Hamburg. In diesem Teil der Serie: die Hamburger Verlegerin Heidi Oetinger, die eine Freundschaft mit Astrid Lindgren pflegte.
Astrid Lindgren (1907–2002) hat sich zeitlebens an sie erinnert: an die kleine, zierliche Frau, die neben dem Taxi stand, ein Bündel Geldscheine in der Hand. Die Geldscheine waren das Honorar für die damals noch so junge Autorin Lindgren, die kleine, zierliche Frau war ihre Verlegerin Heidi Oetinger (1908–2009). Viel später werden beide berühmt sein und Lindgren wird schreiben: „Heidi, liebste Schwester! Ich weiß noch, wie ich Dich zum ersten Mal gesehen habe. [...] Dort auf dem Bürgersteig stand ein zierliches, schwarzhaariges und dunkeläugiges, sehr reizendes Mädchen, die Hände voller D-Mark. Dieses Mädchen warst Du, Heidi.“ Sie werden Freundinnen. So wie Oetinger mit den meisten ihrer Autoren eine innige Freundschaft pflegte.
Das ist es auch, was Wiebke Lorenz so an Heidi Oetinger fasziniert. „Sie hat wie keine Zweite verstanden, dass Autoren mehr brauchen als reine Verträge. Sie brauchen im Verlag Freunde und Verbündete“, sagt sie. Und wenn sie Heidi Oetinger auch nicht mehr kennengelernt hat, weiß sie doch, wovon sie spricht: Denn Wiebke Lorenz ist Bestsellerautorin und arbeitet mit mehreren Verlagen eng zusammen.
Hochzeit und dann der nächste Krieg
„Was für ein Leben“, sagt die Autorin nachdenklich. Als Heidi Oetinger geboren wird, ist Deutschland noch ein Kaiserreich, als sie sechs Jahre alt ist, beginnt der Erste Weltkrieg. Sieben ist sie, als der Vater in Russland fällt, und zehn, als der Krieg endlich vorüber ist. Es folgen Matrosenaufstände, Revolution, der Hunger ist nicht vorbei, auch und vor allem nicht während der Inflation und der Weltwirtschaftskrise. Als die über Deutschland hereinbricht, ist Heidi gerade erwachsen geworden, macht eine Lehre und arbeitet dann bei einem Anwalt, Schwerpunkt Schifffahrtsrecht.
„Sie heiratete Alfred von Hacht, und dann kam der nächste Krieg“, erzählt Wiebke Lorenz weiter. „Heidi wurde schwanger, bekam eine kleine Tochter.“ 1942 widerfährt ihr das gleiche Schicksal wie dereinst ihrer Mutter: Ihr Mann fällt an der Front, Heidi bleibt mit ihrer Tochter als Kriegerwitwe zurück. Drei Jahre ist der Krieg vorbei, da nimmt sie ihre Tätigkeit als Sekretärin im Verlag Friedrich Oetinger auf – Sekretärin wird sie nicht lange bleiben. „Sie verliebte sich in ihren Chef, und Friedrich Oetinger erwiderte ihre Gefühle, 1952 läuteten die Hochzeitsglocken“, erzählt Lorenz.
Schnell eine große Rolle im Verlag
Schnell spielt Heidi Oetinger eine große Rolle im Verlag: Der Nestor der Jugendbuchforschung, Klaus Doderer, schrieb einmal über die Verbindung zu Astrid Lindgren: „Aber in Hamburg war es dann schon Heidi, die mit Umsicht und Zähigkeit für die nötige Verbreitung und Werbung sorgte und sich bemühte, andere Autorinnen und Autoren mit ähnlicher frischer Stimme zu gewinnen.“
1960 formuliert sie ihren Anspruch folgendermaßen: „Die Bücher, die junge Menschen in die Hand bekommen, sollen ihnen zeigen, wie schön die Welt sein kann. Sie dürfen jedoch nicht vertuschen, dass es Schwierigkeiten, Gefahren, Enttäuschungen, Angst, Verlust, Trauer gibt. Aber die Kinder sollen mit solchen Problemen nicht allein gelassen werden. Sie sollen lernen, dass man damit leben muss und wie man damit fertig werden kann.“
Heidi Oetingers Tochter Silke Weitendorf, die den Verlag später übernimmt, spielt schon früh eine wichtige Rolle: „Mein sehr familiär eingestellter Stiefvater ließ mich immer wieder auch die Kinderbuchmanuskripte lesen und interessierte sich dafür, was ich dazu dachte“, sagt sie. Bis Mitte der 1980er-Jahre ist Oetinger in der Geschäftsleitung, anschließend denkt sie keineswegs daran, die Arbeit sein zu lassen.
Oetinger ist stolz auf ihr Imperium
Was wäre Heidi Oetinger ohne ihre Bücher, ohne ihren Verlag, ohne den Geruch von Druckerschwärze und Papier! Müdigkeit scheint sie nicht zu kennen, wenn sie noch mit 90 Jahren an den dienstäglichen Lektorats- und Geschäftsbesprechungen in Duvenstedt teilnimmt. Die Grande Dame der Jugendliteratur ist immer auf dem Laufenden. Über die Buchbranche, über das Weltgeschehen, über ihre Freunde, über die Freuden, Sorgen und Nöte ihrer Enkel und Urenkel, die teilweise längst schon in der Unternehmensführung mitarbeiten.
Oetinger ist stolz auf ihr Imperium. Wiebke Lorenz ergänzt: „Eines meiner Lieblingszitate stammt von Heidi Oetinger: ‚Wer liest, der hat immer mehrere Leben, nämlich in Büchern.‘ Und sie hat ja auch bewiesen, dass es stimmt, denn immerhin wurde sie hundert Jahre alt. Was für ein Leben!“
Gekürzter Auszug aus „Hamburger Frauen“. Erhältlich im Buchhandel, beim Hamburger Abendblatt auf abendblatt.de/shop oder unter 040/333 66 999. Hamburger Abendblatt-Abonnenten erhalten das Buch für € 14,50 auf abendblatt.de/shop oder unter 040/333 66 999.