Hamburg. Deutschlands berühmteste Prostituierte kämpfte für die Rechte der Huren, wurde selbst aber nie richtig glücklich.

Domenica Anita Niehoff war ein Sonntagskind. Und Sonntag heißt auf Italienisch Domenica. So kam die Tochter eines italienischen Vaters zu ihrem Namen. Dass Sonntagskinder Glückskinder sind – das stimmt im Hinblick auf Domenica allerdings nicht. „Ihr Vater war gewalttätig, die Mutter spielsüchtig“, sagt Christina Linger, die Domenica nie persönlich kennengelernt hat, aber in der Nähe lebte und sie aus der Ferne beobachtete. Nicht das kleine, unglückliche Mädchen, sondern die Frau, die Domenica später war: Deutschlands berühmteste Prostituierte, die für die Rechte der Huren kämpfte, ein großes Herz hatte, immer mehr gab, als sie hatte, und mit der sich unzählige Prominente fotografieren ließen.

Ihre unglückliche Kindheit verbringt Domenica in Köln, vier Jahre ist sie alt, als ihre Mutter sich von dem gewalttätigen Vater trennt. Da die Mutter mehrfach wegen Betrugs verhaftet wird, kommt Domenica in ein katholisches Waisenhaus, wo sie die nächsten zehn Jahre ihres Lebens verbringt. „Dann holte die Mutter Domenica aus dem Heim und ging mit ihr nach Hamburg“, sagt Christina Linger. Domenica macht eine Ausbildung zur Buchhalterin. Als sie 17 Jahre ist, lernt sie ihren Freund kennen, einen Bordellbesitzer. Der ist 25 Jahre älter als sie und reich. Das Paar lebt auf großem Fuß. Aber: Anfang der 1970er-Jahre verliert er alles. Die Privatbank, bei der er sein Vermögen angelegt hat, meldet Insolvenz an. Nun hat sie nichts mehr.

Das Geschäft von Domenica brummt

Wieder lernt sie einen Mann kennen, auch er ist Zuhälter, auch er hat Geld, aber im Unterschied zu ihrem ersten Partner will er, dass sie anschaffen geht. Ihr Geschäft brummt. Manche Freier missverstehen ihren Namen, verwechseln Domenica mit Domina. Ihr Zuhälter treibt sie zu immer neuen Aufträgen an. Noch ein Kunde. Und der nächste. Das erträgt sie nur mit Alkohol, „ich soff mich jeden Tag ins Koma“, schreibt sie. Und sie kämpft nun für die Legalisierung der Prostitution, für mehr Rechte der Huren. Da ist sie lange schon eine Legende: Künstler erheben sie zur Muse, sie wird bedichtet und besungen.

Bis 1990 arbeitet sie als Prostituierte, 1991 nimmt sie ihre Arbeit als Streetworkerin in St. Georg auf. „Sie initiierte das Hilfsprojekt „Ragazza“ und kümmerte sich um drogenabhängige Mädchen, die auf den Straßenstrich gehen. Sie hatte immer vier bis sechs Mädchen bei sich wohnen, verpflegte sie und bemutterte sie“, sagt Christina Linger, „sie gab ihnen Nähe, Menschlichkeit und Hilfe.“

Vertrauensverlust und Verlassensein

Sie weiß ja, wie es ist, eine Prostituierte zu sein. „Selbst wenn Domenica Zeit ihres Lebens Stärke und Stabilität ausstrahlte – das hatte sie mit allen anderen Huren gemein: Eine tiefe Traurigkeit und die frühe Erfahrung von Vertrauensverlust und Verlassensein“, so Tania Kibermanis. „Auch als Streetworkerin blieb sie Domenica – hilfsbereit bis weit über ihre Schmerzgrenze. Ohne den Schutz der sogenannten Professionalität, offen bis tief unter die Haut.“ Ihre Wohnung ist voll mit Menschen, mit Zwischenmenschlichkeit, mit Dingen, die sie auf dem Flohmarkt findet. Später sagt sie: „Ich habe eben einen Sprachfehler. Ich kann nicht Nein sagen. Das kommt von meinem alten Beruf.“

Eva-Maria Bast: „Hamburger  Frauen – Historische Lebensbilder aus der Stadt an der Elbe“.
Eva-Maria Bast: „Hamburger Frauen – Historische Lebensbilder aus der Stadt an der Elbe“. © Hamburger Abendblatt | Hamburger Abendblatt

Acht Jahre lang ist sie clean. Dann übernimmt sie jedoch 1998 eine Kneipe, das „Fick“ am Fischmarkt – und wird rückfällig. Die Kneipe läuft nicht wirklich, zwei Jahre nach der Eröffnung wird sie zwangsgeräumt. „Als 2001 ihr Bruder starb, versuchte sie den Absprung ins bürgerliche Leben zu schaffen und zog in dessen Haus in der Eifel“, sagt Christina Linger. Doch das ist nicht ihr Leben. Sie vereinsamt. Sieben Jahre hält sie aus, dann kehrt sie zurück auf den Kiez, alt ist sie geworden und dick. Und wieder hilft sie Bedürftigen. Es geht ihr gesundheitlich nicht gut. Am 12. Februar 2009 stirbt sie in Altona. Tania Kibermanis: „Zum Schluss war ihr Gesicht das einer Hundertjährigen, ihr Herz eins mit Brüchen, Narben und Furchen. Ein Herz wie eine Heimat, vertraut und voller Seele.“

„Hamburger Frauen – Historische Lebensbilder aus der Stadt an der Elbe“ (192 Seiten), 16,90 Euro, von Eva-Maria Bast. Erhältlich im Buchhandel sowie beim Hamburger Abendblatt telefonisch unter 040/333 66 999 oder auf abendblatt.de/shop. Hamburger-Abendblatt-Abonnenten erhalten das Buch für 14,50 Euro auf abendblatt.de/shop oder telefonisch unter 040/333 66 999.