Hamburg . Neue Ausgrabung am Mahnmal St.  Nikolai soll Erkenntnisse über die Keimzelle des Handels bringen – kleines Museum geplant.

Hamburg ist, das muss man in dieser Deutlichkeit sagen, ein ziemliches Kaff. Was 2017 Unsinn, zumindest aber eine gewagte Provokation wäre, kann Ende des 12. Jahrhunderts kaum bestritten werden. 500, vielleicht ein paar mehr Einwohner, leben in der kleinen Stadt, von der man mehr als einmal überlegt hat, ob man sie nicht besser aufgeben solle. Doch dann werden große Pläne geschmiedet (und rasch umgesetzt), ein regelrechter Boom setzt ein und das eben noch unbedeutende Kaff wird zur Handelsmetropole.

Spektakulär ist dabei weniger diese Erkenntnis, sondern die Erwartung, dass bald erstmals ein Blick in diese Gründungszeit der Stadt möglich sein wird. Denn die Bürgerschaft will am Mittwoch kommender Woche 1,1 Millionen Euro für eine archäologische Grabung am Rande der Nikolaikirche zur Verfügung stellen, wie es sie so noch nie gab. Und: Spätestens 2021 soll am Hopfenmarkt ein kleines Museum entstehen, das allen Hamburgern die Frühgeschichte ihrer Stadt näherbringen soll. Das streben zumindest die beiden Chefs der Regierungsfraktionen von SPD und Grünen, Andreas Dressel und Anjes Tjarks, an, die am Montag gemeinsam mit dem Landesarchäologen Prof. Rainer-Maria Weiss ihre Pläne der Öffentlichkeit vorstellten.

Kaufmannshäuser aus dem 12. Jahrhundert

Wie das Abendblatt bereits im Juni exklusiv berichtet hatte, waren Bauarbeiter bei kleineren Straßenarbeiten westlich des Mahnmals St. Nikolai in nicht einmal einem halben Meter Tiefe auf alte Mauerreste gestoßen. Die sofort hinzugerufenen Archäologen stellten fest, dass es sich um Häuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert handelte, die dort vor dem Bau der Nikolaikirche eng nebeneinander standen.

Noch viel spannender sind aber die Schichten darunter: Denn dort vermuten die Forscher Hamburgs älteste Kaufmannshäuser aus dem 12. Jahrhundert. Das ist die Keimzelle der Handelsmetropole oder wie Anjes Tjarks es ausdrückte: die „DNA dieser Stadt“. Mit dem Geld soll eine einjährige Grabung an der kleinen Straße „Neue Burg“ finanziert werden. Im Frühjahr 2018 soll es losgehen. „Hamburgs Frühgeschichte birgt immer noch Rätsel, die wir hier zu lösen hoffen“, sagt Prof. Weiss.

Bis zum Jahr 1021 stagnierte Hamburg

Archäologen stießen unter anderem auf diese Mauerreste
Archäologen stießen unter anderem auf diese Mauerreste © Archäologisches Museum Hamburg  | Archäologisches Museum Hamburg 

Um zu erklären, wie bedeutend dieser Ort für die Historie der Stadt ist, muss man ein wenig ausholen. Denn die Keimzelle Hamburgs liegt ja westlich am Domplatz, wo die berühmte und namensgebende Hammaburg stand. Die wurde im späten 8. Jahrhundert errichtet und bei einem Wikingerüberfall 845 zerstört. Zwar wurde sie wieder aufgebaut, die Entwicklung der Siedlung aber nachhaltig beeinträchtigt. Ansgar, der Missionar und Bischof, zog sich nach Bremen zurück, Slawen machten mehrfach Raubzüge – Hamburg stagnierte.

Das änderte sich 1021: In diesem Jahr begann der sächsische Herzog Bernhard II. mit dem Bau der „Neuen Burg“, einer Holz-Erde-Konstruktion, deren Reste in den vergangenen Jahren an zwei Stellen freigelegt werden konnten. Diese Burg war zwar ungewöhnlich groß (160 Meter Durchmesser), aber nicht sehr abschreckend – auch sie wurde mehrfach angegriffen und zerstört.

Hamburg betrieb schon im Jahr 1188 „Standortpolitik“

Für wirklich großen Fortschritt in der Entwicklung sorgte die Burg ebenfalls nicht. Zwar war die Siedlung gewachsen, hatte aber höchstens regionale Bedeutung. Im Rest Deutschlands, gar im Süden, konnte mit dem Namen Hamburg kaum jemand etwas anfangen. Die Initialzündung kam im Jahr 1188 dank eines weitsichtigen Grafen: Adolf III. von Schauenburg. Denn der Stadtherr machte etwas, was auch heute noch üblich ist und „Standortpolitik“ genannt wird. Er beauftragte Wirad von Boizenburg quasi als Projektmanager, damit er Kaufleute nach Hamburg lockt.

Die Überreste der Siedlung wurden neben dem Mahnmal St. Nikolai gefunden
Die Überreste der Siedlung wurden neben dem Mahnmal St. Nikolai gefunden © HA

Der reiste nach Friesland, Flandern und Westfalen, wo er folgendes Angebot machte: Jeder Kaufmann, der ihm folgt, erhält ein kostenloses Grundstück zur Bebauung, das als besonders modern geltende Lübecker Stadtrecht wird eingeführt, außerdem gibt es Steuervergünstigungen und Aufbauhilfen. 50 Händler sagten zu und kamen tatsächlich in die Provinz an der Elbe. Und so wurde die Burg eingeebnet und aufgeschüttet, so dass an der Alster (später Nikolaifleet) eine große Wart entstand. Die Fläche wurde in 50 Tortenstücke geteilt und bebaut, zeitgleich entstand ein Hafen. Von da an verlief die Entwicklung rasant – bis zur Handelsmetropole mit weltweiter Bedeutung.

1000 Jahre nach Baubeginn kommt das Museum

Wenn all dies bekannt ist, warum ist dann aber die Grabung noch so bedeutend? Weil viele Details gänzlich ungeklärt sind. Wann genau wurde die Neue Burg aufgegeben? Wie sahen die ersten Häuser aus, wie lebten die Handels-Pioniere? Und wie oft wurden die Häuser abgerissen und neu gebaut? „Davon wissen wir leider sehr wenig“, sagt Weiss. Noch.

Mit den Politikern Dressel und Tjarks ist er sich einig, dass die neuen Erkenntnisse auch für die Hamburger erlebbar gemacht werden wollen. Deshalb soll 2021 – 1000 Jahre nach Baubeginn der Burg – ein Ausstellungsraum oder kleines Museum am Hopfenmarkt entstehen. In dem unterirdischen Bau könnten ein Grabungsquerschnitt und Exponate aus der Zeit gezeigt werden. Detaillierte Planungen gibt es noch nicht. „Aber das Jubiläum ist ein klarer politischer Auftrag“, betonte Dressel.