Hamburg. Vorstoß von Justizsenator Steffen wird kritisch gesehen. Gemeinnützige Organisation befürchtet Streit “um die besten Brocken“.

Justizsenator Till Steffen (Grüne) will, dass brauchbare Lebensmittel nicht weggeworfen, sondern verzehrt werden. Aber dafür die Container der Supermärkte nach Ladenschluss freigeben und das sogenannte Containern nicht mehr als Diebstahl verfolgen? Während der Einzelhandel und die Hamburger Tafel mit deutlicher Kritik reagierten, begrüßten das Erzbistum Hamburg und die Caritas den Vorstoß des Justizsenators.

Die Umweltbeauftragte des Erzbistums Hamburg, Martina Skatulla: „Ich freue mich sehr, dass Containern erlaubt und damit die Kriminalisierung sozial schwacher und umweltengagierter Menschen aufgehoben werden soll. Als Christin und Umweltbeauftragte des Bistums sehe ich im Überangebot der Lebensmittelindustrie auch die Verschwendung natürlicher Ressourcen und die Benachteiligung der armen Landbevölkerung weltweit. Papst Franziskus wies mehrmals darauf hin, dass gute, weggeworfene Lebensmittel vom Tisch der Armen geraubt sind.“ Laut Erzbistum ist eine „Gesetzesänderung überfällig“.

„Lebensmittel nicht wegzuwerfen ist eine sehr gute Idee, aber das zu verbinden mit einer Freigabe der Container für die Jagd um die besten Brocken halte ich für suboptimal“, sagte dagegen Christian Tack, Geschäftsführer der Hamburger Tafel. „Wir fänden es besser, wie in Italien oder Frankreich das Wegwerfen von Lebensmitteln per Gesetz zu verbieten, aber die Verteilung der übrig gebliebenen und unverkäuflichen Ware dann den Tafeln oder anderen Verteilorganisationen zu überlassen.“

Kunden müssen Bedürftigkeit nachweisen

Zentrale Ausgabestellen mit kon­trollierter Abgabe sei der praktisch unkontrollierbaren Suche nach Brauchbarem vorzuziehen. Tack erinnerte an die Probleme bei der Essener Tafel, die kurzzeitig „Neukunden“ ausgeschlossen und beklagt hatte, dass ihre Stammkunden von kräftigen jungen Männern an den Rand gedrängt und dem Recht des Stärkeren zum Opfer zu fallen drohten. „Wir möchten keine Prügeleien um die besten Brocken sehen“, sagte Tack.

Auch Bedenken des Handelsverbands Nord gehen in diese Richtung. Es sei „problematisch, das Betreten von privatem Betriebsgelände zu legalisieren“, sagte Geschäftsführerin Brigitte Nolte. Containern solle „nicht gefördert“, sondern „andere Wege gefunden“ werden.

„Wir haben 27 Ausgabestellen in der Stadt, die Kunden kennen sich und wir kennen sie“, sagte Tack. „Außerdem müssen Kunden ihre Bedürftigkeit mit einem Ausweis nachweisen, bevor sie bei uns etwas mitnehmen können. Das System funktioniere bereits seit Jahren und sei flächendeckend. „Die Logistik steht. Wir könnten sehr schnell mehr Lebensmittelmärkte anfahren und in den Kreislauf integrieren“, sagte Tack.

Lebensmittel mit Druckstellen oder mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum landen tonnenweise im Müll, obgleich sie noch genießbar sind. Jeder Deutsche wirft nach einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung pro Jahr gut 55 Kilogramm Lebensmittel weg.

Lebensmittel auf 800 Quadratmeter Fläche

Die Hamburger Tafel holt wöchentlich 40 Tonnen Lebensmittel bei Supermärkten ab und beliefert damit ihre 27 Ausgabestellen sowie 70 soziale Einrichtungen in der Stadt, darunter das Pik As, Hinz und Kunzt und das Café mit Herz. Etwa 20.000 Kunden, davon 2000 Obdachlose, sind auf die Tafel angewiesen. In ganz Deutschland gibt es 990 Tafeln.

„Unsere Hauptkunden sind ältere Menschen, sehr häufig Frauen“, sagte Tack. „Sie haben die Kinder aufgezogen, wenig gestempelt und kämpfen mit hohen Mieten, ohne dass das Anmieten einer kleineren Wohnung ihre finanzielle Lage verbessern würde.“

Das Tafel-System beruht auf Spenden und ehrenamtlichem Engagement. Auch Geschäftsführer Tack arbeitet für „Gotteslohn“. Die Hamburger Tafel gehört zum diakonischen Werk der evangelischen Kirche.

Die Supermärkte können sich dem System anschließen. Dann müssen sie am Abend die Logistiker der Hamburger Tafel anrufen, wenn sie etwas abzuholen haben. Die insgesamt 120 ehrenamtlichen Mitarbeiter der Tafel fahren die Märkte dann frühmorgens an, um abzuholen, was am Ende des Vortages dafür freigegeben wurde. Die Hamburger unterstützen Tafeln von Coesfeld bis Frankfurt/Oder und haben 800 Quadratmeter Hochlager in ihrer Jenfelder Zen­trale.

Steffen sieht eine „grassierende Lebensmittelverschwendung in Deutschland. Sie ist nicht vereinbar mit dem Grundgesetz, das den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen vorsieht. Um das Containern zu entkriminalisieren, könnten entweder der Eigentumsbegriff im Bürgerlichen Gesetzbuch oder die Straftatbestände im Strafgesetzbuch geändert werden. Am effektivsten wäre es, wie in Frankreich Wege zu finden, noch genießbare Lebensmittel gar nicht wegzuschmeißen“, so Steffen.

In Bayern waren im Januar zwei Studentinnen zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie einen Supermarkt-Container aufgebrochen und Lebensmittel genommen hatten.