Hamburg. 93-Jähriger erzählt detailreich über die Vorfälle im KZ Stutthof, wie sie ihn belastet haben und wie er damit umgegangen ist.
Es ist etwas mühsam an diesem Tag. „Daran habe ich keine Erinnerung.“ Oder: „Das weiß ich nicht mehr.“ Diese Antworten fallen häufig im Prozess um die Ereignisse im Konzentrationslager Stutthof, wenn dem ehemaligen KZ-Wachmann Bruno D. Fragen gestellt werden. Fragen zu den Gaskammern, über das Krematorium und was er von den Tötungen in dem KZ nahe Danzig mitbekommen hat, wo der 93-Jährige als junger Mann seinen Dienst versah.
Man habe vom Wachturm aus „mitbekommen, dass Leute in die Gaskammer geführt wurden und dass die Tür verschlossen wurde. Und eine Weile danach hat man Schreie und Poltern gehört. Aber ich wusste nicht, weswegen und warum. Ich wusste nicht, dass die da vergast wurden.“
Früherer KZ-Wachmann: Beihilfe zum Mord?
Bruno D. wird im Prozess vor dem Landgericht nicht vorgeworfen, jemanden selber getötet zu haben. Der betagte Mann, der im Alter von 17 beziehungsweise 18 Jahre als Wachmann in Stutthof tätig war, soll vielmehr Beihilfe zum Mord begangen haben, in 5230 Fällen, indem er als „Rädchen der Mordmaschinerie“ die heimtückische und grausame Tötung von Gefangenen in dem KZ unterstützt habe.
Er wolle „nichts beschönigen“, sagt Bruno D. dazu im Laufe seiner Befragung. „Ich habe nichts getan und war auch nicht mit den Tötungen einverstanden. Aber was kann man dagegen machen? Ich habe alles in mich hineingefressen. Das hat mich damals sehr belastet und belastet mich auch heute noch.“
Erinnerungen können unbequem sein, schmerzhaft, beklemmend und bedrückend. Zumal solche an Erlebnisse, die mit dem Tod vieler Menschen zu tun haben. Wenn Bruno D. von seiner Zeit in Stutthof erzählt, dann tut er das detailreich, etwa wenn es um seine damalige Uniform geht oder um den Marschbefehl seiner Einheit. Doch was er dann vom Wachturm aus gesehen hat, was er über die Tötungen gewusst habe, da wird die Darstellung des Angeklagten eher vage. Er wisse etwas nicht, sagt er häufig. „Man hat sich vorgestellt“ ist auch so eine Formulierung, die er öfter wählt. „Man“, das drückt Distanz aus und wirkt viel weniger persönlich als „ich“.
Die Nazi-Lüge mit der Gaskammer
Seine Vorstellung sei gewesen, so Bruno D., dass er Gefangene bewachen müsse, wohl vor allem Kriegsgefangene. Im KZ sei er zum Wachdienst eingeteilt worden, nach einem sechswöchigen Krankenhaus-Aufenthalt wegen Diphterie-Verdacht. „Meine Kameraden, mit denen ich da war, gehörten schon alle der SS an. Ich wurde dann auch von der SS übernommen. Es hieß: Du musst“, erzählt der 93-jährige Angeklagte. Die Gewehre hätten sie erst bekommen, „als wir Wache gestanden haben“.
Er habe den Zaun beobachten sollen. Was er denn machen sollte, wenn sich jemand dem Zaun nährt, will die Vorsitzende Richterin von Bruno D. wissen. Er habe dann „Alarm machen“ sollen, antwortet er. Wie das geschehen sollte, wisse er nicht mehr. „Da waren keine Alarmgeräte. Ich kann mir vorstellen, dass man eventuell geschossen hätte.“ Da ist es wieder, dieses „man“.
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Im Konzentrationslager habe er erstmals einen Toten gesehen, als er auf dem Turm gestanden habe. Was im Lager passiert, darüber habe er „was munkeln gehört“. Vom Turm aus habe er die Gaskammer sehen können, erzählt Bruno D. erneut. Zuerst habe es geheißen, dass die Gaskammer nur zur Desinfizierung benutzt werde. „Was weiter gemacht wurde, habe ich erst später erfahren.“ Aber als er auf dem Wachturm stand, habe er gewusst: „Hier ist die Gaskammer, da das Krematorium.“
Dass Menschen doch auch vergast wurden, habe er nicht mit Bestimmtheit gewusst, aber davon gehört. „Man hat das so mitbekommen. Wenn man auf dem Turm gestanden hat oder stehen musste, habe man gedacht: Hoffentlich passiert heute nichts. Das sind die Gedanken, die man sich macht. Man kann nichts dagegen unternehmen.“
Bruno D. stellt sich naiv vor Gericht
Die Vorsitzende äußert ihre Zweifel: „Sie haben Schreie gehört. Sie haben früher gesagt, Sie hätten einige Minuten lang Schreie gehört, dann war es still. Sie wissen doch die Antwort.“ „Heute ja“, windet sich der Angeklagte. „Aber damals wusste ich die Antwort nicht.“ Die Vorsitzende hakt nach: „Die Menschen haben geschrien, weil sie vergast wurden, umgebracht.“
Er habe sich damals „keine Bilder ausgemalt. Ich hätte nicht hundertprozentig sagen können: Die werden da jetzt vergast“, antwortet Bruno D. „Aber Sie hörten Schreie, und Sie hörten Poltern. Sie haben vorhin gesagt: Wenn man auf Turm stand, dachte man: Hoffentlich passiert da heute nichts. Was war damit gemeint?“ „Hoffentlich, dass da kein Gas eingeführt wird.“
Wie viele Menschen in die Gaskammer reingeführt wurden, habe er nicht gezählt. Aber es waren wohl 20, 30. Manche seien auch einzeln wieder rausgeführt und zu dem Krematorium gebracht worden. „Es hieß, die sollen zur Untersuchung, angeblich für einen Arbeitseinsatz und müssten vorher untersucht werden, ob sie auch gesund sind. Das habe ich angenommen. Die sind auch frei mitgegangen. Sie wurden nicht geführt oder gezerrt.“
Zehn bis zwanzig Männer seien das gewesen, erzählt Bruno D. Er habe sich vorgestellt, dass diese Leute irgendwo anders zum Arbeitseinsatz kommen. „Wo, das weiß nicht ich. Ich habe keinen wieder rauskommen sehen.“ Die Vorsitzende hilft nach: „Vielleicht, weil die da erschossen wurden. Dann konnten Sie sie nicht rauskommen sehen.“ „Das ahnte ich doch nicht.“ Ob er eine Vorstellung habe, wie viele Menschen in der Gaskammer ermordet wurden? „Nein“, antwortet Bruno D. „Ich weiß nur, dass in dem Lager wahnsinnig viele Menschen gestorben sind. Nicht umgebracht. Gestorben.“