Hamburg. Stefan Renz, Vorsitzender seiner Zunft in Hamburg, bekam die Berufung in die Wiege gelegt. Eine Herzenssache.
Eigentlich hatte Stefan Renz keine andere Chance: Er musste Kinderarzt werden! Da war der Großvater, der als Kinderarzt arbeitete. Und dann der Vater, bei dem Renz das Leben eines Kinderarztes hautnah miterlebte. Schon mit fünf Jahren antwortete er auf die Frage, was er einmal werden wolle: „Ich werde Arzt, und ich trinke Wein.“ Das mit dem Wein ist auch ein Familienerbe – Renz’ anderer Großvater war Winzer.
Geboren wurde der fröhliche Mann, der heute – 64-jährig – in Lokstedt wohnt, in Wiesbaden. Dort wuchs er auf, in einem behüteten Haushalt, wie er sagt. Nach einem „nicht ganz so prallen Abi“ hätte er zur Bundeswehr gehen müssen, tat es aber nicht: „Ich hatte lange Haare, trug einen Ohrring – und fuhr Motorrad. Ich hätte niemals zum Bund gehen können.“ Deshalb, Verweigerung, Zivildienst. Wo? Natürlich in einem Kinderkrankenhaus, genauer gesagt im kinderneurologischen Zentrum in Mainz.
Er musste ins Ausland
Doch wie kommt man mit einem so mittelmäßigen Abschluss an einen Medizinstudienplatz? „Ich musste ins Ausland.“ Die Wahl fiel auf Frankreich, und das, obwohl der junge Mann kein Französisch sprach. Latein, Griechisch und Englisch, das waren seine Sprachen in der Schule. „Ich habe mich für den Sprachtest angemeldet. Schriftlich lief es ganz gut, weil ich mir durch meine altsprachliche Ausbildung so einiges erschließen konnte. Nur mündlich, da haperte es.“ Renz bestand trotzdem, bekam aber als Rat mit auf den Weg: Bewirb dich an Unis, die weit weg von der Grenze liegen. Dort wollen nicht so viele hin. Er entschied sich für Bordeaux.
Vier Jahre lang studierte Renz in Südfrankreich. Lebte bei der Familie eines französischen Freundes, „sehr feudal, wie es auf dem Land dort so üblich war“. Jedes Jahr nahm er seine französischen Zeugnisse, die übrigens allesamt deutlich besser waren als sein Abi, und ließ sie in Deutschland anerkennen. Dorthin wollte er schließlich zurück, um sein Studium zu beenden. Er bewarb sich in verschiedenen Städten, „in denen ich gern leben wollte“.
In Bayern viel gelernt
Darunter auch Hamburg. Renz bekam die Zusage, arbeitete im Mariahilf-Krankenhaus in Harburg und im AK Heidberg. Viele seiner freundschaftlichen Kontakte zu anderen Kinderärzten stammen aus jener Zeit. „Das war wirklich sehr lehrreich und spannend.“ Eher zufällig, durch eine Hospitanz in der Kardiologie des Universitäts-Klinikums Eppendorf (UKE), entdeckte er seinen Schwerpunkt für sich: die Kardiologie. Herzenssache.
Als seine damalige Freundin nach München zog, fuhr Renz mit. Um zu schauen, wie es dort so ist. So wie er vieles einfach mal ausprobiert hat. „Ich bin dort zum Herzzentrum gefahren. Nur um es mir anzusehen. Und weil ich schon mal da war, habe ich gefragt, ob sie nicht zufällig eine Stelle für mich haben.“ Hatten sie. Das mit der Freundin war schnell Geschichte. „Aber das ist ja hier jetzt unwichtig“, sagt Renz. Viel gelernt habe er in Bayern. „Und das ist das Wichtigste.“
Anruf aus dem UKE
Nach knapp drei Jahren kam ein Anruf aus dem UKE. Und Renz fand, es sei wieder Zeit für einen Wechsel. Eine richtungsweisende Entscheidung, wie er bald feststellen sollte. Denn am zweiten Tag, so berichtet er, „habe ich in der Kantine Sigrid getroffen“. Die ist, wie sollte es bei Renz anders sein, auch Kinderärztin. Und heute seine Frau.
Nur ein knappes Jahr später kam die erste Tochter zu Welt, wie Renz mit einem verschmitzten Lächeln erzählt. Das war 1992. In Deutschland gab es weder Elternzeit noch Elterngeld. Das erste halbe Jahr kümmerte sich der Vater um das Baby, während die Mutter ihre Facharztausbildung fortsetzte. Das seien mit die schönsten Monate in seinem Leben gewesen, sagt Renz. Klar, die Haushaltsführung sei sicher nicht so gewesen, wie es sich seine Frau gewünscht habe. „Wir hatten aber großen Spaß.“ Mit mehreren Müttern habe er unter anderem eine Krabbelgruppe gegründet. „Schwierig wurde es nur, wenn ich für solche Treffen einen Kuchen backen musste, puh.“
Anfang war nicht leicht
Renz kehrte nach den sechs Monaten also erfüllt und voller Tatendrang zurück ins UKE. „Geschadet hat es mir beruflich überhaupt nicht. Das ist für die 90er-Jahre schon eher ungewöhnlich.“ Dennoch reifte in dem jungen Vater der Plan, dass es mal wieder Zeit für eine Veränderung im Leben sei. Eine eigene Praxis, das wär es doch ... Und weil Renz nicht nur denkt, sondern vor allem handelt, machte er sich mit einem Kollegen aus dem Krankenhaus 1996 zuerst mit einer Praxis in Altona, später in Eimsbüttel selbstständig.
Der Anfang war nicht leicht. Zumal genau zu diesem Zeitpunkt seine zweite Tochter auf die Welt kam. „Wir sind zu Beginn ein wenig auf die Nase gefallen“, sagt Renz. „Also haben wir in Eimsbüttel alles wirklich nur zu zweit gemacht.“ Bis die Praxisräume in der Schäferkampsallee fertig waren, hätten sie sich sogar ein Behandlungszimmer geteilt. Darin ein Ikea-Schreibtisch, ein Computer, ein Ultraschallgerät und ein EKG. „Der eine hat hinten die Patienten behandelt, während der andere vorne das Telefon abgenommen, Arztbriefe geschrieben und Eltern und Kinder in Empfang genommen hat.“
Beim Rennradfahren findet er Entspannung
Mittlerweile arbeitet Renz mit zwei Ärzten zusammen. Das aber auch, weil der engagierte Hamburger so viele andere Aufgaben wahrnimmt. Zum einen hat seine Praxis einen Vertrag mit dem Altonaer Kinderkrankenhaus. Hier betreuen die Ärzte jede Woche die kardiologische Sprechstunde der Klinik. Obendrein erfüllt er zahlreiche Ehrenämter. So ist Renz Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.
Versucht seinen Kollegen Stimme und Gesicht zu geben, wenn es um medizinische Belange geht. „Es läuft doch auch bei uns viel über persönliche Kontakte“, sagt Renz, der sich nicht selten zu Wort meldet. Dazu kommen Aufgaben für die Kassenärztliche Vereinigung in Hamburg und Berlin. Hier sitzt er in den beratenden Fachausschüssen. „Da kann ich gar nicht jeden Tag in der Praxis sein. Muss ich auch nicht mehr, weil alles gut eingespielt ist.“
Beeindrucke Kraft der kleinen Menschen
Gleichwohl ist die Zeit mit den kleinen Patienten bis heute das, was Renz an seinem Beruf am meisten liebt. „Man kann bunte Hemden und rote Schuhe tragen. Und so herrlich Quatsch machen mit den Kleinen: Das würde in der Erwachsenenmedizin nicht so gern gesehen.“ In den letzten 25 Jahren habe sich gerade in der Kardiologie viel getan. „Fast alle Herzfehler kann man operieren, das war früher noch anders.“ Immer wieder beeindrucke ihn die Kraft der kleinen Menschen. „Sie sind nach einer Herzoperation innerhalb von zwei Tagen wieder auf dem Bobby Car, während ein Erwachsener sich noch sechs Wochen mit dem Rollator über den Flur kämpft.“
Der starke Lebenswille, auch und vor allem schwerkranker Kinder, halte einen als Kinder- und Jugendarzt selber jung und aktiv, weil man weiß, wofür man sich einsetzt. „Kinder verstellen sich nicht. Auch schwer kranke Kinder schauen einen direkt an und wollen einen ehrlichen Blick. Das gibt es einfach in keinem anderen Fach.“
Feierabend gibt es nicht
Seine Frau Sigrid hat, seitdem die Mädchen größer sind, eine Praxis an der Osterstraße. Beide arbeiten nicht selten bis in den späten Abend. „Diese klaren Arbeitszeiten, bei denen Feierabend auch Feierabend oder Wochenende auch Wochenende ist, die gibt es schon lange nicht mehr“, sagt Renz, der gerade am vergangenen Sonntag wieder einmal einen Notdienst übernommen hat.
Dennoch schaffen er und seine Frau sich mit ihren Hobbys einen Ausgleich: Zum Beispiel mit Rennradfahren. Aber ohne Rennen, „das ist mir irgendwie zu gefährlich“. Häufig mache er sich nach der Arbeit nochmal auf den Weg. „Meine große Tochter rief gerade gestern an und hat mich noch zu einer Tour nach dem Dienst überredet.“ Auch Pfefferminza, die freundliche schwarze Labradorhündin, muss täglich ihre Bewegung haben.
Ehepaar liebt klassische Konzerte
Und dann ist da die Musik. Renz und seine Frau lieben klassische Konzerte. Fahren seit Jahren zu Festspielen wie in Bayreuth. Im Wohnzimmer steht ein Flügel, an dem Renz hin und wieder sitzt. „Spielen kann man das nicht wirklich nennen, ich dilettiere eher am Klavier.“ Wenn dann noch Zeit bleibe, liebe er es zu lesen, sagt Renz. Gerade habe er einen Krimi am Wickel, „Slow Horses“. Davor habe er „Der Fetzen“ von Philippe Lançon gelesen, natürlich auf französisch. Ach ja, und für Oldtimer schwärmt er auch noch. Seine alten Bulli aus dem Studium, den habe er leider nicht mehr. „Aber wer weiß, vielleicht gibt es für den ja irgendwann mal Ersatz.“
Und zum Schluss noch eines: Für die nächste Generation Kinderärzte im Hause Renz ist vermutlich schon gesorgt. Die jüngste Tochter studiert Medizin in Hamburg. Schwerpunkt ihrer Doktorarbeit: Natürlich etwas mit Kindern …
Nächste Woche: Rainer-Maria Weiss, Direktor des Helms-Museums