seiner Begleitung. Die Dame reagiert entrüstet: "Da kann man mal sehen, wie menschenverachtend der Mann gedacht hat."

Eine Straße, die nach Sanssouci führt, trägt den Namen "Ludschuweit". Jewgeni Fjodorowitsch Ludschuweit, 1966 verstorben, war Professor an der Lomonossow-Universität in Moskau. Und er war Oberleutnant der Sowjetarmee. Als solcher bewahrte er 1945 Sanssouci vor Kampfhandlungen. Die Potsdamer der Nachkriegszeit vergalten's ihm, sie machten Ludschuweit zum Ehrenbürger.

Zeittafel 1701

Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg krönt sich am 18. Januar in Königsberg zum "König in Preu- ßen". Er trägt jetzt den Namen Friedrich I. Der neue König ist der Sohn des "Großen Kurfürsten" (1640 bis 1688, berühmt geworden durch seinen Sieg über die Schweden bei Fehrbellin sowie durch das "Edikt von Potsdam", durch das die aus ihrer französischen Heimat vertriebenen Hugenotten in Preu- ßen aufgenommen wurden).

1712

Friedrich der Große in Berlin geboren (24. Januar).

1713

König Friedrich I. stirbt. Auf dem Königsthron folgt sein Sohn Friedrich Wilhelm I., der sogenannte Soldatenkönig.

1733

Kronprinz Friedrich heiratet Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern.

1740

König Friedrich Wilhelm I. stirbt. Ihm folgt sein Sohn, König Friedrich II., der später Friedrich der Große genannt wird. Beginn des ersten Schlesischen Krieges (beendet durch den Frieden von Breslau 1742).

1744

Zweiter Schlesischer Krieg (bis 1745, beendet durch den Frieden von Dresden).

1756

Beginn des Siebenjährigen ..Krieges. Preußen kämpft gegen Osterreich, Frankreich, Rußland, Schweden und gegen Reichstruppen. Gleichzeitig englisch-französischer Krieg in Nordamerika.

1763

Der Friede von Hubertusburg beendet den Siebenjährigen Krieg.

1772

Erste Teilung Polens durch Preu- ßen, Rußland und Östereich.

1786

Am 17. August stirbt Friedrich der Große. Ihm folgt sein Neffe, König Friedrich Wilhelm IL, der bis 1797 regiert.

Fortsetzung von S"IO" 1

Es ist ein wunderschöner Sommertag. Die Sonne verwandelt das Wasser der Fontäne am Fuß der Terrassen des ehemaligen Weinbergs, auf dem das Schloß gebaut wurde, in Millionen funkelnder Edelsteine. Ist nicht alles noch so wie vor fünfzig, hundert, zweihundert Jahren? Ist die Zeit in Sanssouci stehen geblieben?

Nein, unsere Tage setzen auch hier ihre unübersehbaren Zeichen. Der Antikentempel, in dem die letzte deutsche Kaiserin beigesetzt wurde, ist nicht zugängig, die Wände sind beschmiert mit Namen aus vieler Herren Länder.

Und die Gärtner, die man im Park trifft, tragen Sprechfunkgeräte.

Hamburg

Es ist schwer, Spuren des Preußen-Königs in dieser Stadt zu finden. Ob das mit der republikanischen Haltung Hamburgs zusammenhängt? Aber vielleicht waren es auch nur die schlechten ökonomischen Erfahrungen, die die Hansestadt mit Friedrich machte. Denn nach der Eroberung Schlesiens leitete Preußen seinen bislang über Hamburg geführten Handel zu wesentlichen Teüen nach Stettin und Swinemünde um. Vor allem aber schadete Friedrich II. den Hamburgern, als er nach dem Siebenjährigen Krieg neue Münzen prägen ließ. Die Folge: 95 Handelsgeschäfte mußten Konkurs anmelden.

Bessere Erfahrungen mit dem preußischen König machte Graf Heinrich Carl von Schimmelmann, Besitzer der Dörfer Wandsbek, Hinschenfelde und Tonndorf, des Schlosses Ahrensburg und Schatzmeister des dänischen Königs. Schimmelmann hatte während des Siebenjährigen Krieges für die preußische Armee in Sachsen Getreidelieferungen organisiert. Dafür entlohnte ihn Friedrich mit dem damaligen Porzellanbestand der Meißener Manufaktur. Mit ihm eröffnete Schimmelmann in Hamburg einen Handel, der seinen Reichtum begründete.

Dennoch: Im Hamburg des Jahres 1986 erinnert nicht viel an den Preußen-König. Keine Straße, kein Platz, kein Denkmal. Gewiß, im Gewölbe des "Michel" ist Karl Philipp Emanuel Bach beigesetzt, der Sohn von Johann Sebastian Bach, und dieser Sohn war immerhin Hofmusiker bei Friedrich dem Großen. Doch wer weiß das schon? Erinnerung blüht hochstens im privaten Bereich. Der Hamburger Unternehmer Karl-Heinz Gallasch zum Beispiel besitzt eine Sammlung wertvoller Münzen, Tabakdosen, Bücher, Gemälde, Prozellane, um die ihn manches Museum beneiden würde.

Und eine Hamburger Bank gibt es - sie möchte nicht genannt werden (Respekt, ihr zurückhaltenden Hanseaten!) -, deren Berliner Haus Friedrich während des Siebenjährigen Krieges Finanzhilfe leistete. Als Anerkennung wurde ihr 1764 ein Gemälde des Königs geschenkt, gemalt von Johann Heinrich Christoph Franke. Es schmückt heute die Bank.

Nowawes

Eine Stadt dieses Namens wird man vergebens auf Landkarten suchen. In den dreißiger Jahren wurde sie umbenannt, heißt heute Babelsberg, ist Potsdam zugeordnet und Heimstätte der Defa, Nachfolgerin der weltberühmten Ufa.

Der Name Nowawes kommt aus dem Tschechischen. Er bedeutet: neues Dorf. Dieses neue Dorf wurde auf Befehl Friedrichs 1751 an der Straße nach Berlin angelegt. Seine ersten Bewohner waren tschechische Weber, die die Heimat ihres protestantischen Glaubens wegen verlassen mußten. Denn im Staate Friedrichs galt dessen Wort: Hier soll jeder nach seiner Fasson selig werden.

Von 1752 bis 1753 errichtete der Baumeister Bouman für 7 763 Taler in Nowawes eine Kirche. Sie wurde Friedrichskirche genannt. Im Kirchenschiff erinnert noch heute ein Wappen mit den Initialen FR (Fridericus Rex) an den König, der, ebenso wie seine Vorfahren, Emigranten aus vielen Ländern aufnahm.

Daß den neuen Bürgern von den Alteingesessenen allerdings oft mit Vorbehalten begegnet wurde, läßt sich leicht denken. Manchmal schimpfte man sie sogar "fremdes Gesindel". Wem fielen da nicht sofort die Diskussionen ein, die heute bei uns über Gastarbeiter und Asylanten geführt werden. Toleranz kann eben nicht von oben angeordnet werden, damals so wenig wie heute.

Iserlohn

Es war wohl der einzige Luxus, den sich der König der Preußen gönnte: kostbare Tabakdosen, hergestellt im saarländischen Iserlohn. Dort hatte eine Fabrik von Friedrich das Privileg der alleinigen Produktion von Tabatieren erhalten. Zwar rauchte der König nicht, doch er war ein leidenschaftlicher Schnupfer. Später wurde einmal geschätzt, daß Friedrich insgesamt etwa 1,75 Millionen Taler für den Erwerb von Tabakdosen ausgegeben hat.

Woher diese Marotte? Vielleicht war das der Grund: In der Schlacht von Kunersdorf traf Friedrich eine Kugel. Sie wäre tödlich gewesen, doch die Tabatiere in seiner Brusttasche rettete dem König das Leben.

Liebhaber können heute noch Reproduktionen der Tabatieren in Iserlohn kaufen. Sie zeigen kunstvolle Rokoko-Illustrationen von Schlachten, Jagd- und Reiterszenen, natürlich auch das Bildnis des Königs. Beim Betrachten darf man sich daran erinnern, daß auch der sparsamste Monarch seine schwachen Seiten hat. Wie sparsam aber dieser Friedrich war, erfuhr einmal sein Gesandter in England. Der hatte sich über seine finanzielle Lage beschwert, die es ihm kaum noch erlaube, eine Kutsche zu bezahlen. Der König beschied seinen Gesandten, er möge getrost zu Fuß gehen. Allen aber, die ihn belächeln sollten, möge er sagen, hinter ihm marschierten 200 000 Grenadiere.

Hechingen

Wenn man ein Großer der Geschichte ist, gibt es selbst auf die "Ewige Ruhe" keine Garantie. Der tote Friedrich lag 157 Jahre in der Potsdamer Garnisonkirche, dann wurde er in ein Thüringer Salzbergwerk gebracht, zusammen mit seinem Vater. Die Vorsorge war nur allzu berechtigt: Wenige Tage vor Kriegsende machten englische Bomben aus der Garnisonkirche eine Ruine - und die wurde 1968 als Symbol Preußens auch noch weggesprengt. Die beiden Könige aber kamen 1952 nach Hechingen am Rande der Schwäbischen Alb.

Dort ruhen sie heute, links und rechts vom Altar der evangelischen Kapelle der Burg Hohenzollern, dem Stammsitz der Familie. Wer will, kann es eine Heimkehr nennen.

Lesen Sie in der nächsten Folge "Wir führen das traurigste Leben"