Hamburg. Die Psychologin und Mutter von vier Kindern führt in dritter Generation das bekannte Spirituosenhaus Borco.
Wenn man sie nachts weckt, wird Tina Ingwersen-Matthiesen ohne Umschweife die wichtigsten Produkte ihrer Firma aufzählen können. Tequila, Gin, Kümmel, Rum, Champagner – mehr als 70 Marken hat ihr Betrieb im Portfolio. Bei Borco-Marken-Import ist die 45-Jährige die einzige Frau in der vierköpfigen Geschäftsführung und die einzige Familienvertreterin.
„Die Firma ist aus meinem Leben nicht wegzudenken, ich bin damit groß geworden.“ In Othmarschen als Einzelkind aufgewachsen, hat Tina Ingwersen-Matthiesen gern in den riesigen Hallen in Bahrenfeld gespielt und getobt. Heute sitzt sie – blond, schlank, geschmackvoll gekleidet – im Konferenzraum im vierten Stock. Eine Wand ist gestaltet wie eine Bar, voll mit bunten Flaschen aus dem Repertoire. „Die Firma ist zu 100 Prozent in Familienhand. Und das soll auch so bleiben.“
Ihr Großvater Bernhard hatte 1948 das Spirituosenhaus Borm & Co gekauft und in Borco umbenannt. Als Händler und Hersteller von Spirituosen lieferte es Liköre, Korn und Rumverschnitte an den Einzelhandel. 1972 bauten Tinas Eltern Jutta und Uwe zusammen mit Uwes Bruder Bernd dann Borco-Marken-Import auf, um Spirituosen aus anderen Ländern einzuführen. „Mit den Produkten holen wir ein Stück Urlaubsgefühl nach Deutschland. Die Menschen reisen viel und wollen die Drinks der Ferien auch zu Hause genießen.“
Kein Tequila in Deutschland
1981 fiel den Matthiesens auf: Es gibt keinen Tequila in Deutschland. „Meine Familie gehörte zu den Ersten, die den Tequila nach Europa geholt und damit einen Trend begründet haben.“ Die Idee für Sierra Tequila stammt also aus Hamburg. Der Agavenbrand kommt in Tanks per Schiff aus Mexiko und wird am Winsbergring in Flaschen mit dem roten Plastik-Sombrero auf dem Verschluss abgefüllt. Mehr als zwei Millionen Flaschen verkauft der Spirituosenhersteller pro Jahr allein in Deutschland. Hinzu kommt noch der Auslandsabsatz. In 100 Länder wird die Spirituose exportiert. Die Marke ist die Nummer eins in Deutschland und Europa. „Sierra Tequila ist unser Flaggschiff“, sagt die Chefin.
Der Hamburger Traditionsschnaps Helbing Kümmel gehört seit 1974 zu Borco. Der wird hier nach dem Originalrezept von 1836 hergestellt. 1994 übernahm man den britischen Gin Finsbury, 1740 in London gegründet, und seine Destillerie.
Firma und Privatleben wurden bei der Familie nie getrennt. „Darüber wurde beim Essen gesprochen, meine Eltern haben mich auf Geschäftsreisen mitgenommen, meine Mutter hat immer gearbeitet.“ Aber die Tochter wollte sich erst noch freischwimmen, bevor der Familienbetrieb auch ihre Arbeitswelt bestimmen sollte. „Ich wollte Psychologie studieren und bin dafür nach Berlin gezogen. Mich interessierte der Mensch, wie er funktioniert.“ Betriebspsychologie, Arbeitsorganisation, Training und Personalmanagement wurden die Schwerpunkte.
Neue Ideen der nächsten Generation
Nach dem Vordiplom zog Tina Ingwersen-Matthiesen mit ihrem Mann und Baby Lukas nach Hamburg. Sie studierte hier weiter, bekam Tochter Lea, machte ihr Diplom und eine Ausbildung zur Trainerin. 2002 fragten ihre Eltern, ob sie in der Firma eine Personalabteilung aufbauen wolle. „Das gab es bei uns damals so nicht, meine Eltern haben diesen Bereich mitbetreut.“ Die Tochter fand es reizvoll, etwas Eigenes und Neues zu gestalten. Nebenbei schrieb sie auch noch ihre Doktorarbeit. Und: „2004 habe ich die PR-Arbeit von meiner Mutter übernommen und vereinheitlicht.“
Neue Ideen der nächsten Generation, Noch-nicht-loslassen-Können seitens der Gründer – gab es Reibungspunkte im Hause Matthiesen? „Nein“, sagt die zierliche Frau. „Es war ein großes Geschenk, die Aufgaben zu übernehmen, und ist eine große Verantwortung, die Firma weiterwachsen zu lassen.“ Und sie habe sehr viel von ihrer Mutter gelernt. Die ist mittlerweile gestorben, der 84 Jahre alte Vater Uwe sitzt zusammen mit seinem Bruder Bernd (81) seit April im Beirat der Firma und schaut regelmäßig im Büro vorbei. „Er ist noch dabei, aber nicht mehr im operativen Geschäft.“
Rund 150 Mitarbeiter stehen bei Borco auf der Gehaltsliste. Neben den Bereichen Personal sowie Unternehmens- und Marken-PR ist Tina Ingwersen-Matthiesen für Markenrecht und -schutz (Intellectual Property) zuständig. Sie führt Einstellungsgespräche, besucht Messen und Importeure, ist bei der Markteinführung ihrer Produkte im Ausland dabei. Und achtet in Zusammenarbeit mit Anwälten und Importeuren darauf, dass die Borco-Waren nicht gefälscht werden. „In Thailand ist das einige Male passiert, da sind wir erfolgreich dagegen vorgegangen.“
Organisation ist alles
Als die ersten beiden Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, kamen Lorenz und Carl, heute acht Jahre alt. Wann ist der richtige Zeitpunkt für Kinder? Den gibt es für die Hamburgerin nicht. „Man macht doch immer irgendetwas.“ Sie zum Beispiel eine Sommelier-Ausbildung, als die Zwillinge ein Jahr alt waren. Jetzt gibt es eine Kinderfrau und den Vater der Kinder. „Wir leben zwar getrennt, aber er hat guten Kontakt zu allen Kindern und sieht sie regelmäßig.“
Organisation ist eben alles für Tina Ingwersen-Matthiesen, beruflich und privat. Freitags kauft sie für die Woche ein, und das Wochenende gehört in der Regel den Nachkömmlingen, die gerne toben, klettern und sich auf dem Spielplatz in der HafenCity als Piraten fühlen. Und natürlich kennt sie als Mutter und Chefin auch ein schlechtes Gewissen. „Im vergangenen Jahr war ich viel auf Geschäftsreise. Aber manchmal muss ich am Nachmittag in der Firma auch etwas liegen lassen, weil etwas Wichtiges mit den Zwillingen ansteht.“ Und wenn beim Abendessen das Smartphone klingelt und der Anrufer eine dringende dienstliche Frage hat, kommt von den Kindern schon mal der Appell, das Handy abzuschalten.
Lorenz und Carl haben übrigens noch kein Smartphone. „Aber ich muss ab und zu etwas für sie im Internet nachschauen. Und sie genießen es auch, unterwegs auf Reisen auf dem iPad einen Film zu gucken.“ Als Personalchefin hat die Unternehmerin Verständnis für Mütter, die Teilzeit arbeiten, und für Väter, die in Elternzeit gehen wollen. Überhaupt beobachte sie allgemein ein wachsendes Verständnis für Mütter im Beruf. „Als ich Ende der 90er-/Anfang der 2000er-Jahre trotz kleiner Kinder studiert und gearbeitet habe, wurde das noch kritisch hinterfragt“, erinnert sie sich. „Da hieß es mitunter, warum ich mir das antue, ich hätte doch einen Ehemann.“
Sie meidet Milch und baut im Garten Gemüse an
Heute seien berufstätige Frauen die Regel. Weil sie ihren erlernten Beruf ausüben und Geld verdienen wollen und eine Aufgabe suchen, die sie erfüllt. „Früher haben viele ihren Beruf aufgegeben“, erinnert sich die Psychologin an Mütter in ihrem Freundeskreis. Es habe aber auch noch nicht so viele Betreuungsangebote gegeben. „Mit den Zwillingen erlebe ich das jetzt ganz anders.“
Tina Ingwersen-Matthiesen ernährt sich seit einiger Zeit rein pflanzlich und mied vorher schon Milchprodukte. „Es geht mir damit besser.“ Die Kinder müssen ihretwegen aber nicht auf Fleisch oder Fisch verzichten. „Die sollen selbst entscheiden. Ich lebe ihnen meinen Ernährungsstil vor und biete ihnen leckere pflanzliche Gerichte an.“ Burger Patties aus schwarzen Bohnen oder selbst gebackenes Brot werden in der Familie gerne verzehrt. „Und es gibt so tolle Rezepte für vegane Speisen.“
Deshalb pflanzt sie auch Gemüse in ihrem Garten an. „Blumenkohl, Zucchini, Bohnen, Tomaten, Paprika und Chilischoten haben wir schon geerntet.“ Tatkräftige Unterstützung bekommt sie von Carl. „Der ist mit großem Eifer dabei, das freut mich sehr.“
Steigen die ersten Kinder mal in der Firma ein? Tochter Lea ist 21, studiert Hospitality Management (Hotelfach) in Bad Honnef und hat bereits eine Bartender-Ausbildung in Australien absolviert. Der ein Jahr ältere Sohn Lukas beschäftigt sich mit BWL an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und macht gerade ein Praktikum in der Schweiz. Beide kommen regelmäßig zu Besuch und genießen die Zeit mit den kleinen Brüdern. „Lea und Lukas finden die Spirituosen-Branche attraktiv, aber sie sollten erst mal in anderen Betrieben starten.“ Bereut Tina Ingwersen-Matthiesen, dass sie keine andere berufliche Station als das Familienunternehmen absolviert hat? „Bei mir war die Situation damals eine andere. Meine Eltern haben meine Hilfe gebraucht.“
Nächste Woche: Uwe Bergmann, Hamburgs großer Großveranstalter (u. a. Harley Days, Duckstein Festival, Fußball-Fan-Feste)