Hamburg. Jørn Jørgensen hat mit den EuroEyes-Kliniken ein Imperium erschaffen und die Cyclassics gerettet. Porträt eines Rastlosen.
Ein junges Paar bestaunt im Museum verwundert ein Exponat aus längst vergangenen Zeiten, ein seltsames Gestell mit zwei Gläsern. Zu sehen ist diese Szene auf einem Bild, das hoch oben im lichtdurchfluteten Entree der Praxisklinik EuroEyes am Valentinskamp hängt. Darüber steht: „Es war einmal die Brille ...“ Treffender lässt sich die Vision – im wahrsten Sinne des Wortes – des Augenarztes Dr. Jørn Jørgensen wohl nicht beschreiben.
Dessen eigene Geschichte könnte auch mit „Es war einmal ...“ beginnen, denn geradezu märchenhaft ist der Aufstieg vom ehrgeizigen Jungen aus der dänischen Provinz zu einem der gefragtesten Augenspezialisten der Welt, dem Stars wie der zweifache Oscar-Preisträger Christoph Waltz oder Entertainerin Ina Müller vertrauen und der in China gefeiert wird wie ein Rockstar.
Denn neben den 18 Kliniken in Deutschland betreibt der Mediziner vier in seinem Geburtsland Dänemark und eben auch sechs im Reich der Mitte, zwei weitere sind dort geplant. Erst am Vortag ist Jørn Jørgensen, der einmal im Monat für zehn Tage hinfliegt, um selbst zu operieren, mit einiger Verspätung aus China gelandet. Der lange Flug stecke ihm noch in den Knochen, dazu komme leider eine leichte Erkältung, weshalb „JJ“, wie ihn seine Mitarbeiter untereinander mit liebevollem Respekt nennen, an diesem kalten Morgen im dunkelblauen Langarmshirt im Konferenzraum erscheint und nicht wie sonst in einem seiner kurzärmeligen Polohemden, von denen er „Hunderte besitzen muss“, wie eine enge Mitarbeiterin vorher flüstert.
500 Operationen jeden Monat
Ja, China sei ein Riesenmarkt, erklärt Jørgensen seine Expansion. Zum einen gebe es dort einen großen Wohlstand, und zum anderen, mindestens genauso wichtig für sein Geschäft, sind 90 Prozent der Chinesen kurzsichtig. „Vermutlich weil sie schon als kleine Kinder so getrimmt werden und immerzu lesen und lernen müssen.“
Ein paar Halbsätze Mandarin habe er sich schon angeeignet, seit er 2012 in Shanghai im Beisein des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz die erste westliche Augenklinik Chinas eröffnete. „Tut es weh?“, „Kinn hoch“ und „Nach unten gucken, bitte“, das könne er sagen. Darüber hinaus mache es keinen Unterschied, ob er jetzt in Hamburg, Frankfurt oder Peking operiere. „Auge bleibt Auge.“
500 Operationen stehen allein in der 1400 Quadratmeter großen Klinik am Valentinskamp jeden Monat im Kalender. Zwischen 4500 und 6000 Euro zahlen die Patienten, die Kassen übernehmen die Eingriffe nicht. „Klar, der eine oder andere überlegt sich schon: Mache ich in diesem Jahr Urlaub, oder lasse ich mir die Augen lasern?“, sagt Jørgensen. „Aber 60 ist das neue 40, da hat doch niemand Lust auf eine Gleitsichtbrille.“
Er steckt voller Energie
Der Arzt steckt voller Energie, das spürt man gleich – trotz des leichten Schnupfens. Bis zu 15 Stunden arbeite er am Tag. „Wenn man mir das nimmt, bestraft man mich.“ Mit fünf Stunden Schlaf komme er aus, auch nachts rufe er immer noch mal schnell die Chat-Nachrichten aus China auf. „Ich bin einfach zu neugierig, um sie bis morgens zu ignorieren.“ Nein, er habe gute Gene und fühle sich fit – und jünger, als er ist. Auf die Frage nach seinem Geburtsjahr sagt er „1964“, verrät durch ein kurzes Augenzwinkern, von dem er wohl eine Sekunde lang hofft, dass es unbemerkt bleiben könnte, aber sein charmantes Flunkern. Wobei man dem hochgewachsenen, blonden Dänen, der leidenschaftlich gern Sport treibt, seine Antwort durchaus glauben könnte.
Tatsächlich kam Jørn Slot Jørgensen aber schon zehn Jahre früher als zweiter Sohn seiner Mutter Kirsten und seines Vaters Viggo im dänischen Haderslev auf die Welt. Die Eltern betreiben ein kleines Lebensmittelgeschäft, die beiden Jungs müssen früh mit anpacken. „Meine Eltern waren liebevoll. Sie hatten aber wegen des Betriebs kaum Zeit.“ Nach dem Abitur beginnt er, in Odense Medizin zu studieren. Das Auge fasziniert ihn von Anfang an. „Ein kleines Gebiet, das sich gut operieren lässt – und zwar mit gutem Erfolg für Arzt und Patient. Das finde ich viel besser, als stundenlang im Bauch zu operieren.“
Facharztausbildung am UKE
Nach einiger Zeit in Norwegen macht er seine Facharztausbildung am UKE. „Ich wollte immer was Neues, die Welt entdecken.“ Umso enttäuschter sei er zunächst gewesen, als er diese Zusage aus Eppendorf bekommen habe. „Eppendorf? Ich dachte zunächst, die hätten sich komplett vertan. Dorf? Ich wollte doch in die Weltstadt Hamburg“, erzählt er und lacht über seine jugendliche Unkenntnis. Es folgen Stationen an der Universitätsaugenklinik in Kopenhagen, am Kantonal-Spital in St. Gallen und am Zentralkrankenhaus in Bremen. Danach wird er Chefarzt an der privaten Augenklinik Navarro in Gijón und Oviedo in Spanien, bildet sich in Amerika fort, ehe er sich 1991 in Hamburg selbstständig macht. „Ich war der Erste, der ambulant den Grauen Star operiert hat. Früher lag Mutti damit sechs Tage lang im Krankenhaus.“ Doch die Reaktionen der Kollegen seien nicht nur freundlich gewesen. „Ein Chefarzt ohne Betten, das ist ja immer noch wie ein Kaiser ohne Reich.“
Auf Jørn Jørgensen trifft das längst nicht mehr zu – sein Reich heißt EuroEyes, und es wächst stetig, 400 Mitarbeiter sind weltweit für das Unternehmen tätig. Zum 25. Jubiläum im November des vergangenen Jahres und zur Einweihung der neuen Klinik am Valentinskamp – dreimal so groß wie der vorherige Standort an der Dammtorstraße – mischte sich wie selbstverständlich Thomas Gottschalk unter die Gäste. „Endlich kann ich meine Talkgäste wieder sehen“, sagte der Showmaster, der aus Los Angeles angereist war. Ja, Gottschalk sei mittlerweile schon mehr Freund als Patient. „Der Thomas ist aber auch echt glücklich, weil er natürlich überhaupt kein Lesebrillentyp ist.“
Thomas Gottschalk ließ sich operieren
Über zufriedene Kunden freut sich Jørn Jørgensen sehr. Und diese Freude zeigt er dann auch gern offen, etwa mit der „Wall of Fame“ im nach ihm benannten „JJ Café“, wo die Patienten in Lounge-Ambiente Platz nehmen, während sie auf ihren Termin warten. Von der Fotowand lächelt er dort mit Christian Lindner, Siegfried Lenz, Olivia Jones, Jürgen Hunke oder auch mit dem chinesischen Star-Dirigenten Tan Dun. „Der hat mich neulich erst angerufen und meinte: Ich bin heute Abend in der Elbphilharmonie, du musst unbedingt ins Konzert kommen.“ Hat Jørgensen, der in Hamburg neben seinem Zuhause in Othmarschen auch eine Zweitwohnung in der HafenCity besitzt, natürlich gemacht.
Spontan ist der verheiratete Vater eines erwachsenen Sohnes sowieso am liebsten. Das hat er auch 2016 bewiesen, als Vattenfall als Titelsponsor der Cyclassics absprang und ein neuer Geldgeber gesucht wurde. „Aus dem Bauch heraus habe ich damals zugesagt. Damit verdient man zwar nix, aber es hätte mir einfach in der Seele wehgetan, wenn wir diese tolle Veranstaltung an Düsseldorf verloren hätten. Sport ist hier in Hamburg ohnehin leider nicht auf dem Niveau, das diese Stadt verdient.“
Die Cyclassics zu retten habe aber auch aus einem ganz anderen Grund nahegelegen. Jørgensen ist selbst passionierter Radsportler. In wenigen Wochen geht es wieder mit ein paar Freunden nach Mallorca. Zweimal im Jahr verreisen sie gemeinsam, das Programm ist immer ähnlich. „Früh aufstehen, 100 Kilometer radeln, und abends gibt es dann Fisch und Sauvignon Blanc.“
Nachfolger für das Imperium steht bereit
Radfahren in Hamburg, das sei im Alltag schwierig und mache auch nicht immer Spaß, was man jemandem, der einige Zeit in der Welt-Fahrradhauptstadt Kopenhagen gelebt hat, sofort abnimmt. „Deshalb mache ich gerade im Winter meistens drinnen Spinning.“ Eigentlich sei er aber lieber an der Luft, vielleicht fange er wieder mit dem Reiten an. Sein Vorsatz für das Jahr 2019. „Mal sehen, ob ich dafür Zeit habe.“
Unwahrscheinlich. Denn einfach mal kürzerzutreten, das kommt für Jørn Jørgensen, der mit EuroEyes auch offizieller Partner des Handball-Erstligisten SG Flensburg-Handewitt ist, nicht infrage. Obwohl er schon einen Nachfolger für das Klinik-Imperium im Auge hat: Sein 27-jähriger Sohn Jannik hat gerade im dänischen Aarhus das Medizinstudium abgeschlossen, will dem Vater nacheifern und auch Augenarzt werden. Etwa alle zwei Wochen sehen sie sich, das Verhältnis ist eng. Ärger gibt es nur, wenn Jannik auf dem Weg nach Hamburg nicht bei seiner Oma, Jørgensens Mutter, vorbeifährt. „Wenn der da nicht nach dem Rechten sieht, weiß er, dass ich zwei Wochen lang sauer bin.“
Jørgensens Mutter ist 90 Jahre alt. „Sie ist aber immer noch topfit, lebt allein und hat sich gerade erst einen neuen Mercedes gekauft.“ Zum Glück gehe es seiner Mutter so gut. „Wenn sie im Pflegeheim wäre, das gebe ich ganz offen zu, könnte ich damit schlecht umgehen.“ Deshalb sage er auch seinem Sohn, dass er die Großmutter so oft wie möglich besuchen solle. „In Dänemark gibt es ein Sprichwort: ,Gib mir Blumen, solange ich lebe.‘ Das gefällt mir, das ist mein Leitsatz.“
Nächste Woche: Andreas Breitner, Direktordes Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen und ehemaliger Innenminister von Schleswig-Holstein