Hamburg. Mehr als 20.000 Menschen werden mit gespendeten Lebensmitteln versorgt. Wie eine Idee zum Riesenerfolg wurde.

Nach dem Tod ihres Mannes wollte sich die Hamburgerin Annemarie Dose ehrenamtlich engagieren. Ihr fiel auf, wie viele Menschen in Armut und wie viele in Überfluss leben. „Da hat sie sich gedacht: Warum müssen einige Menschen hungern, wenn auf der anderen Seite Essen weggeschmissen wird?“, sagt Julia Bauer, die lange Zeit mit Annemarie Dose (1928–2016) zusammengearbeitet hat. Sie entschied, beide Seiten zusammenzubringen: Die Idee der Lebensmittelrettung war geboren. „Am Anfang ist Annemarie Dose noch mit ihrem Privatwagen zum Großmarkt gefahren und hat die Lebensmittel eingesammelt, die keiner mehr haben wollte.“

Das war 1994. Mittlerweile hat sich die Hamburger Tafel zu einem sozialen Logistikunternehmen entwickelt, das aus der Stadt nicht mehr wegzudenken ist. Mehr als 20.000 Menschen werden über 67 externe Ausgabestellen und soziale Einrichtungen in Hamburg und Umgebung mit gespendeten Lebensmitteln versorgt. Dazu kommen rund 20 kleinere Tafeln aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, die regelmäßig Ware aus dem Zentrallager in Jenfeld abholen. Rund 120 Ehrenamtliche sind mit 14 Transportern unterwegs, sammeln die Lebensmittel auf ihren täglichen Touren ein und verteilen sie dann wieder an die Ausgabestellen, darunter Obdachlosen-Vereine, Kirchengemeinden und Beratungsstellen.

Kameradschaftliche Atmosphäre unter den Helfern

Wulf Engelke ist einer von ihnen. Als der Hamburger in den Ruhestand ging, hatte sich der heute 77-Jährige überlegt, etwas Sinnvolles mit seiner freien Zeit anzustellen. Als er einen Bericht über Annemarie Dose und die Tafel gelesen hatte, stand die Entscheidung fest: „Das ist eine sinnvolle Unterstützung der Menschen, die es nötig haben“, sagt Engelke. Seit sechs Jahren ist er nun dabei und fährt zusammen mit einem Kollegen einmal in der Woche Supermärkte und kleinere Läden an, die etwas abzugeben haben. Er schätzt auch die kameradschaftliche Atmosphäre unter den ehrenamtlichen Helfern. „Das ist wie eine große Familie“, sagt er.

Im Mittelpunkt dieser großen Familie steht Fahrdienstleiter Jan Henrik Hellwege. Er fühle sich manchmal wie „ein Concierge von einem Hotel“, berichtet der 39-Jährige lachend. An seinem Empfangstisch im Warenlager in Jenfeld laufen alle Fäden zusammen. Von hier koordiniert er die Fahrer und ihre Routen – wer fährt mit welchem Fahrzeug wohin. Insgesamt neun feste Touren gibt es, die im Flur auf Stadtplänen verfolgt werden können. Einmal im Jahr plant er alle Touren neu, weil sich das Angebot oder die Nachfrage geändert haben. „Das Wichtigste ist: Immer freundlich sein! Wenn man nett ist, kann man noch viel mehr rausholen“, ist Hellwege überzeugt.

Altersarmut nimmt immer mehr zu

Diakon Uwe Loose von der Kirchengemeinde Eidelstedt ist verantwortlich für eine der Ausgabestellen, die die Tafel mit Lebensmitteln beliefert. „Ohne die Tafel könnten wir unser Angebot nicht aufrechterhalten“, sagt der 58-Jährige. Rund 150 Hilfsbedürftige kommen jede Woche zur Lebensmittelausgabe. „Mit dem Geld, das die Menschen so sparen, können sie sich andere Dinge leisten“, berichtet der Diakon. „Vielleicht einen neuen Pullover oder mal mit den Kindern ins Kino gehen.“ Mit Sorgen be­obachtet Loose, dass die Altersarmut immer mehr zunimmt. „Es kommen immer mehr ältere Menschen zur Tafel“, sagt der Diakon. Für sie sei die Ausgabe auch ein Ort der Begegnung.